Emil von Behring

Der unbeliebte "Retter der Kinder"

Hart gegen sich selbst, vor allem aber auch gegenüber seinen Kollegen: Emil von Behring, der erste Medizinnobelpreisträger, war nicht nur ein Genie, sondern auch ein hart kalkulierender Geschäftsmann.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Die Medizin-Pioniere Emil Behring (l) und Paul Ehrlich ( in einer Fotomontage, erschienen am 12. März 1914 auf der Titelseite der "Berliner Illustrirten Zeitung).

Die Medizin-Pioniere Emil Behring (l) und Paul Ehrlich ( in einer Fotomontage, erschienen am 12. März 1914 auf der Titelseite der "Berliner Illustrirten Zeitung).

© dpa

MARBURG. Die Briefe der Mutter "an das liebe Emilchen" mögen die Medizinhistorikerinnen Ulrike Enke und Kornelia Grundmann besonders gern: "Sie sind rührend, weil eine andere Seite von Emil von Behring (1854 bis 1917) zeigen, der eigentlich ein sehr egoistischer, rücksichtsloser, berechnender Mensch war."

Doch in diesen Briefen wird deutlich, dass er seine Familie und einen Bruder auch zu Zeiten unterstützte, als er noch wenig Geld hatte.

Ulrike Enke von der Emil-von-Behring-Bibliothek der Uni-Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin hat den Nachlass des ersten Medizinnobelpreisträgers und Gründers der Marburger Behringwerke bearbeitet und digitalisiert.

Schulhefte, Vorlesungsmitschriften, medizinische Zeichnungen, Labortagebücher, Abschlusszeugnisse, Veröffentlichungen, Familienalben und 1650 Briefe sind inzwischen im Internet zugänglich.

Gemeinsam mit dem Pharmaziehistoriker Christoph Friedrich planen die Wissenschaftlerinnen bereits das nächste Projekt: Eine Biographie über den berühmten Marburger, die neben dem Nachlass auch das Werksarchiv der ehemaligen Behringwerke mit 1800 Akten berücksichtigt. Erscheinen soll sie bis zu seinem 100. Todestag 2017.

Den Blick fest aufs Geld gerichtet

Der aus einer armen, westpreußischen Lehrerfamilie mit zwölf Kindern stammende Mediziner war ein genialer Forscher, der durch die Entwicklung der Serumtherapie gegen die Diphtherie weltberühmt wurde. Das brachte ihm den Medizinnobelpreis und den Beinamen "Retter der Kinder".

Doch die Marburger Forscherinnen relativieren die Heroisierung von Behring. Er war nämlich auch ein schwieriger Mensch, der bei Kollegen und Studenten wenig beliebt war. Die ihm lästigen Lehrverpflichtungen übergab er fast komplett an seinen Assistenten Erich Wernecke.

Auch die mühselige, für die Serum-Forschung nötige Stallarbeit übernahm er nie. Der Konservative engagierte sich als ehrenamtlicher Stadtrat in der Kommunalpolitik, tauchte aber meist nur dann auf, wenn es um seine Ländereien oder um die Trinkwasserversorgung Marburgs ging.

Was die Mitarbeiter über ihren Chef dachten, wird in einigen Briefen deutlich. Da geht es manchem besonders gut, "schon allein, weil Exzellenz auf Urlaub ist."

Hart war er jedoch auch sich selbst gegenüber: Wegen seiner Erschöpfungszustände musste der exzessive Arbeiter für drei Jahre ins Sanatorium.

Startkapital durch den Nobelpreis

In seiner geschäftlichen Korrespondenz zeigt er sich als kühler Rechner: "Er ist sein Leben lang dem Geld hinterhergelaufen, weil er selbst in ganz einfachen Verhältnissen groß geworden ist", sagt Grundmann.

Tatsächlich starb er als mehrfacher Millionär mit einer großen Villa in Marburg-Marbach und einem Haus auf Capri, wo er den russischen Schriftsteller Maxim Gorki kennenlernte.

Die Marburger profitieren bis heute von seiner Geschäftstüchtigkeit: 1904 nutzte er das Nobelpreisgeld von 150 800 Schwedenkronen, um mit zunächst zwölf Mitarbeitern die Marburger Behringwerke zu gründen.

Als er 1917 starb, hatte das Unternehmen bereits knapp 200 Beschäftigte. Bei den heutigen Nachfolgeunternehmen der Behringwerke arbeiten rund 4000 Menschen. Es ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der nordhessischen Region.

Zu verdanken ist der heute der Universität gehörende Nachlass übrigens Behrings 22 Jahre jüngeren Ehefrau Else, die schon bald nach seinem Tod Briefe des Ehemanns zurückholte. Die an seine "liebe, süße Braut" hatte sie noch selbst.

Darin schildert Behring die Universitätsstadt in begeisterten Worten. Schließlich wollte er die Berlinerin nach Marburg locken.

Zwei der Söhne blieben in der Region: Hans von Behring arbeitete als Werksleiter in Marburg, Otto von Behring war Kinderarzt in Wetzlar.

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