EvidenzUpdate-Podcast

Faschismus oder Medizin? „Ärztin/Arzt sein, ist eine Grundhaltung, die 24/7 gilt!“

Besondere Zeiten verlangen besondere Podcast-Episoden. Deswegen gehen wir in diesem EvidenzUpdate der Frage nach, warum Faschismus eine Kontraindikation für Wissenschaft und Medizin ist. Und es gibt einen „Practice Pointer“ fürs Berufsrecht.

Prof. Dr. med. Martin SchererVon Prof. Dr. med. Martin Scherer und Denis NößlerDenis Nößler Veröffentlicht:

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Nach drei Folgen Evidenz und Jahresrück- und Jahresausblick wird es angesichts der Entwicklungen in der Zivilgesellschaft Zeit für ein etwas ungewöhnliches Gespräch im EvidenzUpdate-Podcast. Wir haben uns angesichts rechtspopulistischer Entwicklungen der Gesellschaft gefragt, wie Wissenschaft sich dazu verhalten soll oder muss? Im Gespräch kommen wir zu dem Gedanken, dass sowohl Medizin, als auch der ärztliche Beruf klar kontraindiziert sind zu Faschismus, Rassismus oder Ausgrenzung. Und selbst das Berufsrecht zieht Grenzen. (Dauer: 21:24 Minuten)

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Schreiben Sie uns: evidenzupdate@springer.com

Zusammenfassung

(Erstellt von ChatGPT Version 4)

Der Podcast EvidenzUpdate diskutiert in einer besonderen Episode das Thema Faschismus in Verbindung mit Wissenschaft und Medizin. Martin Scherer erklärt, warum sich wissenschaftliche Fachgesellschaften zu gesellschaftspolitischen Themen äußern sollten. Sie betonen die Unvereinbarkeit von Faschismus mit ärztlichen und wissenschaftlichen Werten, indem sie auf das Genfer Gelöbnis verweisen. Sie diskutieren die Bedeutung von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit und betonen, dass Hass und Diskriminierung keine akzeptablen Meinungen sind. Scherer erläutert, wie Institutionen mit solchen Fällen umgehen sollten, und hebt die kontinuierliche Arbeit zur Erhaltung von Demokratie und Menschlichkeit hervor. Sie betonen, dass ärztliche Werte 24/7 gelten und dass Wissenschaft und Medizin auf einem Fundament der Menschlichkeit beruhen müssen. Die Episode endet mit dem Ausblick auf zukünftige Podcast-Themen.

Quellen

  1. Raspe H, Pfaff H, Härter M, Hart D, Koch-Gromus U, Schwartz FW, Siegrist J, et al., editors. Stellungnahme: Versorgungsforschung in Deutschland: Stand – Perspektiven – Förderung. Deutsche Forschungsgemeinschaft; 2010. https://www.dfg.de/resource/blob/169894/36598b02cb7f3764ab5894d85c24a47d/stellungnahme-versorgungsforschung-data.pdf
  2. Terra X History. Ich bin! Margot Friedländer. ZDF; 2023. https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x-history/ich-bin-margot-friedlaender-holocaustueberlebende-100.html
  3. Weltärztebund. Deklaration von Genf. WMA. 2018. Available from: https://www.wma.net/wp-content/uploads/2016/11/Deklaration-von-Genf-DE-2017.pdf

Transkript

Nößler: Was haben Faschisten eigentlich mit Wissenschaft zu tun? Oder anders gefragt: Was hat Wissenschaft eigentlich mit Faschisten zu tun? Zeit für eine etwas besondere Episode. Und damit herzlich willkommen zum EvidenzUpdate-Podcast. Wir, das sind ...

Scherer: Martin Scherer.

Nößler: Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der DEGAM und Direktor des Instituts und Poliklinik für Allgemeinmedizin am UKE in Hamburg. Und hier am Mikrofon ist Denis Nößler, Chefredakteur der Ärzte Zeitung aus dem Haus Springer Medizin. Moin, Herr Scherer!

Scherer: Hallo Herr Nößler! Wie geht es Ihnen?

Nößler: Gut. Und wie geht es Ihnen?

