Suizid-Hilfe

Wenig Sensibilität im Justizministerium?

Eine Bestrafung bei absichtlicher und gewerbsmäßiger Hilfe zum Suizid - ein solches Gesetz hat das Justizministerium vorbereitet. Doch bei der Formulierung waren die Referenten hier und da etwas ungenau. Jetzt üben Spitzenjuristen harte Kritik daran.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Hilfe am Lebensende: Wie weit darf sie gehen?

Hilfe am Lebensende: Wie weit darf sie gehen?

© McPHOTO / imago

NEU-ISENBURG. Es geht um Beihilfe zur Selbsttötung - das ist juristisch gesehen etwas anders als Sterbehilfe: Eine ungenaue Formulierung und die Empörung darüber ist im nachrichtlichen Sommerloch im vollen Gang.

Ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur "Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung" löste in den vergangenen Tagen heftige Kritik aus.

So steht es im Entwurf

Paragraf 217: Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist.

Dabei geht es zunächst gar nicht um den Gesetzestext an sich - der neue Paragraf 217 enthält zwei Absätze - sondern um die Begründung auf den folgenden Seiten.

Um den geplanten Absatz zwei ("Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist") zu erklären, haben Mitarbeiter im Justizministerium einige Beispiele beschrieben - darunter auch den Fall, dass auch Ärzte und Pflegekräfte unter die "nahestehenden" Personen fallen könnten, "wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung entstanden ist."

Begriffe unterscheiden

Kritik an der Begründung zum zweiten Absatz kommt inzwischen nicht nur vom Chef der Bundesärztekammer, den Palliativmedizinern oder der Hospizstiftung, sondern auch von juristischer Seite: "Dieser zweite Absatz des Entwurfes ist im höchsten Maße verwirrend und fehl am Platze", erklärt Professor Ruth Rissing-van Saan im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Rissing-van Saan: Verwirrung im zweiten Absatz.

Rissing-van Saan: Verwirrung im zweiten Absatz.

© Uli Deck / dpa

Die Juristin fällt kein gutes Urteil über die Vorlage aus dem Justizministerium. Die juristischen Begriffe der Gewerbsmäßigkeit und der Absicht im ersten Absatz des neuen Paragrafen 217 reichen nach ihrer Meinung völlig aus, um die Intention des Gesetzgebers klarzustellen.

Es soll - so betont es auch das Ministerium -  die gewerbsmäßige und absichtliche Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt werden. Daher benötige es den Zusatz der Straffreiheit für Angehörige aus Absatz zwei nicht.

Denn: "Sterbehilfe im Sinne von Behandlungsbegrenzung und Leidensminderung ist straffrei, ebenso die Beihilfe zur Selbsttötung. Die gewerbsmäßige Verschaffung der Gelegenheit zur Selbsttötung soll bestraft werden", erklärt die Juristin.

Rissing-van Saan war Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, als unter ihrer Leitung im Juni 2010 das wegweisende Urteil zur Sterbehilfe verkündetet wurde.

Sie warnt davor, juristische, populäre und medizinische Begriffe durcheinander zu bringen. Man müsse unterscheiden zwischen straflosem Verhalten bei der Sterbehilfe und eventuell strafbaren Verhaltensweisen beim Suizid.

Verärgerung bei den Palliativärzten

Dies seien zwei juristisch unterschiedliche Sachverhalte. Zu den strafbaren Verhaltensweisen soll das organisierte und gewerbsmäßige Vermitteln von Gelegenheiten zum Suizid gehören.

Dies wird in Absatz eins geregelt, "und dieser ist auch in der Begründung juristisch gesehen völlig in Ordnung", so Rissing-van Saan.

Der zweite Absatz soll demnach auch nur die Teilnahme an der neuen Straftat regeln, ist aber in seiner jetzigen Fassung irreführend formuliert.

Auch Palliativmediziner fühlen sich von dem Entwurf und der Begründung in ihrer Tätigkeit missverstanden. In der Begründung heißt es: "So bleibt etwa der Palliativmediziner weiterhin straffrei, der einem unheilbar kranken Patienten ein Schmerzmittel zur Bekämpfung sogenannter Vernichtungsschmerzen bereitstellt (...)".

Das empört die Palliativärzte: "Diese Begründung ist eine völlig misslungene Formulierung, die an der Versorgungsrealität nicht nur in der Palliativmedizin vorbei geht", sagte Thomas Sitte, Vorsitzender der Deutschen PalliativStiftung der "Ärzte Zeitung".

