Erste Gentherapie vor der Zulassung

Es ist eine kleine Sensation: Erstmals könnte in der EU ein Gentherapeutikum zugelassen werden. Spektakulär ist nicht nur das Wirkprinzip - sondern auch der Weg der Zulassung.

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Haus der Zulassungen: die EMA in London.

Haus der Zulassungen: die EMA in London.

© EMA

LONDON (cw). Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat mit Glybera® erstmal die Zulassung eines Gentherapeutikums empfohlen. Dem jüngsten Votum ging mehrmals die Ablehnung des Orphan Drug durch den Fachausschuss CHMP voraus.

Glybera® (Alipogen Tiparvovec) wurde zur Behandlung einer Lipoprotein-Lipase-Defizienz entwickelt. Dabei handelt es sich um eine sehr seltene, auf einem Gendefekt beruhende Erbkrankheit, die meist mit schwerer Pankreatitis einhergeht.

Bei der Therapie unter Glybera® werden Lipoprotein-Lipase-produzierende Gene mittels eines adenoassoziierten viralen Vektors in die Muskelzellen der Patienten gebracht.

Kaum weniger spektakulär als das Wirkprinzip stellt sich die Begutachtungshistorie bei der EMA dar. Eingereicht wurde das Zulassungsdossier Anfang 2010.

Im Juni 2011 beschieden die Agentur-Experten den Hersteller Amsterdam Molecular Therapeutics abschlägig, unter anderem wegen zu weniger Probanden in der Phase III; insgesamt wurde das Mittel an 27 Patienten getestet.

Unternehmen inzwischen insolvent

Im Oktober fand eine erneute Prüfung der Unterlagen statt, - mit dem gleichen Ergebnis. Auf Initiative der Europäischen Kommission wurde das Glybera®-Dossier dann nochmals gesichtet, diesmal unter der einschränkenden Perspektive eines Nutzens für Patienten mit Lipoproteinlipase-Mangel, die bereits an schweren oder multiplen Pankreatitis-Anfällen leiden.

Auch diese Prüfung fiel für das - inzwischen insolvente - Unternehmen negativ aus. Nach längerer interner Diskussion mit den Kollegen vom Ausschuss für neuartige Therapien (CAT) entschloss sich der CHMP jetzt schließlich doch, den Nutzen für diese am schwersten betroffene Patientengruppe über die Risiken zu stellen.

Allerdings ist die Zulassungsempfehlung an Bedingungen geknüpft. So muss der pharmazeutische Unternehmer, der Glybera® vermarkten wird, den Therapieverlauf überwachen und dokumentieren sowie diese Daten bei der EMA kontrollieren lassen.

Unternehmerisch verantwortlich für Glybera® ist inzwischen die in Amsterdam ansässige UniQure BV. Das Unternehmen wurde nach der Insolvenz der börsennotierten Amsterdam Molecular Therapeutics mit Hilfe privater Investoren gegründet.

Im Februar dieses Jahres erwarb UniQure die Amsterdam Molecular Therapeutics und vollzog damit zugleich das Delisting. UniQure bereite sich jetzt auf die Zulassung seines Gentherapeutikums in den USA, Kanada und weiteren Ländern vor, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 22.07.201212:53 Uhr

Risiken der Gentherapie bei "Orphan Diseases"

Probleme selten anzuwendender Neueinführungen von Medikamenten ("orphan drugs") bei seltenen Erkrankungen ("orphan diseases") sind u. a. die sehr geringe Zahl von möglichen Probanden in klinischen Prüfungen (vgl. www.orpha.net). Besonders bei virusassoziierten Genfähren-Therapien von auf Gendefekten beruhenden Erbkrankheiten werden Risiken und vitale Bedrohungen wegen geringer Patientenzahlen unterschätzt oder verkannt.

So z. B. beim "18-jährigen Jesse Gelsinger, der an dem seltenen Mangel des Enzyms Ornithin-Transcarbamoylase in der Leber litt." ... "ein dominant X-chromosomal vererbter Defekt im Harnstoffzyklus, dessen Leitsymptom eine Hyperammonämie ist." ... "Forscher der University of Pennsylvania verpackten das [OTCD]Gen in ein replikationsdefizientes Adenovirus und injizierten im September 1999 über 30 Milliarden Viren direkt in die Arteria hepatica. Vier Tage später war Gelsinger tot. Die genaue Todesursache ist nicht völlig geklärt, aber sein Immunsystem schien einen massiven Angriff auf den adenoviralen Vektor lanciert zu haben, gefolgt von Ikterus, Gerinnungsstörungen und Multiorganversagen."
Prof. Dr. med. Ulrich Förstermann - Dtsch Arztebl 2003; 100(6): A-314 / B-280 / C-270 -
http://www.aerzteblatt.de/archiv/35491/Gentherapie-Erste-Erfolge-viele-noch-unerfuellte-Hoffnungen -

Bei bisher experimenteller Gentherapie im Zusammenhang mit Tumor-Erbkrankheiten sind Therapieerfolge schwer abzuschätzen, da die Grundkrankheiten das Überleben der Patienten limitieren. Als Spätfolgen bei der Gentherapie von Kindern sind mögliche Leukämieinduktion oder sekundäre Tumorerkrankungen beschrieben. Zu hoffen bleibt, dass diese EU-weite Neuzulassung eines Gentherapeutikums einen Durchbruch und kein Desaster darstellen wird.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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