Scherer: Danke, auch.

Nößler: Wir wollen heute eben mal nicht über Evidenz sprechen. Das ist ja auch ein politisches Format, das wir haben, gesellschaftspolitisches Format manchmal. Heute also weniger über Evidenz, sondern vielmehr über gesellschaftliche Metaphysik. Und zwar, wir haben es im Intro schon verraten, es geht um Faschisten. Wir benutzen diesen Begriff auch aus guten Gründen sehr deutlich. Vielleicht erinnern sich viele an diese Berichte von vor einigen Wochen über die „Wannenseekonferenz 2.0“, bei denen solche Menschen sich Gedanken gemacht haben, Pläne geschmiedet haben über Remigration, das ist das Wort. Als Sie das damals, Herr Scherer, gehört, gelesen, mitbekommen haben, was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?

Scherer: Insgesamt haben wir eine Entwicklung in unserem Land, die nicht nur die DEGAM, sondern viele andere Menschen, die auf die Straße gehen, Sorgen bereiten. Deshalb haben wir uns auch in einer Stellungnahme dazu geäußert. Wir haben die Stellungnahme genannt: Menschenfeindlichkeit, Gift für die Medizin und unser Zusammenleben. Wir haben uns natürlich vorher Gedanken gemacht: Sollte sich eine wissenschaftliche Fachgesellschaft dazu äußern? Sollte sie sich gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus äußern? Und das haben wir für uns klar bejaht.

Nößler: Warum eigentlich? Das wäre nämlich genau die Frage: Warum äußert sich eine wissenschaftliche Fachgesellschaft zu diesen Themen, die sich eigentlich mit Dingen in der hausärztlichen Praxis beschäftigt und der Evidenz dahinter? Ist das so eine Art Mainstream, bei dem man einfach mitschwimmt? Jetzt mal bös gefragt.

Scherer: Ärztliches Handeln verträgt sich mit keiner Art der Ausgrenzung. Und wir wissen, dass die Medizin im Dritten Reich eine unrühmliche Rolle gespielt hat.

Nößler: Das ist nett ausgedrückt.

Scherer: Übrigens, nicht nur die Medizin. Weder die Juristen noch die Pädagogen, noch die Kirche und auch nicht die Mediziner haben sich zu Beginn des Dritten Reichs geäußert. Und nicht ohne Grund haben wir auch ein Erinnerungsprojekt, über das die Ärzte Zeitung schon öfter berichtet hat.

Nößler: Das leere Sprechzimmer.

Scherer: Das eigentlich nur eine Schlussfolgerung zulässt. Sie heißt: „Nie wieder!“ Wenn wir wirklich aus der Geschichte lernen wollen, dann müssen wir das auch in die Tat umsetzen, und zwar jetzt. Und deshalb haben wir uns geäußert.

Nößler: Jetzt kann man natürlich sagen, wir kommen gleich noch mal auf den ärztlichen Aspekt, der da drinsteckt, zu sprechen. Da sind wir dann noch ganz schnell beim Genfer Gelöbnis, da werden die Sachen etwas klarer. Aber noch mal, wir haben aus guten Gründen in der Gesellschaft eine gewisse Arbeitsteilung. Wir haben wissenschaftliche Fachgesellschaften, die beschäftigen sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen, wir haben Parteien, wo politische Willensbildung stattfindet. Wir haben zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich mit solchen zivilgesellschaftlichen Themen beschäftigen. Und alles hängt ja miteinander. Es ist ja nicht so, dass jemand, der wissenschaftlich unterwegs ist, nur Wissenschaft macht. Er ist ja auch im Zweifel zivilgesellschaftlich unterwegs. Würde man nicht eigentlich ganz salopp sagen: Ja, klar, man kann sich als DEGAM-Mitglied auch zivilgesellschaftlich zu diesen Dingen äußern, aber überlasst doch der DEGAM mal ihr DEGAM-Ding, zum Beispiel jetzt mal Leitlinien. Woher kam der Impuls?

