Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
Höhere Hürden für Versorgung von Asylbewerbern senken Ausgaben nicht
Bis zu drei Jahre erhalten Asylbewerber nach einer Rechtsänderung nur eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung. Laut einer DIW-Studie trägt das nicht zu sinkenden Ausgaben bei.
Veröffentlicht:Berlin. Asylbewerber erhalten nach einer Gesetzesänderung seit Ende Februar länger als bisher nur eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung. Das wird die Kosten der Gesundheitsversorgung für Geflüchtete nicht verringern. Davon zeigt sich Louise Biddle, Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) überzeugt.
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhielten Geflüchtete bisher maximal 18 Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland nur eine auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkte Versorgung. Bund und Länder hatten sich dann aber im vergangenen November auf Schritte geeinigt, durch die „Pull“-Faktoren der Migration nach Deutschland verringert werden sollten. Seit Ende Februar ist die eingeschränkte Gesundheitsversorgung für diese Gruppe daher auf 36 Monate verlängert worden.
Dies entsprach insbesondere dem Wunsch unionsregierter Bundesländer sowie der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. In einem Antrag hatte die Union im vergangenen November den „hohen Standard der deutschen Sozialleistungen“ als eine Ursache für die steigende Zahl von Asylanträgen erkannt. Eine Verlängerung der eingeschränkten Gesundheitsversorgung für Geflüchtete könne pro Jahr bundesweit Einsparungen „im dreistelligen Millionenbereich“ ermöglichen, hieß es.
Praxis des Behandlungsscheins ist aufwändig und teuer
Dem widerspricht DIW-Wissenschaftlerin Biddle. Es gebe eine solide Studienlage, die erkennen lasse, dass Einschränkungen in der Versorgung zu langfristig höheren Gesundheitsausgaben führen, sagte sie am Mittwoch bei einer Online-Pressekonferenz des DIW. „Werden Gesundheitsprobleme erst adressiert, wenn dies unerlässlich ist oder es sich um einen Notfall handelt, ist es meist teurer als eine frühzeitige Behandlung“, sagte Biddle.
Je nach dem individuellen Status des Asylverfahrens werde sich die tatsächliche Wartezeit auf eine reguläre Gesundheitsversorgung von rund einem auf zwei Jahre verlängern, teilte das DIW unter Verweis auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) mit.
Die bisher überwiegende Praxis, dass Geflüchtete vor einer Versorgung beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen müsse, sei nicht nur ineffizient und verwaltungsaufwendig. Je nach Auslegung der Bestimmungen des AsylbLG sei auch die Genehmigungspraxis lokal und regional extrem unterschiedlich, erläuterte Biddle. Damit würden zudem medizinische Laien über den Zugang zur Versorgung entscheiden.
Personen mit geringer Bildung besonders betroffen
Sie monierte, dass die elektronische Gesundheitskarte (eKG) für Geflüchtete bisher nur in sechs Bundesländern – und das auch nicht flächendeckend – eingeführt worden sei. Im Jahr 2021 wohnten 24 Prozent der Geflüchteten in einer Region, in der die eKG bereits etabliert worden ist. Hamburg beispielsweise habe den Verwaltungsaufwand im Vergleich zu den früheren Behandlungsscheinen um jährlich 1,6 Millionen Euro verringern können. Zudem würden bürokratische Hürden für Patienten und Ärzte abgebaut, da via eKG auch Klarheit über den Umfang der von der Kasse bezahlten Gesundheitsleistungen geschaffen werde.
Nach Angaben des DIW wird die länger eingeschränkte Gesundheitsversorgung für Geflüchtete insbesondere zu Lasten von Personen mit niedriger Bildung und geringeren Deutschkenntnissen gehen – obwohl diese Gruppe in der Regel eine höhere Krankheitslast aufweise.
Grundlage des Berichts ist eine Befragung von Geflüchteten im Rahmen von SOEP. Weiterhin wurden in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt und Bildungsforschung und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Daten von Geflüchteten erhoben, die von 2013 bis 2020 nach Deutschland gekommen sind. (fst)