Hintergrund
Selektivverträge: Grünes Licht für private Abrechner
Der von Datenschützern scharf kritisierte Paragraf 295a SGB V ist in Kraft. Ärzten gibt er nun in Sachen Selektivverträge Rechtssicherheit - sie dürfen Patientendaten an private Abrechnungsstellen weiterleiten. Datenschützern erschwert er es indes, künftig Verträge zu stoppen.
Veröffentlicht:Nun ist es amtlich: Hausarztverbände und andere Partner aus Selektivverträgen dürfen per Gesetz für die Abrechnung von ärztlichen Leistungen private Dienstleister zwischenschalten.
Datenschützer haben damit kaum mehr eine Handhabe, um Hausarzt-, Facharzt- oder Integrationsverträge aus Datenschutzgründen zu stoppen oder zumindest hinauszuzögern.
Möglich macht dies eine Erweiterung des fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V), über die in den vergangenen Monaten viel diskutiert wurde. Genauer geht es um den neuen Paragrafen 295a.
Den hatten Bundestag und Bundesrat zusammen mit dem Änderungsantrag zum Infektionsschutzgesetz mehr oder weniger wortlos durchgewinkt. Denn genau an diesen hatten Union und FDP den neuen Paragrafen angehängt.
Jetzt können Verhandlungen mit Kassen anlaufen
Seit dem 3. August ist die Neuregelung nun - mit Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt - in Kraft. Und wer in der Online-Ausgabe des SGB V nachschlägt, wird den neuen Paragrafen auch dort finden.
Dabei lässt die Neuregelung kaum Fragen offen. Es wird explizit klargestellt, dass Ärzte beziehungsweise Leistungserbringer für die Abrechnung von Leistungen innerhalb von Verträgen nach Paragraf 73b, 73c oder 140a SGB V erforderliche Daten an den Vertragspartner auf Leistungserbringerseite oder an eine von diesem Vertragspartner beauftragte Stelle übermitteln dürfen.
Mit Absatz 2 des neuen Paragrafen haben die Regierungsparteien zudem versucht, nun wirklich jedes mögliche Missverständnis aus dem Weg zu räumen.
Dort heißt es nämlich: "Der Vertragspartner auf Leistungserbringerseite darf eine andere Stelle mit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der für die Abrechnung (...) erforderlichen personenbezogenen Daten beauftragen." Wobei die "Beauftragung einer nicht-öffentlichen Stelle auch zulässig ist".
Bedenkenloses Abrechnen über die HÄVG
Damit können Hausärzte im Prinzip seit Anfang August wieder bedenkenlos über private Abrechnungsstellen wie die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft eG (HÄVG) ihre Leistungen aus Selektivverträgen abrechnen. Hierauf hatten insbesondere der Hausärzteverband und Medi Baden-Württemberg gewartet.
Mit der AOK Baden-Württemberg, der Bosch-BKK und der IKK classic hatte man eine Übergangsregelung für die Abrechnung vereinbart. Für die Verträge mit anderen Kassen wollte man aber die neue Rechtsprechung abwarten, wie aus einem Rundfax der HÄVG an die teilnehmenden Ärzte deutlich wird.
Zwar gingen die beiden Verbände davon aus, dass Paragraf 295a bereits am 15 Juli in Kraft tritt - schließlich stimmte der Bundesrat Anfang Juli bereits den Änderungen im Infektionsschutzgesetz zu.
Doch der halbe Monat Verzug dürfte die Verbände bei der Abrechnung nicht allzu sehr nach hinten werfen. Zumal mit den Kassen, bei denen keine Übergangsregelung bestand, ohnehin noch eine Vertragsanpassung an die datenschutzrechtlichen Anforderungen ausgehandelt werden muss. In dem Rundfax der HÄVG heißt es, dass man die Verhandlungen spätestens bis Ende des Jahres abschließen will.
Datenschützer befürchten zu lasche Kontrollen
Die Übergangsregelung, die auch in Bayern genutzt wurde, hatte in der Zwischenzeit den Datentransfer an die privatrechtlichen Abrechnungsstellen erlaubt. Und auch sie war gesetzlich festgeschrieben - in Paragraf 295 SGB V.
Allerdings galt die Regelung nur befristet und ist Ende Juni dieses Jahres ausgelaufen. Wobei sie im Frühjahr 2010 bereits einmal - damals gegen den Widerstand der KBV - verlängert wurde.
Es war also höchste Zeit für eine Neuregelung. Datenschützern ist sie jedoch ein Dorn im Auge. Bereits Anfang des Jahres, als nur der bloße Entwurf für den Paragrafen 295a vorgelegen hatte, ließ das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) verlauten, dass damit die Kontrollmöglichkeiten für einen funktionierenden Datenschutz stark eingeschränkt würden.
Denn die Datenschutzaufsicht für die Selektivverträge werde so dem "nicht-öffentlichen Bereich zugeschlagen". Wo die "tatsächliche Kontrolldichte in vielen Bundesländern, etwa in Baden-Württemberg oder Bayern (...) oder in Thüringen, erheblich geringer ist als im öffentlichen Dienst".
Selektivverträge nicht mehr so leicht zu stoppen
Bei den KVen hingegen erfolge die Rechtsaufsicht durch die Sozialministerien. Zudem sei der Umfang der übermittelten Daten nicht mehr wie bisher gesetzlich begrenzt, sondern zwischen Hausarztverbänden und Kassen frei aushandelbar.
FDP und Union begründen den neuen Paragrafen in ihrem Gesetzesentwurf aber auch damit, dass dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen das Allgemeininteresse an der Umsetzung der besonderen Versorgungsformen gegenüber stehe. Selektivverträge "dienen der Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch dem Gemeinwohl".
Einen Selektivvertrag zu stoppen, allein weil er private Abrechnungsstellen einbezieht, das ist den Datenschützern jetzt in jedem Fall nicht mehr möglich.
Immerhin war so der Bremer Hausarztvertrag Anfang des Jahres gestoppt worden - wegen Bedenken samt Verfügung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein (ULD), denen das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zugestimmt hatte
Paragraf 295a - worauf Praxen achten müssen
Nach dem neu geschaffenen Paragrafen 295a SGB V dürfen Ärzte Patientendaten im Rahmen von 73b-, 73c- und 140a-Verträgen an den Vertragspartner auf Leistungserbringerseite oder eine von diesem beauftragte, private Abrechnungsstelle weiterleiten.
Allerdings darf diese private Abrechnungsstelle - bei den Hausarztverträgen ist das vielfach die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft eG (HÄVG) - nicht eine weitere Stelle mit der Datenverarbeitung unterbeauftragen.
Und für die Praxen gilt: Sie müssen die Patienten bereits bei der Einschreibung in einen Selektivvertrag umfassend über die vorgesehene Datenübermittlung informieren. Zudem müssen sie sich von den Patienten eine schriftliche Einwilligung für die Datenübermittlung einholen.
Bei Patienten, die bereits in Selektivverträge eingeschrieben sind, ist die Einwilligung - sofern sie nicht bereits Bestandteil der Einschreibung war - eventuell nachzuholen.