Scherer: Weil sich ärztliches Handeln und Wissenschaft in einem normativen Rahmen bewegt. Sie wissen ja, dass ich unter anderem auch Versorgungsforschung betreibe. Und ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt ist, dass die DFG sich vor Jahren schon mal zur Versorgungsforschung geäußert hat. Es ist einige Zeit her, 2010, als sich viele Leute noch fragten, was ist denn Versorgungsforschung eigentlich. Gibt es eine DFG-Stellungnahme, die die Versorgungsforschung in einen größeren Kontext, in einen interdisziplinären, interprofessionellen Kontext gestellt und gesagt hat: Also, wenn wir Versorgungsforschung betreiben, dann müssten eigentlich Juristen dabei sein, da müssten Ethiker mit dabei sein, vielleicht sogar auch Theologen mit dabei sein. Mit anderen Worten: Forschung bewegt sich in einem normativen Kontext. Ich weiß nicht, Herr Nößler, wie viel Ausgaben wir jetzt gemacht haben, wie viel Evidenz-Updates – sind es über 150? Ich weiß es nicht.

Nößler: 122.

Scherer: Gefühlt über 150. Und da haben wir unzählige Studien durchgesprochen. Und dabei überlegt, welcher diagnostischer, therapeutischer Ansatz hilft jetzt. Und da sind wir immer von dem Grundsatz ausgegangen, wir wollen Wissenschaft und Medizin betreiben, die allen hilft, ohne eine Vorabselektion. Wenn das Case-finding-Algorithmen gibt, dann sind die nachgelagert hinter der normativen Barriere. Dann geht es um so Fragen wie: Wem hilft welche Behandlung besonders? Welche persönlichen oder personenbezogenen Charakteristika muss man berücksichtigen bei Case-finding-Algorithmen? Das sind alles Selektionsverfahren, die dann auch die jeweils wissenschaftliche Begründung gibt. Aber worauf ich hinauswill, der normative Kontext, in dem wir Studien durchgesprochen haben – und das auch hoffentlich weiterhin machen in unserem Evidenz-Update –, wir machen Wissenschaft und Medizin, die allen Menschen zugutekommt, ohne Vorabausgrenzung. Man kann keine Wissenschaft betreiben, ohne ethischen Prinzipien, deshalb gibt es auch immer einen Ethikantrag, und ohne dass man auf einem festen normativen Fundament steht. Und genauso kann man auch nicht Ärztin oder Arzt sein, ohne Grundsätze der Menschlichkeit oder des Humanismus verinnerlicht zu haben. Und ohne davon auszugehen, meine Praxistür ist allen offen, egal welche Hautfarbe, egal welche religiöse Ausrichtung, egal wo er oder sie herkommt.

Nößler: Ich will auf das Ärztliche später noch mal zurückkommen. Ich möchte gerne noch mal tatsächlich, um das noch mal zu trennen, den ärztlichen Beruf von dem Beruf der Wissenschaftlerin und des Wissenschaftlers, speziell in das Wissenschaftliche hineinschauen. Sie haben die DFG-Stellungnahme erwähnt zum Thema Versorgungsforschung. Herr Scherer, wo packen wir die hin?

Scherer: In die Shownotes.

Nößler: Noch mal ganz grundsätzlich gefragt: Kann man sich bei diesem Thema, über das wir sprechen, was eine sehr fundamentale, ich hätte jetzt fast gesagt Fragestellung ist – im Prinzip muss man sagen, es geht hier gar nicht um eine Fragestellung, es geht darum, offensichtlich einen Unfug von sich zu weisen. Bedeutet es zwangsläufig auch Richtung Wissenschaft, man kann sich nicht nicht verhalten oder anders gesagt, nein, es ist egal was man tut beruflich, man muss sich verhalten?

