Radonkur

Forscher ergründen die Stollenluft

Jubiläum in Bad Kreuznach: Der Kurort hat im vergangenen Jahr 100 Jahre Radontherapie gefeiert. Möglich macht es die Stollenluft, die nicht nur gegen Morbus Bechterew helfen soll. Aber es gibt auch Risiken.

Von Karl Hübner Veröffentlicht:
Dr. Hans Jöckel, Internist und Balneologe in Bad Kreuznach, in dem von ihm geleiteten Rudolf-Stollen.

Dr. Hans Jöckel, Internist und Balneologe in Bad Kreuznach, in dem von ihm geleiteten Rudolf-Stollen.

© Karl Hübner

BAD KREUZNACH. Ob es Patienten mit Bechterew sind, mit Asthma oder mit Psoriasis: Tausende unterziehen sich allein in Deutschland jährlich einer Radonkur. Etwa in Bad Kreuznach.

Der Kurort beging 2012 den 100. Geburtstag der Inhalationstherapie mit radonhaltiger Stollenluft - Anlass für eine Bestandsaufnahme. Klar ist: In puncto Radonkur gibt es noch manch' offene Frage, etwa zur Wirkweise. Von den Antworten hängt vielleicht die Zukunft dieser Anwendungen ab.

Es war der Apotheker Dr. Karl Aschoff, der 1904 in einem Kreuznacher Stollen Radioaktivität nachwies. Verantwortlich für die Strahlung war das gasförmige Zerfallsprodukt des Radiumisotops 226: Radon-222.

Die Entdeckung der Radioaktivität lag noch nicht lange zurück, und man schrieb besonders dem Radium auch einen medizinischen Nutzen zu. Zum Beispiel schien nun die bis dahin einem "Brunnengeist" zugesprochene Tatsache, dass manche Bergleute beim Baden in Grubenwässern Linderung ihrer Gicht- und Rheumabeschwerden fanden, plausibel.

Um die radioaktive Stollenluft für Kurgäste nutzbar zu machen, entstand vor dem Stolleneingang ein Inhalatorium, in das Stollenluft eingeleitet wurde. Es nahm 1912 den Betrieb auf. Seit 1974 finden die Radonanwendungen direkt im Stollen statt.

Inhalationstherapie oder Bad

Weitere deutsche Kurorte, vor allem in Sachsen und Bayern, bieten ebenfalls Radonkuren an. Üblicherweise erfolgt die Anwendung dort allerdings in Form von radonhaltigen Wannenbädern.

Laut Heilbädertag muss die Aktivität im Wasser dabei mindestens 666 Bq / l betragen. Die Vorgabe für die Inhalationskuren liegt bei mindestens 37.000 Bq / m3 Luft.

Der Verein Europäischer Radonheilbäder (Euradon) listet als mit Radon behandelbare Indikationen: "Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, allen voran Morbus Bechterew, aber auch chronische Polyarthritis, Arthrose und bestimmte Formen des Weichteilrheumatismus. Außerdem Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale oder chronische Bronchitis sowie Hautkrankheiten wie Psoriasis und Sklerodermie."

In Sachen Wirksamkeit verweist Euradon auf eine gute Handvoll zum Teil Placebo-kontrollierter Studien. Bechterew-Patienten mit Radonkur zum Beispiel hätten über eine Zeitspanne von neun Monaten weniger Schmerzen gehabt als Patienten ohne Radonkur, der NSAR-Bedarf sei auch zwölf Monate nach der Kur signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe.

Hinzu komme eine zumindest über drei Monate verbesserte Beweglichkeit. Eine bis zu sechs Monate anhaltende Schmerzlinderung sei zudem bei chronischer Polyarthritis und Zervikalsyndrom beobachtet worden. Eine Studie, an der sich acht Radonbäder in Deutschland und Österreich und über 500 Patienten beteiligen, wird derzeit ausgewertet.

Über welche Mechanismen eine Radonkur wirkt, ist nicht endgültig geklärt. Diskutiert wird etwa, dass die Bildung von TGF-beta (Transforming Growth Factor beta) stimuliert wird; TGF-beta hat antiinflammatorische Effekte.

Diskutiert wird aber auch, dass die vom zerfallenden Radon freigesetzten Alphastrahlen in benachbarten Zellen Apoptose auslösen, die wiederum mit dem Hochregulieren antientzündlicher Botenstoffe wie Interleukin-10 assoziiert ist.

Mehr Klarheit über die genaue biologische Wirkung niedrig-dosierter Alphastrahlen soll jetzt unter anderem ein Projekt am GSI-Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt bringen.

Das Anfang 2012 gestartete, auf über drei Jahre angelegte Projekt soll auch Erkenntnisse über etwaige schädigende Effekte einer Radonbehandlung bringen.

LNT-Modell: aus Vorsicht angewandt

Die Äquivalentdosis einer Radonkur in Deutschland geben die einzelnen Kurorte je nach Ort mit etwa ein bis zwei Millisievert an. "Wie jede Radonexposition, ist auch die Radontherapie grundsätzlich mit einem zusätzlichen Lungenkrebsrisiko verbunden", warnt dazu Cornelia Egblomassé-Roidl vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).

Vor knapp drei Jahren hatten Erlanger Mediziner im Deutschen Ärzteblatt hergeleitet, dass fünf Prozent aller lungenkrebsbedingten Todesfälle in Deutschland auf Radon zurückgehen.

Dieser Herleitung liegt das sogenannte LNT-Modell (linear, no-threshold) zugrunde, nach dem es für das Risiko radioaktiver Strahlen keinerlei Grenzwert gibt. Wissenschaftlich belegt ist dieses Modell derzeit nicht; es gibt durchaus auch Stimmen, die einen Grenzwert bezüglich des Krebsrisikos propagieren.

Das LNT-Modell wird lediglich aus Vorsicht angewendet. "Aus Gründen des Strahlenschutzes gehen wir daher vorsichtshalber von einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung ohne jeglichen Schwellenwert aus", sagt Egblomassé-Roidl.

Die Patienten bekommen die Radonanwendungen meist nicht direkt verschrieben. "Seit Radonbäder 2001 komplett aus dem Heilmittelkatalog gestrichen wurden, können Ärzte die Bäder nur noch im Rahmen ambulanter Kuren verschreiben", so Euradon-Geschäftsführer Steffen Matthias.

Privatversicherte können sich Radonanwendungen mitunter auch direkt bei ihrer Versicherung abrechnen lassen. Manche Patienten zahlen ihre Radonkur auch direkt aus eigener Tasche. Eine Stunde im Kreuznacher Stollen kostet 21 Euro, neun bis zwölf Aufenthalte werden für einen Zyklus empfohlen.

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