Fachleute favorisieren Entscheidungslösung

Die Entscheidungslösung als Motor, um mehr Menschen zur Organspende zu motivieren, hat mehr Fürsprecher als die Widerspruchslösung. Das hat eine Anhörung im Gesundheitsausschuss ergeben. Geplant ist eine Änderung des Transplantationsgesetzes.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Ist der Organspendeausweis ein Auslaufmodell? Die Spendebereitschaft könnte künftig auch in offiziellen Papieren dokumentiert werden.

Ist der Organspendeausweis ein Auslaufmodell? Die Spendebereitschaft könnte künftig auch in offiziellen Papieren dokumentiert werden.

© dpa

BERLIN. Am Mittwoch (29. Juni) hörte der Gesundheitsausschuss des Bundestages Fachleute zu den medizinisch-ethischen Aspekten von Organtransplantationen an. Spitzenpolitiker von CDU und SPD plädierten direkt im Anschluss für eine Novellierung des Transplantationsgesetzes.

Derzeit gilt in Deutschland die erweiterte Zustimmungslösung. Zur Debatte stehen zusätzlich zur erweiterten Zustimmungslösung zwei Möglichkeiten: die Widerspruchslösung und die Entscheidungslösung.

Entscheidungslösung: In der Anhörung hat sich herauskristallisiert, dass die Menschen nicht gezwungen werden können, sich für oder gegen die Spende ihrer Organe auszusprechen. Der Arzt und Theologe Professor Eckhard Nagel, Mitglied des Deutschen Ethikrates, sprach von einer ethischen Pflicht zu einem klaren Ja oder Nein.

Juristische Konsequenzen könnten mit der Verweigerung einer Antwort nicht verbunden werden, räumte Nagel ein. Gleichwohl hielt eine Mehrheit der Fachleute das Verfahren, die Menschen einmal im Leben auf die Organspende anzusprechen, für den Königsweg, um mehr Spenderorgane zu gewinnen.

Todeszeitpunkt: Die Medizinsoziologin Professorin Alexandra Manzei von der TU Darmstadt mahnte an, neuere Erkenntnisse zum Todeszeitpunkt in der Debatte zu berücksichtigen. Die Bundesärztekammer müsse überprüfen, ob die vor 14 Jahren festgelegten Kriterien der Diagnose Hirntod noch angemessen seien oder überprüft werden müssten. Dies hatte im Vorfeld der Anhörung auch Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) angeregt. Die Gegenrede hielt der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery.

Es gebe in den seriösen Wissenschaften keine neuen Erkenntnisse zum Hirntodkonzept, sagte er. Der Neurologe Professor Heinz Angstwurm ergänzte, dass der Hirntod als "vollständige Querschnittslähmung" den "unabänderlichen endgültigen Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms" bedeute. Angstwurm plädierte dafür, nicht nur potenzielle Organspender, sondern auch Ärzte darüber aufzuklären. Es gebe zu viele falsche Vorstellungen über den Todeszeitpunkt.

Verteilung: Das gegenwärtig geltende Transplantationsgesetz sei verfassungswidrig, sagte der Münsteraner Professor Thomas Gutmann. Die Zuteilung von Organen bedeute die Zuteilung von Lebenschancen. Dies werde im Augenblick von Eurotransplant erledigt, einer eigenartigen privatrechtlichen Konstruktion. Dafür erhielt er Widerspruch. In den vergangenen 13 Jahren habe sich das Verfassungsgericht darum nicht geschert, hieß es. Der Internist Professor Ulrich Frei von der Charité kritisierte das Fehlen eines Spenderegisters in Deutschland. Verteilungsgerechtigkeit benötige aber eine klare Faktenlage.

Widerspruchslösung: Die Widerspruchslösung fand in der Anhörung praktisch keine Zustimmung. Sie sei verfassungswidrig, hieß es. Der Körper stehe nicht der Allgemeinheit zur Verfügung, sagte der ehemalige Justizminister Professor Edzard Schmitz-Jortzig. Diese Variante sie nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar und daher verfassungswidrig.

Lesen Sie dazu auch: Bürger sollen sich zur Organspende erklären

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 01.07.201115:42 Uhr

Das Dilemma

Entscheidungslösung:
Wenn Prof. Eckhard Nagel bei der Organspende von einer ethischen Pflicht zu einem klaren Ja oder Nein spricht, trifft das nicht die Realität. Menschliche Entscheidungsprozesse sind eher von einem intuitiv-abwägenden ''Sowohl-Als-Auch'' geprägt. Bei Verstand und Logik tritt oft die Irrationalität eines Bauchgefühls hinzu. Wissenschaftlich erfasst werden individuelle Entscheidungen weniger vom "Tractatus logico-philosophicus" Wittgensteins als von "trial and error" bzw. Spiel- und Chaostheorie: In der Politik jüngst bei den mehrfachen Volten der Atomdebatte parteiübergreifend zu besichtigen. Menschen direkt auf ihre Entschlüsse zur Organspende anzusprechen, muss man aber nicht als legislative Änderung des Transplantationsgesetzes hochstilisieren.

Todeszeitpunkt:
Wenn die Medizinsoziologin Prof. Alexandra Manzei (TU Darmstadt) anmahnt, dass die Hirntodkriterien der Bundesärztekammer 14 Jahre alt sind, sollte man das als frisch gewählter Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) nicht unsensibel abwürgen. Dem Kollegen Frank Ulrich Montgomery hätte die Selbstkritik gut angestanden, ob die BÄK-Kriterien noch angemessen oder längst überholt seien. Dann in den "seriösen Wissenschaften keine neuen Erkenntnisse zum Hirntodkonzept" erkennen zu wollen, war eine dem Themas nicht angemessene Chuzpe.

Verteilung:
Die Problematik der eigenartigen privatrechtlichen Konstruktion von Eurotransplant als verfassungsrechtlich umstritten zu kennzeichnen, ist durchaus legitim. Und die Tatsache, dass 13 Jahre lang unser Bundesverfassungsgericht davon unbehelligt blieb, ist eines der dünnsten Argumente in dieser Debatte und wahrlich keine Sternstunde gewesen. Eine klare Faktenlage gab es dagegen bei der

Widerspruchslösung:
Sozusagen von Geburt an von einer lebenslangen, verbindlichen Organspendenbereitschaft auszugehen, der man höchstens noch aktiv widersprechen könnte, steht im Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, auch wenn es einem hehren Ziel dient. Dies aber noch mit amtlichen Eintragungen zur Organspende in Personalausweis, Reisepass und/oder Führerschein garnieren zu wollen, ist wie die dortige Dokumentation religiöser, weltanschaulicher, politischer, ethischer, sexueller und verhaltensmäßiger Grundüberzeugungen ebenso absurd wie obsolet.

Ein moralisch-ethisches Dilemma bleibt: Die Entnahme möglichst vitaler Organe bei unwiderruflichem Sterben lässt sich nicht in jedem Einzelfall für alle Beteiligten befriedigend lösen. Und wie geht es denen, die die Apparatemedizin dann letztlich abschalten müssen?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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