Der PC ebnet der Kurzsichtigkeit den Weg

TÜBINGEN (ars). Der Computer öffnet zwar das Tor zur großen weiten Welt, aber er kann auch das Blickfeld vernebeln. Denn sein Siegeszug ist ein wichtiger Grund dafür, warum sich die Kurzsichtigkeit in den Industrieländern ausbreitet wie eine Epidemie.

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In Europa und den USA ist inzwischen ein Drittel der Bevölkerung kurzsichtig, aber mit Verbreitung der Bildschirmarbeit wird dieser Anteil weiter wachsen, so eine Prognose der Allensbach-Brillenstudie 2002. In Asien wiederum fiel der Anstieg nicht nur viel steiler aus, konzentriert auf die vergangenen fünfzehn Jahre, sondern auch viel höher: In städtischen Regionen wie Singapur oder Hongkong brauchen 60 Prozent der Bevölkerung ein Brille, Studenten bereits zu 90 Prozent.

Diese massive Zunahme sei nur mit Umwelteinflüssen zu erklären, weil Gene sich nicht so schnell ändern könnten, sagte Professor Frank Schaeffel von der Universitätsaugenklinik Tübingen: "In Fernost sind die Verkaufszahlen für Rechner enorm."

Myopie erhöht Risiko für Glaukom

Bis etwa fünf Dioptrien mag Kurzsichtigkeit mit der Suche nach einer modischen Brille abgetan sein, doch von da an geht sie mit einem beträchtlichen Risiko für Glaukom, Katarakt und Netzhautablösung einher. So ist zu erklären, warum Kurzsichtigkeit in den USA an siebter Stelle als Auslöser für Blindheit rangiert, in Indien sogar an zweiter. "In Fachkreisen ist man sich einig, daß eine Therapie unabdingbar ist", so Schaeffel. Daher werde in den Labors fieberhaft über Ursachen und Vorbeugung geforscht.

Das bisher nur ansatzweise geklärte Rätsel der Myopie lautet: Warum wird das Auge zu lang? Denn Kurzsichtigkeit beruht darauf, daß der Augapfel zu stark wächst. Daher fällt das Abbild eines fernen Gegenstandes vor die Netzhaut und wird somit unscharf.

Zum Teil steckt Veranlagung dahinter: Wenn beide Eltern kurzsichtig sind, werden es 40 Prozent der Kinder ebenfalls, dagegen nur zehn Prozent der Kinder von normalsichtigen Eltern. Vor allem aber ist Kurzsichtigkeit ein Tribut an den modernen Lebensstil: Denn Studien zufolge wird ein Mensch um so eher kurzsichtig, je mehr "Naharbeit" er verrichtet.

Ein starker Schub ist zum Beispiel in Prüfungszeiten zu beobachten. "Wenn die mittlere Sehentfernung gering ist, dann stellt sich das Auge eben darauf ein. Bei Sherpas in Nepal oder Indianern am Amazonas ist diese Sehschwäche unbekannt", so Schaeffel.

Im Alter von fünf Jahren sieht noch fast jeder gut, nachdem ein Regelkreis bis dahin Linse, Hornhaut und Augenlänge auf ein zehntel Millimeter genau justiert hat, feiner als eine Wimper dick ist. Doch anschließend steigt nach einer neuen Hypothese das Myopie-Risiko deshalb, weil das Auge bei feinen Tätigkeiten so eingestellt wird, daß das Bild knapp hinter die Netzhaut fällt. Folglich jagt sie ihm eigenständig hinterher, indem sie den Augapfel zum Wachsen anregt.

Allgemein hat die Myopie die Eigenheit, immer weiter fortzuschreiten, wobei sie um so stärker ausfällt, je früher sie beginnt. Selbst noch bei Erwachsenen kann sie jederzeit, etwa bei Wechsel zu einem Präzisionsberuf, in Gang kommen. Die dringende Frage ist nun, wie das biochemische Stellwerk für diesen Prozeß funktioniert.

Eine Möglichkeit, den Prozeß zu unterbrechen, schien bereits zum Greifen nah: mit dem Wirkstoff Pirenzepin, der mit Atropin verwandt ist, aber die Pupille nicht weit stellt. Bei einer beginnenden Kurzsichtigkeit täglich ins Auge geträufelt, bremst er das Längenwachstums des Augapfels - allerdings, wie sich herausstellte, bloß eine Zeitlang, dann beschleunigt es sich wieder. "Wie einige andere Medikamente auch ist Pirenzepin kurz vor der Vermarktung wieder zurückgefallen. Doch eines kommt sicher", prophezeit Schaeffel.

Erfolg mit Lesebrillen in amerikanischer Studie

Immerhin gab es kürzlich einen anderen Teilerfolg: Eine große amerikanische Studie hat ergeben, daß Lesebrillen, die das Auge korrekt einstellen, das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern verlangsamen. "Bisher haben Augenärzte sie nur selten verordnet, aber wahrscheinlich werden nun neue Empfehlungen abgeleitet", so Schaeffel. In Betracht kämen solche Brillen für Kinder mit einem hohem Myopie-Risiko, das sich nach festen Regeln abschätzen läßt.



So läßt sich das Risiko für Kurzsichtigkeit minimieren

Bis es ein Mittel gibt, das die Sicht klar hält, braucht man nicht untätig abzuwarten. Vor allem Kinder können beim Lesen oder den so faszinierenden Computerspielen Verhaltensregeln beherzigen, die sich in Studien als sehr effektiv erwiesen haben. So sollte man sie ermahnen,

  • Sport zu treiben. Wer sich viel bewegt, dessen Risiko, eine Myopie zu entwickeln, ist relativ gering.
  • nur bei guter Beleuchtung zu lesen. Denn: Im Schummerlicht ist das Auge für Kurzsichtigkeit besonders anfällig.
  • Distanz zu halten. Wenn zwischen Nasenspitze und Buch oder Bildschirm nur 20 Zentimeter liegen, schreitet die Myopie schneller fort als etwa bei 30 Zentimeter.
  • zwischendurch immer mal für zwei Minuten aus dem Fenster zu schauen. Bereits kurzes Unterbrechen der Naharbeit schaltet - zumindest im Tierversuch - das Signal für Kurzsichtigkeit ab.

Die Nachtlampe im Kinderzimmer freilich kann angeknipst bleiben - entgegen den Schlagzeilen, die eine Studie vor kurzem machte: Daß Schlafen bei Licht den Augen schadet, ließ sich nicht weiter nachvollziehen. (ars)

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