Richten Gebete für kranke Menschen Schaden an?
So etwas gibt es heutzutage vorerst nur in den USA: Studien, in denen der Einfluß von Gott oder sonstigen höheren Mächten auf die Heilung kranker Menschen streng wissenschaftlich untersucht wird, prospektiv, randomisiert, kontrolliert und blind. Denn wo, wie in den USA, die Berufung auf Gottes Wille und Wirken zum Alltag gehören, wo in vielen Schulen die Schöpfungsgeschichte gelehrt wird statt der Evolutionstheorie - und wo zugleich Wissenschaft weniger beschwert ist mit Problem-Fragen oder philosophischem Ballast als im alten Europa, da wagen sich Forscher schon eher mal an das vermeintlich Unmögliche.
Jüngstes Ergebnis dieses seltsam ernsten und doch zugleich pragmatisch-unbeschwerten Umgangs mit dem Religiösen ist eine große Studie mit dem Namen STEP, die auch in Deutschland in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt hat. Untersucht werden sollte, welchen Nutzen Gebete für Patienten nach einer Bypass-Operation haben. Teilgenommen an der Studie haben genau 1802 Patienten an sechs US-amerikanischen Kliniken.
Dabei ging es allerdings nicht um Gebete, die von den Patienten selbst gesprochen werden. Daß sowas nützlich sein könnte, würde niemanden besonders überraschen. Auch nicht die Gottesfernen im säkularen alten Europa. Denn daß Beten und Gottvertrauen, ähnlich wie viele andere Kontemplationsmaßnahmen und Gewißheiten, zu innerer Ruhe führen können, was weniger Streß bedeutet und damit der Heilung zuträglich ist, ist ja eine Binsenweisheit.
Nein, es ging in STEP um Gebete, die von anderen Leuten für Patienten gesprochen wurden, wobei diese anderen Leute die Patienten noch nicht einmal kennen durften. Womit es hier um einen grundlegend anderen Wirkzusammenhang geht als bei der Sache mit der selbst herbeigeführten inneren Ruhe.
Geleitet hat die STEP-Studie ein Mann, der über die Beobachtung von Streß und der heilsamen Wirkung von Entspannungsübungen im Laufe der Jahre zu der Idee gekommen ist, daß hier Gott helfend im Spiel ist, und der in den USA als Pionier in Sachen Geist-Körper-Verbindung gilt: Professor Herbert Benson, Alter: Anfang 70, Kardiologe an der Harvard-Universität in Boston im US-Staat Massachusetts, Präsident des 1988 von ihm gegründeten Geist/Körper-Instituts.
In den 60er Jahren erforschte er, wie Affen durch Verhaltensänderungen, die mit Biofeedback-Technik ausgelöst werden, ihren Blutdruck senken können. Wenig später stellte er fest, daß Menschen mit Hilfe von Meditation ihre Herz- und Atemfrequenz und ihren Blutdruck nach unten zwingen können. Von seinen vielen Büchern, unter denen die 1975 erstmals erschienene "Antwort auf Entspannung" ("The relaxation response") das erfolgreichste war, wurden weltweit mehr vier als Millionen Exemplare verkauft. Seine Forschungsergebnisse rund um die Folgen von Entspannung gelten inzwischen als wichtige, lange Zeit fehlende wissenschaftliche Belege für die heilende Kraft von Ruhe und Ausgeglichenheit.
Aus den Beobachtungen zur Technik von Streß-Abbau wurde ein Therapie-Konzept, das als Ergänzung zur Arzneimittel-Therapie und zu chirurgischen Maßnahmen gedacht war. Später erhielt das Ganze dann einen spirituellen Überbau, einen von verblüffend schlichter Beschaffenheit. Das menschliche Gehirn, so postulierte Benson, sei irgendwie genetisch fest mit Gott verdrahtet ("our brains being wired for God"), weil, vereinfacht gesagt, Menschen zu allen Zeiten an höhere Wesen geglaubt haben. Man sehe sich doch nur einmal die Situation in den USA an: "95 Prozent sagen, sie glauben an Gott, und 90 Prozent beten regelmäßig."