Er zeigte sich verwundert, dass ein so hochsensibles Thema juristisch nicht besser formuliert wurde.

Keine "Herzensangelegenheit" der Ministerin

"In solch einem Entwurf muss es eine scharfe Abgrenzung der medizinischen Tätigkeiten in unterschiedlichen Situationen, wie beispielsweise von Hausärzten oder Intensivmedizinern geben", erklärt Sitte.

"Dem Gesetzgeber sei empfohlen, sich ganz intensiv in das Thema auch aus der Sicht der Versorgungspraxis heraus einzuarbeiten", sagte Sitte.

Ein intensives Einarbeiten und juristische Klarstellung hatte die Deutsche PalliativStiftung bereits gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium angeboten.

Sitte fragte beim Ministerium an, ob das Bundesgesundheitsministerium ein Gutachten beim Deutschen Richterbund in Auftrag gegeben werden könne, in dem rechtliche Fragen am Lebensende, zur Sterbehilfe, zur palliativmedizinischen Versorgung sowie zum Betäubungsmittelrecht geklärt werden.

Kosten: Anreise und Unterbringung für die Gutachter. Auf eine Antwort des Ministeriums wartet Thomas Sitte seit Oktober 2011.

Die Welle der Kritik hat das Bundesjustizministerium überrascht. Von dort hieß es, der Gesetzentwurf sei keine "Herzensangelegenheit" der Ministerin, sondern es werde eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt.

Dort steht auf Seite 108 unter dem Stichwort "Sterbehilfe": "Die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung werden wir unter Strafe stellen."

Sterbehilfe und Selbsttötung -  schon im Koalitionsvertrag beginnt also die terminologische Ungenauigkeit -  die sich nun weiter durch das nachrichtliche Sommerloch trägt.

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Kommentare
Lutz Barth 02.08.201220:45 Uhr

Problem: "lex Kusch"

Es sei mir gestattet, im Nachgang zum Statement von Herrn Oswald wie folgt zu replizieren:

Nun - in der Tat erscheint es auf den ersten Blick eher "unglücklich", wenn zwei Themenkreise miteinander nicht deutlich von einander abgegrenzt werden.

Indes halte ich es für völlig überflüssig, eine "lex Kusch und Co." verabschieden zu wollen. Nicht etwa, weil ich für eine kommerzielle Sterbehilfe bin, sondern weil ich der festen Überzeugung bin, dass der parlamentarische Gesetzgeber die exklusive Chance nutzen sollte, eine generelle Regelung zur "Sterbehilfe" zu treffen.

Die wesentlichen Argumente liegen auf dem Tisch. Ethikräte, Theologen, Ethiker, Soziologen und Juristen haben sich in vielfältigen Expertisen und Fachbeiträgen positioniert und gelegentlich Empfehlungen abgegeben.

Eigentlich gibt es nichts "mehr" zu debattieren, sondern der Gesetzgeber muss endlich seine Aufgabe erledigen.

Da wäre es m.E. schade, wenn erneut das Problem "vertagt" wird und weitere Jahrzehnte verstreichen, bevor dann der ethische Hochdiskurs über das freie und selbstbestimmte Sterben erneut entfacht wird.

Eine "lex Kusch und Co." ist da nicht erforderlich, sondern allenfalls ist der Mut der Parlamentarier einzufordern, endlich sich vorbehaltlos zum Selbstbestimmungsrecht auch der schwersterkrankten und sterbenden Menschen zu bekennen. Einfach ausgedrückt: Ist es so unvorstellbar, dass einzelne schwersterkrankte Menschen einfach nur ihrem persönlichen Leid entfliehen wollen, ohne in extenso die ohne Frage segensreiche Palliativmedizin in Anspruch nehmen zu wollen (resp. zu müssen)?

Ich meine, wir sollten die "Ethik", aber eben auch die "Kirche" im Dorf lassen und einen Kompromiss auf der Grundlage des ethischen Standards unseres Grundgesetzes anvisieren. Das Grundgesetz bietet hier akzeptable Lösungen und in diesem Sinne hoffe ich, dass die derzeitige Empörung (trotz eines Koalitionsvertrages) daran erinnert, dass nahezu alle Ethikräte für eine Liberalsierung der Sterbehilferegeln votierten (sehen wir mal von einigen Sondervoten ab).

