Als die IPPNW den Friedensnobelpreis erhielt

Vor 25 Jahren hat die Organisation Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs den Friedensnobelpreis erhalten.Ein Frankfurter Arzt, Gründungsmitglied und Ehrenvorsitzender, hielt in Oslo die Dankesrede.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Preisträger: US-Arzt Dr. Bernard Lown (l.) und Evgeny Tschasow, damals Vize-Gesundheitsminister der UdSSR.

Preisträger: US-Arzt Dr. Bernard Lown (l.) und Evgeny Tschasow, damals Vize-Gesundheitsminister der UdSSR.

© IPPNW

FRANKFURT/MAIN. Als Professor Ulrich Gottstein am Abend des 9. Dezember 1985 in der Stadthalle von Oslo ans Mikrophon trat, wusste er nahezu 150 000 Kollegen aus 52 Ländern hinter sich. Aus der erst 1981 gegründeten Organisation International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) war in nur vier Jahren eine Massenbewegung geworden, deren Stimme weltweit Gehör fand.

Dennoch hatte Gottstein nicht im Traum daran geglaubt, dass seine Organisation so bald schon die höchste aller Auszeichnungen bekommen könnte - den Friedensnobelpreis!

"Wir sind hergekommen mit Dankbarkeit im Herzen, nicht stolz, sondern demütig", begann der Frankfurter Internist und Chefarzt seine Osloer Rede.

"Wir sind dankbar, dass unsere Bemühungen gewürdigt werden, unsere Bemühungen, die Menschheit zu retten, seien es Menschen, die im Kapitalismus leben oder im westlich geprägten Sozialismus, seien es Menschen, die in der UDSSR oder in Ländern mit östlich geprägtem Sozialismus leben, seien es freie oder unterdrückte Menschen, seien es Menschen in Entwicklungsländern, alle Menschen in Ost und West, in Nord und Süd."

Gründungsversammlung in Großbritannien

Die 1980er Jahre markierten den Höhepunkt des Kalten Kriegs. Die USA und die Sowjetunion hatten ein nukleares Waffenarsenal angehäuft, mit dem sie nicht nur den politischen Gegner, sondern die ganze Erde vernichten konnten.

Professor Ulrich Gottstein, Frankfurter Internist und IPPNW-Ehrenvorsitzender, mit der Urkunde zum Friedensnobelpreis.

Professor Ulrich Gottstein, Frankfurter Internist und IPPNW-Ehrenvorsitzender, mit der Urkunde zum Friedensnobelpreis.

© Smith

Schon mehrfach war die Welt am Abgrund gewesen, hätte es nur eines Knopfdrucks bedurft, um die Menschheit auszulöschen. Seiner besonderen Verantwortung als Arzt bewusst, rief der berühmte US-Kardiologe Professor Bernard Lown, Erfinder der Defibrillation, im Dezember 1980 seine Kollegen dazu auf, eine internationale Bewegung zur Verhütung des Atomkriegs ins Leben zu rufen.

An der Gründungsversammlung im englischen Ascot nahm auch Ulrich Gottstein teil. Der Frankfurter Arzt, Jahrgang 1926, hatte die Schrecken des Zweiten Weltkrieges erlebt - im Luftschutzbunker, im Schützengraben und im Internierungslager. Am 6. Februar 1982 lud er seine Kollegen, unter ihnen auch der Giessener Psychoanalytiker Professor Horst-Eberhard Richter, zur Gründung einer westdeutschen IPPNW-Sektion nach Frankfurt am Main ein.

Unterdessen hatte Lown seinen russischen Kollegen Professor Evgeny Tschasow zum friedenspolitischen Engagement innerhalb der IPPNW bewegen können, womit die Bewegung auch im Osten Fahrt aufnahm. Hier wie dort verfolgten die Ärzte vorrangig ein Ziel: die Bürger davon zu überzeugen, dass ein Atomkrieg unweigerlich das Ende der Menschheit bedeutet. "Wir werden Euch nicht helfen können", lautete ihre Botschaft.

Die unermüdliche Aufklärungsarbeit der IPPNW fand schon bald internationale Anerkennung. Die WHO, die World Medical Association, aber auch das Internationale Rote Kreuz, der Evangelische Kirchenrat und die Katholische Bischofskonferenz in den USA sicherten den Ärzten ihre Unterstützung zu. Weniger Lob gab es von Seiten westlicher Politiker. Obwohl sich die IPPNW für eine Abrüstung in Ost und West einsetzten, warfen ihr vor allem konservative Politiker Anti-Amerikanismus vor.

Kohl, Strauß und Geißler waren verärgert

Als das Nobelpreis-Komitee der IPPNW im Oktober 1985 den Friedensnobelpreis zusprach, intervenierten Bundeskanzler Helmut Kohl, der CSU-Parteivorsitzende Franz-Josef Strauß sowie CDU-Generalsekretär Heiner Geißler (heute Schlichter im Streit um Stuttgart 21) in Oslo, um die Entscheidung rückgängig zu machen.

"Sie verleumdeten unsere internationale ärztliche Bewegung, kommunistisch unterwandert zu sein, erkennbar daran, dass der eine der beiden Co-Präsidenten, Evgeny Tschasow, als Vize-Gesundheitsminister der Sowjet-Union Mitglied des Präsidiums der UdSSR war", empört sich der IPPNW-Ehrenvorsitzende Gottstein noch heute.

Geißler, der die Zuerkennung des Friedensnobelpreises an die IPPNW als "Schande" bezeichnete, schrieb gar einen Brief an das Nobelpreis-Komitee. In seiner Dankesrede in Oslo entschuldigte sich Gottstein für diesen Versuch der Einflussnahme.

Inzwischen 84 Jahre alt, engagiert sich Ulrich Gottstein noch immer für den Frieden und die Opfer des Kriegs. Er setzt sich für die Völkerverständigung im ehemaligen Jugoslawien ein und organisiert die medizinische Versorgung von verletzten und missgestalteten irakischen Kindern in Deutschland.

Für sein Engagement wurde er 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt. "Wir haben als IPPNW und als Anti-Atomwaffen-Netzwerk viel erreicht", konstatiert der Arzt heute, "aber die Zukunft unserer belebten Erde und unserer Nachkommen ist noch lange nicht gesichert. Darum ist unser aller Engagement weiter notwendig."

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Praxisabgabe mit Hindernissen

Warum Kollege Gieseking nicht zum Ruhestand kommt

62 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Krankenkassen haben zum Jahreswechsel schlechte Botschaften für ihre Mitglieder: die Zusatzbeiträge steigen stark. Die Kritik an versäumten Reformen der Ampel-Koalition ist einhellig.

© Comugnero Silvana / stock.adobe.com

Update

62 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025