Nun ja. Das alles führt zwar schon zur Beschäftigung mit Gebeten in der Medizin, begründet aber noch längst nicht die STEP-Idee, wonach Patienten mit Gebeten von anderen definitiv und nachweisbar medizinisch geholfen werden könnte. Früher jedenfalls war Benson diese Vorstellung noch sehr suspekt: "Ich verstehe diese Idee nicht, die auf Mechanismen beruht, von denen die Wissenschaft nichts weiß", sagte er im Oktober 1996 in einem Interview mit der Zeitschrift "Technology Review".
Das war vor zehn Jahren. Wenig später muß ihm aber eine Erleuchtung gekommen sein. Welche, das bleibt im Dunkeln. Jedenfalls hat er in den letzten Jahren STEP gemacht. Sie ist die größte Studie dieser Art bisher. Einige andere, kleinere von anderen Forschern, gibt es bereits. Bezahlt wurde STEP von der steinreichen John-Templeton-Stiftung, die alles unterstützt, was Wissenschaft und Religion oder anderes Spirituelles auf einen Nenner zu bringen versucht und die ebenfalls in Deutschland schon für Schlagzeilen gesorgt hat.
Ungläubige in Sachen Religion und übernatürliche Erscheinungen würden selbstverständlich prophezeit haben, daß ein Nutzen durch Gebete für Patienten nicht nachgewiesen werden kann. Und sie hätten recht damit gehabt. Die Fürbitten anderer Leute haben den STEP-Patienten tatsächlich nicht geholfen.
Zur großen Überraschung von Gläubigen und Nicht-Gläubigen ist jedoch das Gegenteil von dem herausgekommen, was die Studien-Ärzte erwartet haben: Die Gebete haben mit 14 Prozent einen statistisch signifikanten (!) Schaden angerichtet in der Gruppe, in der die Patienten gewußt haben, daß beim lieben Gott ein gutes Wort für sie eingelegt wird. Verglichen mit der Ausgangshypothese der Forscher erlitten sogar fast doppelt so viele Patienten nach der Bypass-Op Komplikationen. Wo die Patienten sich der Gebete nicht sicher sein konnten, war der Schaden geringer und nicht signifikant. Am besten aber schnitt die Gruppe der Patienten ab, für die nicht gebetet wurde. Das zumindest ist das streng wissenschaftliche Ergebnis von STEP, das im vorvergangenen Monat im "American Heart Journal" veröffentlicht worden ist.
Was nun? Welche Konsequenzen muß man daraus ziehen? Daß man um Himmelswillen nicht für kranke Menschen beten sollte, auf jeden Fall dann nicht, wenn sie einen Bypass bekommen? Und wenn man das Beten partout nicht lassen kann, daß man dann wenigstens die Patienten nicht darüber informiert?
Auf den ersten Blick würden solche Überlegungen nur folgerichtig sein. Immerhin handelt es sich bei STEP um eine Studie mit allen Goldstandard-Schikanen: Sie ist prospektiv, randomisiert, kontrolliert und verblindet, und mehrere Kliniken waren einbezogen.
Evidence Based Medicine eben. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Bei näherem Hinsehen jedoch werden die Fragezeichen, die diese weltweit beachtete Studie provoziert, immer größer. Und das auch mit gelegentlich erheiternden Aspekten.
Weil das Ergebnis den Studien-Autoren selbst nicht ganz geheuer vorkommt, halten sie für möglich, daß es auf Zufällen beruht. Eine Überlegung, die zumindest irritierend ist. Wären sie bereitgewesen, ein in ihrem Sinne positives Ergebnis beim primären Endpunkt auch als zufällig zu betrachten? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich nicht!
