Olympia

Die ersten genmanipulierten Spiele?

Gene zur Leistungssteigerung in Körperzellen einschleusen - Was eher nach Science Fiction klingt, ist jedoch so real, dass die Welt Anti Doping Agentur Gendoping schon vor zehn Jahren verboten hat.

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Was tun, wenn die physischen Grenzen erreicht sind?

Was tun, wenn die physischen Grenzen erreicht sind?

© Jim Parkin / fotolia.com

LONDON (BS). Natürlich macht jahrelanges, hartes Training noch keinen Olympiasieger. Für körperliche Höchstleistungen müssen Sportler auch bestimmte physische (und psychische) Voraussetzungen mitbringen.

Einige dieser Anlagen hat man inzwischen bis auf die Ebene der DNA analysiert. Rund 230 sogenannte leistungssteigernde Polymorphismen (performance enhancing polymorphism, PEP) sind heute bekannt. Alle Spitzensportler verfügen offenbar über einen Minimalsatz solcher "Sport-Gene".

Ein Beispiel ist das 577R-Allel des Gens ACTN3, das bei jedem bisher getesteten olympischen Sprinter nachgewiesen werden konnte. ACTN3 kodiert für ein Protein des kontraktilen Apparats schneller Skelettmuskelfasern.

Menschen, denen die Variante 577R fehlt - das ist etwa jeder zweite Eurasier -, sollten ihre olympischen Ambitionen noch einmal überdenken, empfehlen Juan Enriquez und Steve Gullans aus Boston (Nature 2012; 487: 297).

Der Ökonom und der Wissenschaftler haben gerade ein Buch verfasst mit dem Titel "Homo Evolutis: A Short Tour of our New Species", in dem es um die immer tiefergreifende Selbstgestaltung des Menschen geht.

Gen für Ausdauerleistung bereits 1998 identifiziert

Der erste PEP wurde bereits 1998 identifiziert: Es handelt sich um eine 287 Basenpaare lange Insertion im Gen für das Angiotensin Converting Enzyme (ACE). Die als I-Allel bezeichnete Variante geht mit einer besseren Ausdauerleistung einher.

Weitere leistungssteigernde Varianten betreffen Gene, die den Blutfluss zu den Muskeln, den Sauerstofftransport, den Lactatabbau oder die Energiegewinnung in den Mitochondrien beeinflussen.

Auch immer mehr seltene Mutationen werden entdeckt. Berühmt geworden ist die des Finnen Eero Mäntyranta.

Der erfolgreiche Skilangläufer war immer wieder des Dopings verdächtigt worden, bis man - Jahrzehnte später - herausfand, dass er eine Mutation im Gen EPOR hatte, wodurch sein Blut 25 bis 50 Prozent mehr Sauerstoff transportieren kann.

Wie vertragen sich solche Unterschiede mit den olympischen Ideen von Fair Play und Chancengleichheit? Sollten Sportler mit vorteilhaften Erbanlagen in anderen Kategorien starten als die genetisch weniger gut ausgestattete Konkurrenz?

Oder dürfen, fragen Enriquez und Gullans provokant, die genetisch Unterprivilegierten sich mittels Gentherapie einen Upgrade verschaffen?

Letzteres ist unter dem Begriff "Gendoping" von der Welt-Anti-Doping-Agentur Gendoping (WADA) untersagt. Doch ein Verbot, darin sind sich die Experten einig, wird neue Begehrlichkeiten und Dopingpraktiken wohl kaum aufhalten können.

Die zunehmende Erforschung von PEPs könnte "die dunkelste Zeit des Leistungssports einläuten: die genetische Konstruktion von Superathleten", schreibt auch Elaine A. Ostrander von den US-amerikanischen National Institutes of Health (Annu Rev Genomics Hum Genet 2009; 10: 407-429).

Nachzuweisen, dass ein Sportler nicht von der Natur bevorzugt ist, sondern mit den Methoden der Gentherapie nachgeholfen hat, dürfte extrem schwierig werden.

Schon jetzt setzen sich Sportler durch Doping erheblichen körperlichen Risiken aus. Doch wer Gendoping betreibt, "spielt mit seinem Leben", heißt es in einer Broschüre der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA).

Die gentechnisch erzeugten Veränderungen des Erbguts bleiben lebenslang erhalten - mit bisher nicht absehbaren Folgen.

Tierexperimente verheißen nichts Gutes: Mäuse, denen das menschliche Erythropoietin-Gen eingepflanzt wird, haben doppelt so viele Erythrozyten wie normale Mäuse, sie leben aber nur halb so lang.

Verhandlung wegen Verdacht auf Gendoping

Die NADA geht davon aus, dass Gendoping schon in fünf bis zehn Jahren Realität sein könnte. Doch vielleicht dauert es gar nicht mehr so lange. Schon im Jahr 2006 wurde vor Gericht erstmals wegen des Verdacht auf Gendoping verhandelt.

Der schließlich wegen herkömmlichen Dopings verurteilte Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein hatte in einer E-Mail um Informationen zur Beschaffung von Repoxygen gebeten.

Repoxygen ist ein noch nicht am Menschen erprobter viraler Vektor, der zur Gentherapie bei Anämie eingesetzt werden soll, um bei Sauerstoffmangel die Erythropoietin-Produktion anzuwerfen.

Wird in London vielleicht auch schon der eine oder andere Rekord mithilfe fremder Gene errungen? Perikles Simon von der Universitätsklinik Mainz sagte gegenüber der "Welt", dass er nicht von einem "nennenswerten Einsatz" von Gendoping ausgehe; Einzelfälle seien aber nicht auszuschließen.

Zumindest während der Spiele werden jedenfalls keine Fälle von Gendoping bekannt werden, in London wird nämlich offiziell nicht auf Gendoping getestet.

Das könnte schlicht daran liegen, dass es bisher gar keine validierten und akkreditierten Nachweisverfahren gibt.

Enriquez und Gullans erwarten, dass in den nächsten Jahren ein "drakonisches Regelwerk" gegen gentechnische Manipulationen im Sport entstehen wird.

Sie sehen jedoch schon die nächste Entwicklung voraus: "Wenn genetische Modifikationen üblicher werden, wird allmählich auch die Akzeptanz für eine sichere genetische Leistungssteigerung folgen."

Schließlich wollen wir ja alle olympische Athleten sehen, die immer noch schneller, höher, stärker können.

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