Schalke-Profi im Interview

Metzelder: "Profifußball ist moderner Gladiatorenkampf!"

Die Fälle von psychisch kranken Bundesliga-Fußballern mehren sich. Wie er als Profi darüber denkt, erzählt Christoph Metzelder im Interview mit der Ärzte Zeitung. Der Verteidiger des FC Schalke 04 und langjährige Nationalspieler spricht über Leistungsdruck, Depressionen und Sportpsychologie – und verrät, wann er selbst psychisch an seine Grenze gestoßen ist.

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Christoph Metzelder

Metzelder: "Profifußball ist moderner Gladiatorenkampf!"

© VI Images / imago

Christoph Metzelder, geboren am 5. November 1980, ist Fußball-Profi beim Bundesligisten FC Schalke 04 und seit 2004 Vize-Präsident der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV), der offiziellen Spielergewerkschaft der Profifußballer.

Der Verteidiger wurde 2002 mit Borussia Dortmund Deutscher Meister. Metzelder war lange Zeit Stammspieler in der deutschen Nationalmannschaft, mit der er jeweils Zweiter bei der WM 2006 und bei der EM 2008 wurde.

Mit Real Madrid gewann Metzelder 2008 die Spanische Meisterschaft.

Ärzte Zeitung: Wie beurteilen Sie die sportpsychologische Betreuung von Fußball-Profis in Deutschland, Herr Metzelder?

Christoph Metzelder: Es gibt noch keine flächendeckende psychologische Betreuung und große Unterschiede zwischen den einzelnen Vereinen. Im modernen Profifußball wird zwar alles professioneller, was Taktik, Technik und Physis anbelangt, und viele Klubs haben auch schon ein Mentalcoaching im Angebot - doch eine Betreuung von Profis, die psychisch an ihre Grenzen stoßen oder schon darüber hinaus sind, gibt es nur selten.

Ärzte Zeitung: In unserer Umfrage haben lediglich sechs Bundesliga-Vereine und zwei Zweitligisten angegeben, ihre Profis dauerhaft psychologisch zu betreuen. Warum ist ein solches Angebot selten?

Metzelder: Das hatte in den vergangenen Jahrzehnten einfach wenig Tradition. Aber durch die öffentlich gewordenen Fälle in der jüngsten Vergangenheit sind Depressionen, Burn-out und Co. sichtbar geworden und haben Namen bekommen. Daher sollte man Druck machen, dass die Klubs eine dauerhafte Betreuung einführen. Ich stehe voll und ganz hinter der Forderung der VDV nach einer Sportpsychologen-Pflicht für alle deutschen Profiklubs.

Ärzte Zeitung: Welche Erfahrungen haben Sie in der Arbeit mit Psychologen gemacht?

Metzelder: Ich habe bei der Nationalmannschaft die ersten Erfahrungen mit Dr. Hans-Dieter Hermann gesammelt. Er macht das sehr gut, weil er die Rolle eines Beobachters einnimmt. Er betrachtet von außen die Gruppe und die Gruppendynamik und greift ein, wenn ihm etwas auffällt. Auch steht er für Einzelgespräche zur Verfügung.

Als ich bei Borussia Dortmund spielte, hatten wir ein halbes Jahr unter Trainer Thomas Doll einen festangestellten Psychologen: Jürgen Lohr befand sich im erweiterten Trainerteam und saß auch bei den Spielen auf der Bank. In meiner Zeit bei Real Madrid gab es keinen Sportpsychologen für die Mannschaft.

Bei Schalke 04 haben wir auch keinen Festangestellten, aber wir wissen, dass wir im Bedarfsfall über das Netzwerk unseres Mannschaftsarztes Dr. Thorsten Rarreck noch am selben Tag einen Termin bei einem Spezialisten in der Umgebung bekommen könnten.

Ärzte Zeitung: Wie regelmäßig arbeiten Sie mit Sportpsychologen zusammen?

Metzelder: Ich mache das hin und wieder, weil es mir schon wichtig ist, dass ich mich auch im mentalen Bereich verbessere. Regelmäßig war es nur vor und bei Turnieren mit der Nationalmannschaft.