Scherer: Das würde ich so unterschreiben, Herrn Nößler. Deshalb haben wir uns auch geäußert. Es ist ein Ruf nach innen und nach außen. Also es ist ein Ruf in die Gesellschaft hinein, der all die unterstützt, die jetzt gerade aktiv werden und deutlich machen soll, was ich eben versucht habe zu beschreiben, das ist auch für die Wissenschaft relevant. Aber es soll auch ein Schuss vor den Bug sein, für alle die, die latent für diskriminierendes Gedankengut anfällig sein könnten und dass da deutlich wird, mit DEGAM-Gedankengut, mit DEGAM-Werten, mit den Grundwerten der allgemeinmedizinischen Wissenschaft und des allgemeinmedizinischen Handelns ist das nicht vereinbar. Das ist etwas, was mir und uns persönlich wichtig ist. Und da gibt es keine Vorab-Selektion. Wie gesagt, Herr Nößler, ich habe eben damit angefangen, dass ich gesagt habe, weder die Juristen, noch die Pädagogen, noch die Kirche, noch die Medizin hat sich zu Beginn des Dritten Reiches lautstark geäußert.

Nößler: Dann ist es quasi jetzt das gelebte „Wehret den Anfängen“. Lassen Sie uns ganz kurz so ein bisschen in der Wissenschaftstheorie auch bleiben. Sie haben es, meine ich, schon angedeutet, dass Wissenschaft – und ist es auch tatsächlich nicht nur in den Wissenschaftsgesetzen der Länder, sondern letztlich auch in unserer Verfassung angelegt – ein hohes Maß an Freiheit braucht. Das wird auch in der Wissenschaftsverfassung, also in der inneren Verfasstheit so gelebt. Wir brauchen freiheitliches Fundament. Sehen Sie dieses freiheitliche Fundament der Wissenschaft durch diese Umtriebe, die es da jetzt gibt, radikal gefährdet?

Scherer: Zumindest ist die Selbstverständlichkeit gefährdet, dass wir uns auf dieses Fundament verlassen können. Die letzten Jahrzehnte erschien dieses Fundament als ein Selbstläufer zu sein. Wir müssen jetzt schmerzhaft erkennen, das ist kein Selbstläufer. Man muss was dafür tun, man muss dafür kämpfen.

Nößler: Müssen wir es umdrehen vielleicht. Weil es gibt ja auch gerade in wissenschaftlichen Institutionen jetzt durchaus Ereignisse in den letzten Wochen, die mindestens denkwürdig sind. Zur Wissenschaftsfreiheit gehört ja letztlich auch ein Stück weit Meinungsfreiheit. Und wenn man sich jetzt anschaut, was da eben auch passiert ist in einzelnen Vorlesungen, insbesondere in Berlin – das werden die us würde niemand sagen, ist Wissenschaftsfreiheit. Antisemitismus ist etwas Verbotenes.

Scherer: Korrekt. Die Grenzen sind durch unsere Verfassung gesetzt. Und dementsprechend findet man die Grenzen der Freiheit, indem man überprüft, ob die Meinungen, die da geäußert werden – Sie haben völlig recht, Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, muss es auch bleiben –, mit den Grundsätzen der Verfassung übereinstimmen. Das ist ein mühseliges Geschäft und muss immer wieder gemacht werden. Aber genau das ist die Arbeit, die mit dem Erhalt der Demokratie zu tun hat. Und wer hat behauptet, dass Demokratieerhalt keine Arbeit sei?

Nößler: Und auf der anderen Seite: Wer hat behauptet, dass Hass eine Meinung sein dürfte. Ich sehe Sie nicken, Herr Scherer.

Scherer: Das wissen viele nicht, dass wir uns bei der Podcast-Aufnahme sehen können.

Nößler: Genau. Und Nicken kann man nicht hören, sofern die Gelenke und der Rest am Hals in Ordnung sind. Also, schauen wir doch mal so ein bisschen in die ärztliche Profession hinein. Sie haben es hier und da eben schon angesprochen. Wir hatten schon das Stichwort Genfer Gelöbnis. Und jetzt kommt wieder der Nößler, der eigentlich nur rezitiert und wiederholt, vielleicht noch mal eine ganz klipp und klare Antwort auf die Frage, Herr Scherer: Dürfen und können Gesundheitsberufe – und ich benutze mal tatsächlich diesen Begriff als übergreifenden Begriff – eigentlich Faschisten sein?

