Haiti: "Ich bin gerettet, ruft das kleine Mädchen, ich bin gerettet"

Mit einem fünfköpfigen Krisenhilfsteam hat sich der Chirurg Dr. Eckehart Wolff von Ecuador aus auf den Weg nach Haiti gemacht, um Erdbebenopfern zu helfen. "So viele Brüche haben wir noch nie auf einmal gesehen", schreibt er in seinem Tagebuch, das die "Ärzte Zeitung" in Auszügen in einer Serie veröffentlicht.

Von Dr. Eckehart Wolff Veröffentlicht:
Ein Lächeln, weil es dem kleinen Patienten gut geht: Dr. Eckehart Wolff (2. von rechts) mit einem Operationsteam im Einsatz in Port au Prince. © Deutsche Missionsgemeinschaft (2)

Ein Lächeln, weil es dem kleinen Patienten gut geht: Dr. Eckehart Wolff (2. von rechts) mit einem Operationsteam im Einsatz in Port au Prince. © Deutsche Missionsgemeinschaft (2)

© Deutsche Missionsgemeinschaft (2)

Freitag,15. Januar: Ankunft in Port au Prince.

Auf dem kleinen Flughafen stehen Flugzeug an Flugzeug. Wir schaffen es, unsere Maschine in neun Minuten zu entladen, dann fliegt sie zurück. Blauhelme aus Indien sichern den Flughafen. Hilfsgüter rollen an und stapeln sich.

Wieder Stunden des Wartens, dann werden wir abgeholt, fahren durch füchterliche Straßen von Port au Prince mit vielen zerstörten Häusern hinauf - durch schließlich ein Villenviertel mit wenig Schäden auf 1250 Meter Höhe über der Stadt in das Baptisten Hospital. Wir werden sehnlichst erwartet. Der leitende Arzt ist tot, die beiden anderen Ärzte und die Anästhesistin haben seit drei Tagen Dauerdienst.

Haiti-Tagebuch eines Arztes Dr. Eckehart Wolff

Ein 100 Betten-Haus mit sicher an die 200 Patienten - und ständig kommen neue. Jetzt gilt es erst einmal Ordnung reinzubringen, denn überall strecken uns Menschen Röntgenbilder entgegen. Allein die erste Visite, um die Patienten kennen zu lernen, kostet uns fast vier Stunden. Es sind Ober- und Unterschenkelfrakturen, Ober- und Unterarmbrüche und gequetschte Hände und Füße mit Nekrosen. So viele Brüche haben wir noch nie auf einmal gesehen.

Und es geht gleich los mit einem Jungen mit Kompartmentsydrom, dem wir die Muskeln retten können. Dann liegt da eine Schwangere im Bild einer Eklampsie. Sie beschäftigt uns bis Mitternacht, aber das unreife Kind schafft es nicht zu überleben.

Samstag, 16. Januar: Der erste große Arbeitstag.

Heute sind wir aus dem Op nur zum Essen rausgekommen. Jeder Patient bzw. die Angehörigen halten sich für den wichtigsten. Da gab es scharfe Auswahlkriterien. Offene und ausgerenkte offene Frakturen sowie vereiterte Wunden mit hohem Fieber waren die ersten. Jede Menge offene Ober- und Unterschenkelfrakturen aber auch zerschlagene Füße und Finger. Die meisten stanken zum Himmel.

Und es gab viel Trauriges zu verarbeiten, eine Mutter, die sechs Kinder im Haus ließ. Nach drei Tagen wurde das eine ausgebuddelt mit eingeschlagenem Schädel und starb bei uns. Jetzt steht sie ohne Kinder da. Eine Frau mit instabiler Wirbelfraktur ist heute plötzlich an weiterer Blutung verstorben.

Der Konkurrenzkampf der Menschen hier ist fürchterlich. Sobald einer im Op ist, müssen die Angehörigen das Bett hüten, sonst ist es bei seiner Rückkehr aus dem Op besetzt. Aber es gibt auch viel Verständnis wenn nicht alles so schnell geht.

Das Team klappt bestens. Was fehlt sind Krankenschwestern im Op. So müssen wir uns alles selbst zusamen suchen. Lediglich eine liebe Frau gibt es, die sterilisiert. Sie kann nicht lesen und schreiben, ist aber eine Seele von Mensch und spricht und betet mit den Patienten, wenn sie in der Warteschlange liegen und Angst und Schmerzen haben. 14 Op waren es heute von 8.00 Uhr bis nach Mitternacht. Danach kann man auch erst mal nicht schlafen und muss die vielen Eindrücke verarbeiten.

Ein provisorisches Dach über dem Kopf - Zelt-Stadt im Stadion von Port au Prince. © dpa

Ein provisorisches Dach über dem Kopf - Zelt-Stadt im Stadion von Port au Prince. © dpa

© dpa

Sonntag, 17. Januar:

Unsere Besprechung ist zeitraubend, da wir viele Fehler in der Kommunikation erlebt haben und uns besser absprechen. Außerdem muss sich die extreme Anspannung auch mal bei einer Tasse Kaffee und viel Lachen› entladen können.

Dabei werden Erlebnisse ausgetauscht wie über das kleine Mädchen, das gestern aus der Ketanestnarkose langsam aufwachte und noch halb im Schlaf immer wieder auf kreolisch sang: "Ich bin gerettet, ich bin gerettet..." Sie war wohl drei Tage lang verschüttet gewesen.

Überhaupt bekommen wir gar nicht so viel von den Rettungsaktionen mit, besonders wir im Op nicht. Wir sind nur am Schneiden, Bohren und Gipsen.

Zur Person

Dr. Eckehart Wolff ist als Arzt in einem Partnerwerk der Deutschen Missionsgemeinschaft in einer Klinik in Ecuador tätig. Dort hat der Chirurg in den vergangenen Jahren geholfen, ein medizinisches Krisenhilfsteam aufzubauen, das jetzt mit fünf Personen in Haiti im Einsatz ist und vorher bereits in anderen Krisenregionen gearbeitet hat Wolff ist verheiratet mit einer Ärztin und hat fünf Kinder.

Spendenadresse: Stiftung der Dt. Missionsgemeinschaft, Volksbank Kraichgau, BLZ 672 919 00, Kto: 111 111 6, Hinweis: Für Arbeit Dr. Wolff.

Haiti-Tagebuch eines Arztes Folge 3: Eine Mutter überlebt - und verliert vier Kinder Folge 2: Ärzte in Haiti: "Wir spüren große Dankbarkeit" Folge 1: Haiti: "Ich bin gerettet, ruft das kleine Mädchen, ich bin gerettet"

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