Professor Mitchell W. Krucoff von der Duke-Universität in Durham in North-Carolina, neben Herbert Benson der andere Pionier in Sachen Medizin und Religion in den USA, wirft in einem Kommentar im "American Heart Journal" seinen Kollegen unethisches und unwissenschaftliches Verhalten vor. Krucoff ist ein Kenner der Materie, er ist im letzten Jahr mit MANTRA II gescheitert, der mit 748 Patienten bis dahin größten Studie, mit der (unter anderem) der Nutzen fremder Gebete überprüft wurde. Die Patienten unterzogen sich einer perkutanen Koronarintervention oder einer elektiven Katheter-Untersuchung. Auch da haben Gebete nichts genützt. Aber sie haben wenigstens nicht geschadet.
Krucoff sieht bei den STEP-Kollegen ein kulturelles Vorurteil am Werk. Die Grundannahme nämlich, Gebete könnten nur Positives anrichten. Man hätte von vornherein auch Sicherheitsaspekte berücksichtigen und bedenken müssen, daß eine Therapie-Intervention auch Negatives bewirken könne.
Und spätestens ab hier wird es, aus der Perspektive des aufgeklärten alten Europa, ein wenig befremdlich.
Nicht bedacht worden sei, sagt Krucoff, daß in unserer Kultur auch Haß-Gebete bekannt seien oder Vodoo-Gebete oder auch schwarze Magie. Und, sich wieder mehr christlichem Denken zuwendend: Im Studien-Design sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden, daß in vielen Fürbitten für Kranke implizit die Idee stecke, sie mögen von ihren Leiden erlöst werden, damit die Seele den Körper verlassen kann. Was nach den Studien-Kriterien ja eine schwere Komplikation bedeuten würde, den Tod des Patienten.
Von der Position Krucoffs aus, die voraussetzt, daß man an Gott oder zumindest an höhere Mächte glaubt, lassen sich noch viele andere Probleme mit STEP identifizieren. Zum Beispiel: Welche Bedeutung haben Dosierung und Darreichungsform? Weder die Intensität, mit der die Gebete gesprochen wurden, noch die Glaubensstärke der Betenden waren Kriterien.
Dabei hat STEP-Leiter Herbert Benson die Bedeutung etwa der Glaubensstärke zur Beurteilung von Heilerfolgen schon vor mehr als zehn Jahren erkannt. "Wir müssen psychosoziale Skalen entwickeln", sagte er damals, "damit wir bei einem Individuum die Stärke des Glaubens messen können." Damals ging es ihm noch um das einfachere Modell, wonach Menschen durch religiöse Praktiken in ihrem eigenen Körper Selbstheilungskräfte mobilisieren können.
Oder: Den STEP-Betenden war zwar eine bestimmte Gebetspassage vorgeschrieben ("Für eine erfolgreiche Operation mit einer schnellen Gesundung ohne Komplikationen!"), die sie außer sonstigen und frei zu wählenden Fürbitt-Texten auszusprechen hatten. Was der Versuch war, die spirituelle Intervention zumindest ein wenig zu vereinheitlichen. Aber: Sind durch diese teilweise Normierung vielleicht die anderen, die individuellen Gebetsanteile beeinträchtigt worden? Und hätte eine andere Passage vielleicht eine positive Wirkung gehabt?
Aus der Perspektive der christlichen Gläubigen liegt aber auch eine ganz grundsätzliche Frage bedrohlich in der Luft: Ist es nicht schiere Blasphemie, die Wirkung von Gebeten in einer wissenschaftlichen Studie zu testen? Solche Untersuchungen gehen ja davon aus, daß es eindeutige wenn-dann-Zusammenhänge gibt, Gesetzmäßigkeiten, durch die Prozesse reproduzierbar sind. Geht man aber davon aus, daß bestimmte Gebete auf jeden Fall bestimmte Wirkungen auslösen, dann kann Gott nicht tun, was er will. Dann ist er gar nicht, was er per Definition ist: allmächtig und in all seinen Entscheidungen frei.