Die Mehrheit des Volkes hingegen ist entschieden und ich denke, diese Mehrheit hat ein intuitiv richtiges verfassungsrechtliches Ergebnis gezogen: in dubio pro liberate!

Lutz Barth 02.08.201217:35 Uhr

„Spitzenjuristen“ sind sich vor allem eins: „Uneins“!

Mit Verlaub: Hier wird eine Debatte entfacht, als gäbe es hier einen intensiven Diskussionsbedarf, zumal mit Blick auf noch etwaig einzuholende fachliche Expertisen.

Das Thema „Sterbehilfe“ bewegt seit Jahrzehnten die Gemüter und ein Konsens steht angesichts der diametral entgegengesetzten „Werte“, die miteinander um entsprechende Beachtung heischen, nicht zu vermuten an. Es dürfte allgemein bekannt sein, dass auch Ärzte nach dem geltenden Strafrecht Beihilfe zum Suizid leisten dürfen. Problematisch ist vielmehr, dass der 114. Deutsche Ärztetag eine berufsrechtliche Verbotsnorm auf den Weg gebracht, die die Gemüter erhitzt (besser wohl: erhitzen sollte).

Gäbe es das unsägliche ethische Zwangsdiktat im ärztlichen Berufsrecht nicht, wäre die Diskussion um ein Vielfaches leichter, zumal Ethikräte, aber auch namhafte Medizinethiker, Theologen und insbesondere auch der Deutsche Juristentag für eine Liberalisierung der Sterbehilfe-Regelungen plädieren und zwar auch und gerade mit Blick auf das ärztliche Berufsrecht. Die strikte Ablehnung der Mithilfe des Arztes bei einem frei verantwortlichen Suizid eines schwersterkrankten und sterbenden Patienten durch die ärztlichen Standesorganisationen ist derzeit der „Stein des Anstoßes“ in der Debatte – nicht mehr und nicht weniger.

Mit Verlaub: In diesem Sinne macht es Sinn, wenn sich „Spitzenjuristen“ äußern und zu der Frage Stellung beziehen, ob eine Standesorganisation dazu berufen ist, bedeutsame Grundrechte ihrer Mitglieder zu „versenken“. Die Strafrechtslage ist hinreichend klar, während demgegenüber aus verfassungsrechtlicher Perspektive der Frage nachzuspüren ist, wo die Grenzen der prinzipiell den Kammern eingeräumten Satzungsautonomie verlaufen, und zwar aus formeller und materiell rechtlicher Perspektive. Immerhin sind hochrangige Grundrechte tangiert und da erscheint es mir persönlich wesentlicher konstruktiver zu sein, dem „Wunsch“ des Präsidenten der BÄK nachzukommen, wenn ein „staatliches Obergericht“ über die Grundrechtseingriffe der Ärztekammern irgendwann einmal zu „urteilen“ hat.

Auch wenn dies noch ein langer Weg zu sein scheint, lassen sich gerade aus verfassungsrechtlicher Perspektive hinreichende Bedenken gegen die Verbotsnorm in den einschlägigen ärztlichen Berufsgesetzen formulieren (u.a. Parlamentsvorhalt, ranghohes und vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht der Gewissensfreiheit), mal ganz davon abgesehen, dass eine berufsrechtlich verordnete Arztethik dem hohen Berufsstand der Ärzteschaft nun wahrlich nicht zur Ehre gereicht!

Wenn dann noch die "Spitzenjuristen" zur Einsicht gelangen, dass auch sie sich ein stückweit zu bescheiden haben und sich vor allem vom Toleranzprinzip bei ihrer Verfassungsexegese leiten lassen, wäre ein verfassungsrechtlicher Kompromiss möglich: Eine behutsame Liberalisierung der Sterbehilfe (in den Händen der Ärzteschaft), ohne dass die unterschiedlichen Werthorizonte in der Gänze aufgegeben werden müssen.
Schwersterkrankte und sterbende Menschen werden es auch den wertkonservativen Verfassungsrechtslehrern danken, wenn diese ihre Selbstbestimmungsrecht achten und im Übrigen sie sich vertrauensvoll an ihre Ärzte wenden können, die nicht (!) mit einem ethischen Zwangsdekret überzogen werden!

Mit Verlaub: Das ethische Zwangsdiktat durch die Kammern sollte seinerseits "ethisch" überprüft werden und ich persönlich meine, dass das Urteil mehr als niederschmetternd ausfällt!

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