Ein Pädiater, der streng, neugierig und menschlich war
Vor 25 Jahren starb in Zürich einer der bedeutendsten Ärzte des letzten Jahrhunderts: der Schweizer Pädiater Guido Fanconi. Seinen Namen tragen noch heute viele klinische Syndrome, unter ihnen die Fanconi-Anämie. Die wichtigste Leistung Fanconis aber bestand darin, daß er in den 1930er Jahren aufmerksam genug war, zwei tragischen Todesfällen von Kleinkindern nachzugehen.
Ein Mädchen hatte trotz ausreichender Nahrung nicht zunehmen wollen und fettige Stühle abgesetzt. Es starb nach drei Jahren. Ein abgemagerter Säugling starb im Alter von zehn Monaten. Beide Kinder litten zusätzlich seit der Geburt an einer Bronchopneumonie, die nicht auf Therapie ansprach.
Fanconi veranlaßte Obduktionen und fand die Ursache der Todesfälle: "Die Veränderungen an Lungen und Pankreas, zweier lebenswichtiger Organe, sind so schwerer Natur, daß das Versagen der Therapie verständlich erscheint." Bei beiden Kindern war die Bauchspeicheldrüse fibrotisch und zystisch verändert, in der Lunge fanden sich Bronchiektasen.
Im Juli 1936 veröffentlichte Fanconi den Befund in der Wiener Medizinischen Wochenschrift. Zwei Jahre später gab die amerikanische Ärztin Dorothy Andersen dem Syndrom den Namen "Cystic Fibrosis", in Deutschland setzte sich die Bezeichnung "Mukoviszidose" durch. Die Symptome hatte allerdings schon der Entdecker der Blutgruppen, Karl Landsteiner, 1905 in Wien beschrieben. Der ursächliche Gendefekt wurde 1989 entdeckt. Die Mukoviszidose ist die häufigste tödliche angeborene Erkrankung.
Guido Fanconi wurde am Neujahrstag des Jahres 1892 in Poschiavo/Graubünden geboren. Sein Medizinstudium begann er 1911 in Lausanne und schloß es nach Unterbrechungen durch Wehr- und Lazarettdienst 1918 in Bern ab. In den folgenden zwei Jahren arbeitete in der Pathologie und Physiologie, bevor er 1920 Assistent Emil Feers, des ersten Schweizer Pädiatrieprofessors, an der Universitätskinderklinik in Zürich wurde.
Fanconi begeisterte sich für die aufblühende Biochemie und gehörte zu den ersten, die Kindern und sogar Säuglingen Blut zur Untersuchung abnahmen. In Zürich galt er deshalb bald als grausam. Fanconi habilitierte sich 1926 und trat schon drei Jahre später die Nachfolge Feers als Ordinarius und Direktor des Kinderspitals an. Diese Positionen hatte er 33 Jahre lang bis zur Emeritierung 1962 inne.
Zeit seines Lebens interessierte sich Fanconi besonders für seltene Krankheiten. Als 1924 ein fünfjähriger Junge mit einer eigenartigen Anämie eingeliefert wurde, erwachte sein Forscherinstinkt. Bald stellte sich heraus, daß zwei Brüder des Jungen ebenfalls an einer angeborenen Anämie litten. Alle drei starben in ihrer Kindheit, waren von asthenischer Statur und wiesen eine Unterentwicklung der Genitalien auf. Der genetische Defekt dieser 1927 beschriebenen "Fanconi-Anämie" konnte 1992 gefunden werden. Das bekannteste der diversen "Fanconi-Syndrome" zeichnet sich durch eine schwere Nierenstörung, Zwergwuchs und Vitamin-D-resistente Rachitis aus. Es ist heute unter dem Namen "Debré-Toni-Fanconi-Syndrom" bekannt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann Fanconi rasch an Ansehen. Er beherrschte mehrere Sprachen fließend, lernte noch mit 50 Jahren Englisch. Da er zudem aus einem neutralen Land stammte, überrascht es nicht, daß er 1947 zum Präsidenten der internationalen pädiatrischen Gesellschaft gewählt wurde. Anschließend war er 16 Jahre lang Generalsekretär. Er engagierte sich sehr für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern in den Entwicklungsländern. Seit 1950 gab er zusammen mit dem Schweden Arvid Wallgren das führende pädiatrische Lehrbuch heraus. Es wurde in neun Sprachen übersetzt und in neun Auflagen gedruckt.
Auch nach der Emeritierung blieb Fanconi einflußreich. 1970 veröffentlichte er seine Memoiren unter dem Titel "Der Wandel der Medizin, wie ich ihn erlebte". Fanconi, der sich selbst als "Weltbürger" bezeichnete, starb am 10. Oktober 1979 in Zürich im Alter von 87 Jahren. In einem Nachruf hieß es, er sei "ein strenger und kritischer Chef" gewesen, "dessen Güte und Menschlichkeit nicht immer leicht zu erkennen waren".