Scherer: In meiner Vorstellung nicht. Und in der Vorstellung der DEGAM auch nicht. Und deshalb – ich habe es eingangs schon erwähnt – haben wir auch das Erinnerungsprojekt, das uns alle immer wieder dazu animieren soll, darauf zu achten, dass wir keinerlei Ausgrenzung betreiben und die Ausgrenzung schon in ihren Anfängen erkennen und auch bekämpfen. Im Grunde genommen ist es die Quintessenz der Erinnerungsarbeit der DEGAM, dass wir unsere Praxen offenhalten, dass wir unsere Herzen auch offenhalten. Und dass eigentlich alles sich verbietet, was wider die Menschlichkeit ist. Und ich muss Ihnen auch sagen, Herr Nößler, ich habe das so nicht kommen sehen. Diese Tendenzen in unserer Gesellschaft, die gibt es nicht erst seit gestern, es wurde seit vielen Jahren davor gewarnt. Aber als ich 2019 in Erlangen zum ersten Mal zum DEGAM-Präsidenten gewählt wurde und dann da ein neues Präsidium an den Start gegangen ist, da hatten wir die üblichen Themen, die üblichen evidenzbasierten Themen. Dass wir mal ein Podcast machen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, das habe ich so nicht kommen sehen. Und auch so eine Stellungnahme, dass so eine DEGAM-Stellungnahme, wie wir sie jetzt kürzlich gemacht haben, mal nötig sein würde, damit habe ich so nicht gerechnet.

Nößler: Und 2019 saßen die Faschisten schon im Bundestag. Sie haben in der DEGAM-Stellungnahme den sechsten Satz aus dem Genfer Gelöbnis zitiert, nämlich: Ich werde nicht zulassen, dass Erwägung von Alter, Krankheit, Behinderung, Glaube, ethischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Rasse, sozialer Stellung et cetera zwischen meine Pflichten und meine Patientinnen und Patienten treten. Und wenn man noch weiter hochgeht in das ärztliche Gelöbnis, dann ist es schon der erste Satz, der sagt: Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Und an weiterer Stelle heißt es: Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren. Und da steht nicht „vor deutschem Leben“ oder anderem. Sie sagen, nein, so ein Gedankengut, so ein Handeln ist nicht vereinbar mit den Werten der DEGAM. Dann ist es aber eigentlich auch nicht vereinbar mit generell den ärztlichen Werten. Müsste man solche Menschen nicht aus dem Beruf rausschmeißen?

Scherer: Herr Nößler, Sie sagen „solche Menschen“. Da müssen wir selber aufpassen, dass wir nicht plötzlich eine Gruppe von Menschen in irgendeinen Topf werfen. Man muss sich da mit jeder einzelnen Äußerung befassen. Das ist ein sehr mühsames Geschäft. Aber deshalb gehen wir damit an die Öffentlichkeit, deshalb machen wir solche Stellungnahmen, um den Rahmen vorzugeben dessen, was geht und was nicht geht. Und wenn ich eben gesagt habe, ich habe einen solchen Podcast wie diesen so nicht kommen sehen, ich habe solche Pressemitteilung nicht kommen sehen, dann habe ich nicht kommen sehen, dass plötzlich wieder Sachen gesagt werden dürfen, die Jahrzehntelang nicht gesagt werden durften. Meines Erachtens dürfen sie auch jetzt nicht gesagt werden. Aber es scheinen ja die Grenzen dessen, was denkbar und sagbar ist, immer weiter ausgedehnt zu werden.

Nößler: Das ist ja systematisch.

Scherer: Richtig. Und wenn Sie jetzt sagen, Herr Nößler, muss man solche Menschen nicht aus der DEGAM schmeißen, dann muss ich Ihnen einerseits sagen, zum Glück ist mir das jetzt noch nicht begegnet, hoffentlich wird mir das auch nicht begegnen, und sollte es vorkommen, dann müssen wir uns mit diesen Äußerungen befassen und dann konsequent damit umgehen.