Was zu dem Paradox führt, daß dann, wenn Gebete zu Gott wissenschaftlich nachweisbar etwas bewirken, das zugleich ein Beweis dafür ist, daß es Gott gar nicht gibt.
Nicht gerade eine komfortable Situation für Gläubige.
Aber auch nicht für Ungläubige. Denn wenn die sich einmal darauf eingelassen haben, die Wirkung von Fremdgebeten zu überprüfen, obwohl das gar nicht zu ihrem Weltbild paßt, müssen sie nach ihrem Weltbild spätestens in dem Augenblick die Idee akzeptieren, daß solche Gebete Wirkung haben, in dem der wissenschaftliche Nachweis erbracht wird. Womit sie einen Beweis für das Wirken Gottes hätten und damit für seine Existenz, aber zugleich, wie die Gläubigen auch, einen Beweis für das Gegenteil.
So weit, so verwirrend.
Also noch einmal die Frage: Was nun?
Studien wie STEP und MANTRA haben zumindest dies gebracht: Massenweise Stoff für Diskussionen, für Streit in und um Wissenschaft und ihre Grundsätze - und auch für Unterhaltung. Daß Wissenschaft und Religion auf einen Nenner gebracht werden, ist aber nicht zu erwarten.
Die spannende Frage von mittelalterlichen Scholastikern etwa, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen, ist bis heute nicht überzeugend beantwortet. Diesseitiges und Jenseitiges, wie wir es verstehen, Wissenschaft und Religion sind als Systeme einfach nicht kompatibel.
Das steht auch schon in der Bibel. Für die Alttestamentarischen etwa heißt es im Buch Hiob (Kapitel 5, Vers 9), daß die Dinge, die Gott tut, für Menschen "nicht zu erforschen sind". Und den Neutestamentlern, den Protestanten und Katholiken etwa, liefert Paulus in seinem Brief an die Römer eine ganz ähnliche Information zu Gott: "Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!" (11/33).
Das hätte Herbert Benson und den anderen STEP-Autoren eigentlich zu denken geben müssen.
STICHWORT
STEP
STEP steht für "Study of the Therapeutic Effects of intercessory Prayer". STEP ist eine prospektive, randomisierte, kontrollierte, blinde Multicenter-Studie. Festgestellt werden sollte, ob und wie sehr Bypass-Patienten von Gebeten profitieren, die andere, ihnen unbekannte Leute für sie sprechen. Studienleiter war der Kardiologe Professor Herbert Benson von der Harvard-Universität in Boston in den USA.
Teilgenommen haben 1802 Bypass-Patienten an sechs US-amerikanischen Kliniken - Protestanten, Katholiken, Juden und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften. Sie wurden per Zufallsauswahl in drei Gruppen eingeteilt.
Gruppe 1: Den Patienten wurde gesagt, daß für sie gebetet wird oder auch nicht. Sie konnten sich der Fürbitten also nicht sicher sein. Aber es wurde für sie gebetet.
Gruppe 2: Den Patienten wurde das Gleiche gesagt wie denen in Gruppe 1. Tatsächlich wurde aber nicht für sie gebetet.
Gruppe 3: Den Patienten wurde gesagt, daß auf jeden Fall für sie gebetet wird. Was auch geschah.
Die Gebete wurden gesprochen von Katholiken und Protestanten jeweils einen Tag vor der Operation der Patienten und dann täglich bis 14 Tage danach. Den Betenden wurde nur der Vorname und der Anfangsbuchstabe des Nachnamens der Patienten aufgelistet, für die sie Fürbitte leisten sollten.
Wie und wie lange sie für die Kranken beten, war ihnen überlassen. Nur eine bestimmte Bitte sollten sie wortwörtlich immer aussprechen: "Für eine erfolgreiche Operation mit einer schnellen Gesundung ohne Komplikationen!" Die behandelnden Ärzte wußten nicht, welche Patienten in welcher Gruppe waren.
Primärer Endpunkt waren Komplikationen innerhalb von 30 Tagen nach der Op.