Medizinalhanf am Steuer

Gefahr im Verkehr oder alles im grünen Bereich?

Patienten, die Cannabispräparate in Dauermedikation haben, dürfen am Straßenverkehr teilnehmen. Eine wissenschaftliche Debatte über ein erhöhtes Verkehrssicherheitsrisiko durch diese Fahrer wurde noch nicht geführt. Unfalldaten entlasten sie aber – bis dato.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
THC am Steuer? Eine Arzt-Bescheinigung über den Einsatz von Medizinalhanf kann Missverständnissen vorbeugen.

THC am Steuer? Eine Arzt-Bescheinigung über den Einsatz von Medizinalhanf kann Missverständnissen vorbeugen.

© Kzenon - Fotolia

Bisher gehören die Schlagzeilen in puncto Verkehrssicherheit der Zukunft fast nur der Entwicklung autonomer Fahrsysteme sowie der Frage nach einem obligatorischen Hausarzt-TÜV für alte und demente Führerscheininhaber. Eine Debatte, ob und wie die Verkehrssicherheit von Verkehrsteilnehmern potenziell gefährdet wird, die Cannabis zu medizinischen Zwecken – legal von ihrem Arzt verordnet – einsetzen und auf das Auto angewiesen sind, ist bisher nicht geführt worden. Bisweilen gilt für alle Verkehrsteilnehmer der Grenzwert von 1,0 Nanogramm des Cannabiswirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) je Milliliter Blutserum.

Cannabispatienten dürfen nach Angaben der Bundesregierung am Straßenverkehr teilnehmen, sofern sie aufgrund der Medikation nicht in ihrer Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sind. Die Patienten müssten somit in der Lage sein, das Fahrzeug sicher zu führen, hieß es vor Kurzem in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken. Patienten drohe keine Sanktion gemäß dem Straßenverkehrsgesetz, "wenn Cannabis aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt", steht in der Antwort.

Wie der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst entschied, müssen Fahrzeugführer aber immer sichergehen, dass ihr Blut keine erhöhte THC-Konzentration enthält. Ärzte sollten Patienten daher entsprechend beraten, wenn sie die Cannabis-Arznei zur Senkung des THC-Spiegels absetzen. Zudem könnte es zu Rückfragen in der Sprechstunde kommen, denn Cannabis-Konsumenten sollen laut BGH bei Bedarf auch "fachkundigen Rat" einholen. Bei Medikamenten verhalte es sich ja nicht anders, so die Richter, ohne allerdings ausdrücklich auf THC-haltige Arzneimittel einzugehen.

Polizisten kennen Ausnahmeregelung oft nicht

Die Crux bei Cannabispatienten ist – und das hat auch die Bundesregierung erkannt –, dass "durch die Medikation die grundsätzliche Fahrtüchtigkeit erst wieder hergestellt wird." Ein limitierender Faktor kann für Cannabispatienten oft eine Straßenverkehrskontrolle sein. Wie die Linke in ihrer Anfrage betonte, seien Polizeibeamte häufig "nicht ausreichend darüber aufgeklärt, dass es überhaupt legales Cannabis zum medizinischen Gebrauch gibt. Oftmals ist sich die Polizei nicht sicher, ob es sich um legales medizinisches Cannabis handelt oder um illegales Cannabis zum Freizeitkonsum." Insbesondere bei Straßenverkehrskontrollen sähen sich Cannabispatienten der Gefahr ausgesetzt, durch die polizeiliche Praxis kriminalisiert zu werden. Die Regierung rät ihnen, beim Führen eines Fahrzeugs eine Kopie des BtM-Rezeptes und/oder eine Bescheinigung des rezeptierenden Arztes mitzunehmen.

Sie bricht jedoch gleichzeitig eine Lanze für die Cannabispatienten, die sich – anders als Drogenkonsumenten – hinter dem Steuer sehr zuverlässig und verantwortlich verhielten. Das deckt sich durchaus mit Beobachtungen aus Übersee. Wie der international agierende Medizinalhanf-Anbieter Tilray hinweist, sei zum Beispiel in Kanada seit Einführung von Cannabis zu medizinischen Zwecken vor mehr als 15 Jahren die Gesamtzahl der Autounfälle dadurch nicht gestiegen. In Kanada erlaubt der Gesetzgeber bereits seit 2001 den Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken. Mehr als 160.000 schwer kranke Patienten seien als Nutzer von medizinischem Cannabis registriert. Viele seien auf den täglichen Gebrauch eines Fahrzeugs angewiesen. Daten aus den USA legten sogar einen Rückgang von Autounfällen im Zusammenhang mit der medizinischen Nutzung von Cannabis nahe.

Kanada hat – wie auch Deutschland – seine Regelungen zur Fahrtüchtigkeit mit dem Gesetz zur Freigabe von medizinischem Cannabis nicht geändert. Allerdings, so weist Tilray hin, kam es bei einigen Cannabispatienten in Kanada zum Entzug der Fahrerlaubnis, weil im Blut noch zu hohe THC-Spiegel nachweisbar waren. Sie hätten Gerichtsverfahren bis in die höchste Instanz nach sich gezogen – nicht jeder Betroffene erhielt seinen Führerschein zurück. Über die konkreten Fälle ist indes nichts bekannt. In Australien arbeitet Tilray mit der University of Sydney an einer Studie für die australischen Verkehrs- und Gesundheitsbehörden, um die Datenbasis für das Festlegen von Vorschriften für Cannabispatienten zu ermöglichen.

Verkehrsgerichtstag bisher außen vor

Bisher wird eine fachlich fundierte, evidenzbasierte Debatte über das Verkehrssicherheitsrisiko, das von Cannabispatienten am Steuer ausgehen kann, in Deutschland nicht geführt – zumindest nicht öffentlich wahrnehmbar. Ein Zeichen setzen könnte der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag im Januar in Goslar, wenn er das Thema auf die Agenda setze.

Die Regierung gibt in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage die Steilvorlage: Ein Führerscheinentzug sei bei missbräuchlicher Einnahme cannabishaltiger Arznei möglich – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, da hier von der Konsummotivation her kein Unterschied zum Vergnügungs-Joint zu sehen ist. Zuletzt hat er sich 2006 mit THC am Steuer beschäftigt – und zwar mit den Folgen illegalen Konsums.

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