Ärzte Zeitung: Wie sah Ihre psychologische Betreuung aus?

Metzelder: Es ging einerseits um Selbstreflexion: Wer bin ich? Was kann ich? Was kann ich nicht? Andererseits um mentales Training, damit man die Tools, die man an die Hand bekommt, auch richtig einübt - beispielsweise die Visualisierung oder der Einsatz von Glaubenssätzen. Im Grunde geht es immer darum, dass man sich darauf konzentriert, positiv zu denken und negative Dinge auszublenden. Man kann sich das gar nicht vorstellen, wie anstrengend das ist, wenn man es nicht selbst macht: Es ist wirklich hartes Training.

Ärzte Zeitung: Kann Ihnen das mentale Training während des Spiels helfen?

Metzelder: Ja, wenn man gut trainiert ist, funktioniert das auch während eines Spiels. Ich greife darauf zurück, wenn mir ein Fehler unterläuft oder die Mannschaft in Rückstand gerät. Und um auf diese Situationen vorbereitet zu sein, gehe ich vor jedem Spiel in der Kabine eine halbe Stunde in mich und stelle mir solche Szenen vor. Man muss sich für diese Visualisierungen extrem konzentrieren, weil es in der Kabine ja nicht ruhig zugeht. Das ist sehr anstrengend.

Ärzte Zeitung: Ist der Druck, der auf die Profifußballer lastet, insgesamt stärker geworden?

Metzelder: Natürlich ist der Leistungsdruck hoch, aber er war es schon früher. Wer Hochleistungssport betreibt, hat immer Druck. Die Angst vor Fehlern, die Angst vorm Versagen - das kennen alle Leistungssportler. Das sind Dinge, die jeder mit sich selbst ausmachen muss. Ich kann schon nachvollziehen, dass manche an ihre Grenze stoßen und die Belastungen dann nicht mehr aushalten.

Ärzte Zeitung: Gab es eine solche Phase in Ihrer Karriere?

Metzelder: Ja, das war während meiner sehr langen Verletzungszeit 2003 und 2004. Ich wurde mehrmals an der rechten Achillessehne operiert, es gab viele Rückschläge. Meine Karriere stand auf der Kippe - und es war nicht einfach, gegen die Zukunftsängste anzukämpfen. Ich erhielt Rückhalt von meiner Familie, und als es mit dem Fuß langsam besser wurde, konnte ich mich daraus befreien.

Ärzte Zeitung: Immer wieder schaffen das Fußball-Profis nicht und werden dann psychisch krank. Manche wie jüngst Martin Amedick von Eintracht Frankfurt bekennen sich öffentlich zu ihrer psychischen Erkrankung. Ist das ratsam?

Metzelder: Wenn eine psychische Erkrankung aufgetreten ist, hat man ohnehin keine andere Wahl mehr, als sich helfen zu lassen. Ich kann niemandem den Schritt raten, sich zu outen. Schwäche im Leistungssport zu zeigen, ist schwierig.

Ärzte Zeitung: So bleiben Depressionen, Burn-out und Co. aber weiterhin ein Tabu, obwohl der deutsche Profifußball nach dem tragischen Tod des psychisch schwer kranken Nationaltorwarts Robert Enke im November 2009 ein Umdenken angekündigt hat.

Metzelder: Nach dem Tod von Robert Enke hatten viele die Hoffnung, dass sich etwas ändert. Aber natürlich ändert sich nichts. Psychische Erkrankungen werden immer ein Tabu bleiben. Selbst unter den Spielern werden solche Erkrankungen nicht thematisiert. Profifußball ist moderner Gladiatorenkampf. Innerhalb einer Mannschaft herrscht ein Verdrängungswettkampf. Es geht darum, persönlich voranzukommen - darum, Spiele und Titel zu gewinnen und in die Nationalmannschaft zu kommen. Das wird sich nie ändern, das ist einfach der Kern des Leistungssports. Deswegen ist es wichtig, dass die Vereine die Spieler im mentalen und psychologischen Bereich besser betreuen.

Das Interview führte Thorsten Schaff

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