Bewertungsportale: User geben Ärzten Bestnoten
Bewertungsportale im Web waren bei Ärzten gefürchtet - von digitalen Ärzteprangern war die Rede. Doch dafür gibt es keinen Grund, findet ein Medizinethiker. Seine Recherche ergab: Die bewerteten Ärzte erhalten im Schnitt die Note 1,1.
Veröffentlicht:HANNOVER. Ärzte kommen in Web-Bewertungsportalen exzellent weg. Die "Bewertungen für Ärzte sind im Schnitt extrem positiv", sagt Professor Daniel Strech, Medizinethiker an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) auf der Tagung "Ethik und Web 2.0" vom "aktionsforum gesundheitsinformationssystem" (afgis) in Hannover. Aber wem nützt das?
Die Portale als "digitalen Ärztepranger" zu bezeichnen wie KBV-Sprecher Roland Stahl oder als "Plattform für Denunzianten", wie BÄK-Chef Frank-Ulrich Montgomery, ist für Strech unangemessen. Nach seiner Auffassung haben die Bewertungsportale einen zu schlechten Leumund unter Ärzten.
"Nutzung der Portale wird rasant ansteigen"
Was sich bereits in den USA andeute, wo die Bewertungsportale weit mehr als hierzulande genutzt werden, sei auch für Deutschland zu erwarten, sagt der Ethiker zur "Ärzte Zeitung": "Die Nutzung der Portale wird rasant ansteigen und die Ärzte werden die Bewertungen positiv für sich nutzen können." In den USA zählte man 2005 rund 4.000 Ärztebewertungen, im Jahr 2010 waren es schon 130.000, so Strech.
Nun werden auch in Deutschland längst alle möglichen Dienstleistungen im Web beworben - warum nicht auch zunehmend ärztliche? - fragt sich Strech. Zudem würden immer mehr jüngere Menschen nachwachsen, für die die Perspektive des Internets selbstverständlich ist.
Und dass die Web-Informationen über den Doktor schlechter sein sollen als die aus einem persönlichen Kontakt, kann Strech nicht unbedingt erkennen. "Wikipedia" werde ja auch viel genutzt, und das, obwohl es den "Brockhaus" gebe.
Über Nutzen und Schaden der Portale gibt es keine Zahlen
Effektiv sind die Portale jedoch offenbar noch nicht. Denn über Nutzen und Schaden gebe es keine belastbaren Zahlen, ebenso sehr fehlten Fachdiskussionen darüber, wie Nutzen und Schaden überhaupt gemessen werden sollten, erklärt Strech.
Immerhin hat Strech bei neun privaten Anbietern von Portalen in Deutschland nachgezählt. Sein Ergebnis: Auf einer Skala zwischen "1" (sehr gut) und "3" (sehr schlecht) liegen die bewerteten Ärzte bei "1,1". Doch lassen die Bewertungs-Zahlen kaum Rückschlüsse zu.
Laut seiner Studie unter den Bewertungen von Allgemeinmedizinern, HNO-Ärzten, Gynäkologen und Kinderärzte kann man rund 90 Prozent der Ärzte zwar in einem Portal finden, "aber nur 30 Prozent wurden bewertet". Kurz: Bei der Frage, ob Arztbewertungsportale nutzen oder schaden, "sind wir noch imstand der Spekulation", so Strech.
Dass Bewertungsportale für Ärzte ethische Prinzipien brauchen, sei indessen klar. "Aber wir brauchen angesichts des Webs 2.0 keine neue Ethik, sondern wir haben es einfach mit einer neuen Herausforderung zu tun."
Freitext-Möglichkeit lässt Wirkung der Arbeit erkennen
So sieht Strech für die bewerteten Ärzte mögliche emotional-psychische und finanzielle Schadenspotenziale. Die Anbieter müssen ihnen entgegentreten und die entsprechenden Äußerungen in den Portalen löschen.
Allerdings würde Strech die Freitext-Möglichkeiten bei den Anbietern erhalten. Denn hier geschehe so etwas wie die Etikettierung der Informationen über einen Arzt. Patienten können zwar die Qualität der ärztlichen Leistungen nicht wirklich beurteilen, so Strech, aber die Ärzte könnten die Wirkung ihrer Arbeit und ihrer Person auf die Patienten erkennen und gegebenenfalls variieren.
Im Übrigen sind die Ärzte mit den öffentlichen Beurteilungen nicht allein. Auch wer andere Traditionsberufe ausübt, sollte künftig häufiger ins Internet schauen.
Unter www.hirtenbarometer.de können "Schäfchen" (gemeint sind Gläubige) ihre "Hirten" (gemeint sind Geistliche) in Sachen Glaubwürdigkeit oder Jugendarbeit bewerten. Das Portal diene dazu, "langfristig die Qualität der Arbeit von Hirten zu verbessern", so die Initiatoren.