Visionen einer Medizin der Zukunft
Mit einer Ausstellung der Illustrationen des jüdischen Arztes, Volksaufklärers und Universalisten Fritz Kahn bringt die Charité das Werk eines ehemaligen Schülers wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Dem Betrachter soll sich die Frage stellen, in welchem Verhältnis Mensch, Medizin und Maschine zueinander stehen.
Veröffentlicht:Die Leistung des Herzens als Kraftmaschine, das Rettichbrot als Kleinhirnmodell, das Gehirn als Walnuss - mit solchen Bildern visualisiert der Berliner Arzt, Naturwissenschaftler und Volksaufklärer Fritz Kahn komplizierte Zusammenhänge in Natur und Technik, um sie einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. Als anschauliche Illustrationen begleiten sie die Ausführungen in seiner populärwissenschaftlichen Buchreihe "Das Leben des Menschen", die den jüdischen Intellektuellen in den 1920ern zum internationalen Bestsellerautor macht.
Kahns Bücher werden öffentlich verbrannt
Nach der Machtergreifung Hitlers emigriert er 1933 nach Palästina und später, mithilfe seines Freundes Albert Einstein, nach New York. Seine Bücher werden öffentlich verbrannt und landen auf der Liste des "schädlichen und unerwünschten" Schrifttums. Der Autor selbst gerät in Europa weitgehend in Vergessenheit.
Die Charité Universitätsmedizin Berlin will jetzt mit einer Ausstellung im Medizinhistorischen Museum das Werk ihres ehemaligen Schülers wieder ans Licht der Öffentlichkeit bringen. Bis zum 11. April zeigt sie in der Ausstellungsreihe "Interventionen" mehr als 100 der interessantesten Illustrationen aus Kahns Werk. Als Ausstellungsort wurde der Rudolf-Virchow-Saal gewählt. Dort soll sich ein Dialog entwickeln zwischen den historischen Präparaten und den Illustrationen. "Die Feucht- und Trockenpräparate in den Vitrinen zeigen den kranken Menschen - statisch und unbelebt. Auf den Bildern hingegen ist der belebte Mensch dargestellt", erläutert Ausstellungskuratorin Uta von Debschitz. Die Tafeln, auf denen Kahns Abbildungen zu sehen sind, korrespondieren mit den Themen der Vitrinen.
Die Charité läutet mit der Ausstellung das Jubiläumsjahr zu ihrem 300-jährigen Bestehen ein. "Wir haben den Ausstellungszyklus sehr bewusst mit einer Ausstellung begonnen, die Wissen nach außen stellt. Denn dies ist eine Verpflichtung der Wissenschaft. Mit seinen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen hat Fritz Kahn das Menschenbild des 20. Jahrhunderts als Körperbild stark geprägt", sagte der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité, Professor Thomas Schnalke bei der Ausstellungseröffnung.
Von der Verantwortung der Medizin, ihre Entwicklungen nach außen zu kommunizieren, sprach in diesem Zusammenhang auch Professor Karl Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité Universitätsmedizin. In der Vergangenheit habe sich die Medizin oft den Vorwurf gefallen lassen müssen, in einem Elfenbeinturm zu sitzen, so Einhäupl. "Aus diesem Elfenbeinturm müssen wir heraustreten. Die Wissenschaft Medizin muss dem Menschen verständlich vermitteln, was medizinisch möglich ist."
Genau dies hat seinerzeit Fritz Kahn versucht. Der Universalist Kahn interessierte sich dabei nicht nur für medizinische Sachverhalte. Von der Astronomie über die Botanik, Meteorologie bis hin zu fernöstlichen Religionen und Psychoanalyse - alles sprach seinen Forschergeist an. Dabei ging es ihm nicht ums Detail, sondern er versuchte, die Prinzipien hinter den verschiedenen Disziplinen zu verstehen. So erkannte er auch die Verbindungen zwischen ihnen, die Interdisziplinarität.
Mensch, Medizin und Maschine
"Die Ausstellung soll die Frage aufwerfen, in welchem Verhältnis Mensch, Medizin und Maschine zueinander stehen", erklärt Uta von Debschitz. Gemeinsam mit ihrem Bruder Thilo von Debschitz hat sie ausstellungsbegleitend Illustrationen Kahns in einem Buch über das Leben und Werk des populärwissenschaftlichen Autors zusammengetragen.
Das Buch wurde unter dem Titel "Fritz Kahn - Man Machine/Maschine Mensch" beim Verlag SpringerWienNew York verlegt. "Die Geschwister Debschitz haben mit dafür gesorgt, dass die Kulturzensur des Naziregimes überwunden wurde. Die Sichtbarmachung seines Werkes führt noch einmal deutlich vor Augen, dass das Naziregime neben Terror und Leid auch einen ungeheuren Aderlass in der Wissenschaft und Kultur bedeutet hat", sagte die ehemalige Bundesgesundheitsministerin und Schirmherrin der Ausstellung, Ulla Schmidt (SPD) bei der Eröffnung.
Schmidt hat auch ein Lieblingsbild: "Der Mensch als Industriepalast" macht ihrer Meinung nach den modernen Präventionsgedanken besonders deutlich, den sie in allen Bildern Kahns ausmacht. "Diese Bilder zeigen, dass der eigene Körper und das eigene Leben etwas sehr Wertvolles ist, das man wertschätzen und womit man pfleglich umgehen muss", so Schmidt. Sie stünden aber auch für ein Altern in Würde, denn sie zeigten, dass der Körper wie die Maschine lange funktionstüchtig bleibe, wenn man sorgsam und richtig damit umgeht.
Für Schmidt und Einhäupl sind Kahns Bilder, in denen sich bereits die moderne Prothetik und Telemedizin widerspiegelt, Visionen einer Medizin der Zukunft. Kahn hat keines dieser Bilder selbst gezeichnet. Sie formten sich nur in seinem Kopf, und er konnte sie so detailgetreu wiedergeben, dass andere sie zeichnerisch realisieren konnten.
Fritz Kahn - ein Schüler der Charité
Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité beginnt das Jubiläumsjahr zum 300-jährigen Bestehen der Charité mit einer Sonderausstellung: Erstmalig sind Illustrationen aus den Büchern des Berliner Arztes und Wissenschaftsautors Dr. Fritz Kahn (1888-1968) im Rahmen der Ausstellungsreihe "Interventionen" zu sehen. Noch bis zum 11. April werden mehr als 100 Illustrationen aus Kahns Werk präsentiert. Kahns Hauptwerk, die fünfbändige Reihe "Das Leben des Menschen" (1922-1931), galt in den zwanziger Jahren als deutsche Leistung von Weltrang. In den dreißiger Jahren wurde es verbrannt und verboten. Bis heute inspirieren Bilder, die Kahn für seine Bücher anfertigen ließ, Künstler weltweit zu eigenen Interpretationen.