Abgewiesen
Kein Schmerzensgeld für die künstliche Ernährung des Vaters
Das Münchener Landgericht hat die Klage gegen einen Hausarzt, der einen Patienten vermeintlich unnötig lange künstlich ernähren ließ, abgewiesen. Gleichwohl attestierte es einen Behandlungsfehler, da der Patientenwillen nicht ermittelt worden worden sei.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. 150.000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangt Heinrich Sening vom Hausarzt seines Vaters, dem er vorwirft, den Schwerkranken zu lange am Leben gehalten zu haben. Statt dem inzwischen verstorbenen Vater zu helfen, habe man ihn unnötig gequält.
Das Landgericht München sah dafür keine eindeutigen Belege und wies die Klage ab.
Streit um Ernährung
Der chronisch kranke und demente Vater war von 2006 an über eine Magensonde ernährt worden. Spätestens ein Jahr vor seinem Tod 2011 sei das nicht mehr fachärztlich angemessen gewesen, befand der Sohn.
Das Gericht hatte jedoch in der mündlichen Verhandlung im November das Versäumnis des Arztes lediglich darin gesehen, dass er nicht den Sohn und vor allem den Betreuer zum Beratungsgespräch über das weitere Vorgehen bei dem Patienten gebeten hatte.
Ab 1997 war für den Vater ein Rechtsanwalt als Betreuer eingesetzt. Er hatte seitdem die Personen- und Gesundheitsfürsorge für ihn inne. Seit 2006 lebte der Patient in einem Pflegeheim.
In den letzten beiden Lebensjahren ging es ihm gesundheitlich oft sehr schlecht. Er litt unter anderem unter Fieber, Pneumonien und Atembeschwerden. Ernährt wurde er über eine PEG-Sonde. Vor allem diese künstliche Ernährung war nun Gegenstand der Klage.
Der Sohn argumentierte, die Sonde sei in dieser Zeit nicht indiziert gewesen. Sie habe das unvermeidliche Sterben des Vaters nur unnötig verlängert. Ihre Verwendung sah er daher als rechtswidrigen körperlichen Eingriff an. Der Arzt habe damit einen Behandlungsfehler begangen.
Nachvollziehbare Argumentation
Das Gericht ließ in der Urteilsbegründung zwar durchblicken, diese Argumentation nachvollziehen zu können. In den betreffenden Jahren habe es nach Einschätzung von Sachverständigen keine Aussicht auf Besserung mehr gegeben. Nach gängigen Leitlinien sei eine künstliche Ernährung damit nicht indiziert gewesen.
Aber: Die Klarheit der Indikation sei laut Gutacher dadurch eingeschränkt gewesen, dass der Patient selbst sich nicht mehr habe äußern können. Außerdem sei nicht belegt worden, dass die Sonde ursächlich für eine Schädigung des Vaters gewesen sei.
Ein wichtiger Teilaspekt zu Ungunsten des Klägers: Die PEG-Sonde war von dem beklagten Hausarzt nicht neu gelegt worden. Der Patient hatte sie schon seit 2006. Der beklagte Hausarzt betreute ihn aber erst seit 2007. 2010 und 2011 ging es also darum, ob die Sonde weiterhin verwendet würde.
Der Arzt war dem Gericht zufolge nicht verpflichtet, die Sonde zu entfernen. Er wäre fachlich dazu auch nicht berechtigt gewesen. Allerdings sei er verpflichtet gewesen, deren Notwendigkeit regelmäßig zu hinterfragen. Insofern hätte er Anfang 2010 mit dem Betreuer des Patienten besprechen müssen, ob die Sonde bleiben oder entfernt werden soll.
Verletzung des BGB
Das hatte der Arzt unterlassen. Das Gericht sah darin eine Verletzung seiner Verpflichtung aus § 1901b BGB ("Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens") und damit einen Behandlungsfehler. Übrigens hatte der Kläger selbst zur Feststellung des Patientenwillens auch nicht beitragen wollen. Er hatte den Vater seit 2008 nicht mehr besucht.
Prinzipiell, so die Richter, sei nicht klar, ob die Behandlung anders verlaufen wäre, wenn es die Erörterung gegeben hätte. Grundsätzlich sei nicht davon auszugehen, dass eine Behandlung ohne weitergehendes Therapieziel zu unterbleiben habe.
Klägeranwalt Wolfgang Putz kündigte bereits an, in Revision zu gehen.
Landgericht München
Az.: 9 O 5246/14