Nößler: Sie haben natürlich recht, Herr Scherer, „solche Menschen“ ist auch schon wieder eine Sprache, die Kategorien schafft. Und das klare Motiv am Rassismus ist ja zu kategorisieren. Und dann muss man ehrlicherweise auch sagen, „wehret den Anfängen“ bedeutet nicht nur, dass man erkennt, was kommt, sondern dass man auch mitbekommt, wie einen das selbst verändert, was da passiert. Und der Begriff „solche Menschen“ ist dann ja schon Ausdruck von: Obacht, da passiert auch was im eigenen Kopf. Aber machen wir es noch mal konkret. Also Sie sind ja nicht nur DEGAM-Präsident – und ich denke, ich habe die Satzung jetzt nicht in- und auswendig im Kopf, aber im Mitgliedsausschuss wird da ja auch nicht diktatorisch par ordre du mufti entschieden, dafür gibt es Gremien die das zu machen haben, und sicherlich ganz harte Grenzen. Sie sind aber auch Vorgesetzter. Sie sind im weitesten Sinne Vertreter einer Dienstgeberin als Institutsdirektor und haben dort auch einige Mitarbeiter. Jetzt unterstellen wir mal, dass Sie eigentlich ein total feines Kollektiv haben, dass auch unverdächtig ist dieser Dinge. Aber mal ganz grundsätzlich, sehr theoretisch, hypothetisch gefragt: Wenn Sie Vorgesetzter oder Arbeitgeber wären und Sie würden feststellen, in Ihrem Kollegium treibt sich eine Person um, die auf so einer Faschistendemo mitläuft und da blöde Sachen rumpöbelt, die zu den Werten, die Ihr Institut zu verkörpern und zu leben hat, gar nicht passen, dann würden Sie diese Person sicherlich doch versuchen, vor die Tür zu setzen, oder? Also ich kann das für mich sagen, ich würde das tun.

Scherer: Da muss man sich mit jedem einzelnen Fall befassen. Und jede Einrichtung hat ihre Verfahren, wie man mit so was umgeht. Da muss man genau anschauen, hat sie oder er es im privaten Kontext gemacht, stand das im beruflichen Zusammenhang. Aber hierfür gibt es Verfahren. Und hierfür hat jede Einrichtung des öffentlichen Rechts ihre Abläufe.

Nößler: An der Stelle, Herr Scherer, darf ich mal ein Practice Pointer machen in Richtung Berufsrecht? Man könnte jetzt, wenn ich Ärztin oder Arzt bin und in meiner Freizeit unterwegs bin, sagen, alles, was ich da äußere, das ist privat. In dem Moment – und das wäre jetzt vielleicht der wohlwollende Practice Pointer – wo ich als Ärztin oder Arzt mich erkennen gebe, unterliege ich dem Berufsrecht bei allem, was ich sage. Und wenn ich mich zu erkennen gebe als Ärztin oder Arzt und gewisse Dinge sage, die mit ärztlichen Werten nicht zu vereinbaren sind, dann könnte das berufsrechtliche Konsequenzen haben.

Scherer: Das ist ein guter Practice Pointer. Und Ärztin/Arzt sein ist eine Grundhaltung, die 24/7 gilt. Die gilt nicht nur 9 to 5, sondern 24/7. Und diese Grundhaltung bedeutet, wie das Margot Friedlander, die Holocaust-Überlebende, in einem Alter von 102 so schön gesagt hat: Es gibt kein jüdisches, kein christliches, kein muslimisches Blut, kein deutsches Blut, es gibt nur menschliches Blut. Das ist eine Grundhaltung, ohne die das ärztliche Handeln und die Wissenschaft nicht möglich ist und die der Boden ist, auf dem wir uns bewegen.

Nößler: Ein besseres Schlusswort kann man sich nicht vorstellen, Herr Scherer. Dann bedanke ich mich bei Ihnen für diese Worte, jedenfalls für diese Gedanken. Vielleicht helfen sie der einen oder dem anderen nachzudenken, was passiert und was wir dagegen tun sollen. Und Herr Scherer, wir machen weiter, beim nächsten Mal wahrscheinlich wieder mit Evidenz, oder?

Scherer: Absolut. Da freue ich mich drauf.

Nößler: Dann Grüße nach da draußen, bleiben Sie alle fröhlich, gesund und mit guten Gedanken. Sie auch, Herr Scherer.

Scherer: Bis dann. Tschüss.

Nößler: Tschüss.

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