Alternative zur Krankenkasse

Solidargemeinschaft für alle Fälle

Neben der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung entwickelt sich ein drittes Modell: In Solidargemeinschaften verfügen die Mitglieder selbst über die Ausgaben für ihre medizinische Versorgung.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Einer für alle, alle für einen - so könnte man das Motto von Solidargemeinschaften zusammenfassen, die sich als Alternative zur gesetzlichen und zu privaten Krankenversicherungen etablieren.

Einer für alle, alle für einen - so könnte man das Motto von Solidargemeinschaften zusammenfassen, die sich als Alternative zur gesetzlichen und zu privaten Krankenversicherungen etablieren.

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HEIDELBERG. Selbstständig, drei Kinder und plötzlich ohne Einkommen: Als Cornelia Wiethaler 2005 ein großer Auftrag wegbricht, reicht ihr Geld noch nicht einmal, um ihre Krankenversicherung zu bezahlen. "Das fand ich zunächst gar nicht so schlimm, weil ich selten krank war und meine Kinder im Fall des Falles hauptsächlich homöopathisch behandelte mit Medikamenten, die die Kasse sowieso nicht zahlte", erinnert sich die Politikwissenschaftlerin aus Heidelberg.

Eine Weile kommt sie ohne Arztkonsultationen aus, und der eine Besuch, den sie tätigt, kostet sie 119 Euro - weniger, als sie erwartet hat. Als ihr schließlich ein Bekannter erzählt, dass es neben der GKV und PKV ein drittes Modell der Absicherung im Krankheitsfall gibt, steht ihr Entschluss fest: Cornelia Wiethaler tritt in eine Solidargemeinschaft ein und hat dies bis heute nicht bereut.

Vielzahl an Solidargemeinschaften

"Eine Solidargemeinschaft ist im Prinzip nichts anderes als zuverlässig funktionierende Nachbarschaftshilfe", erklärt Reiner Neureuther-Wiethaler. Wie seine Frau ist er Vorstand der Solidago, einer 2013 gegründeten und derzeit 170 Mitglieder zählenden Solidargemeinschaft mit Hauptsitz in Heidelberg sowie 17 Ortsgruppen in Berlin, Hannover, Frankfurt am Main, Weimar, Murnau, Freiburg und München, im Hunsrück, Spessart, Odenwald sowie in der Pfalz.

Beide waren zuvor in der Artabana, einer der größten Solidargemeinschaften in Deutschland, neben der es noch Samarita und Solidarkunst sowie berufsspezifische Solidargemeinschaften wie die Spargemeinschaft und Unterstützungskasse der Polizei Münster (SpUKa), die Unterstützungskasse der Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Bielefeld und das Werk gegenseitiger Hilfe des Vereins Pfälzischer Pfarrerinnen und Pfarrer gibt.

Insgesamt, schätzt Cornelia Wiethaler, haben sich bundesweit etwa 10.000 Menschen in Solidargemeinschaften zusammengeschlossen, und täglich würden es mehr.

Ausdrückliche GKV-Abgrenzung

Solidargemeinschaften wie Solidago verstehen sich als "anderweitige Absicherung im Krankheitsfall" und grenzen sich dadurch ausdrücklich von herkömmlichen Versicherungen ab, weshalb für ihre Mitglieder, anders als bei der GKV oder PKV, auch kein Rechtsanspruch auf bestimmte, in einem Katalog definierte Leistungen besteht. In der Regel sind Solidargemeinschaften dezentral organisiert und subsidiar strukturiert.

Die lokalen Gruppen, die je einige bis einige Dutzend Mitglieder haben, entscheiden autonom darüber, wer im Krankheitsfall welche Leistungen erhält. Da sich die meisten dieser Gruppen zu überregionalen Bündnissen zusammengeschlossen haben, können sie bei finanziellen Engpässen der Kleingruppe auf Solidarfonds der größeren Gemeinschaft zurückgreifen.

Bei Solidago zahlt jedes Mitglied 15 Euro Verwaltungsgebühr pro Monat und zehn Prozent seines zu versteuernden Einkommens. "Der Mindestbeitrag beträgt 100 Euro", erklärt Reiner Neureuther-Wiethaler, "der Höchstbeitrag derzeit 500 Euro." Kinder und Familienmitglieder ohne eigenes Einkommen sind von der Beitragspflicht befreit.

60 Prozent des eingezahlten Beitrags werden einem persönlichen Gesundheitskonto zugeschrieben, je 20 Prozent dem Solidarfonds der lokalen Gruppe sowie dem Solidarfonds des überregionalen Bündnisses. Unlängst habe sich ein Mitglied ein Bein gebrochen, erzählt Cornelia Wiethaler. "Der Krankenhausaufenthalt kostete rund 5000 Euro, das haben wir von unserem lokalen Fonds bezahlt."

Bei höheren Ausgaben werde der überregionale Fonds angezapft, wie beispielsweise für die Nachsorge einer Krebspatientin. "Die Frau wollte während ihrer Kur unter anderem mit Traditioneller Chinesischer Medizin behandelt werden - und hat das auch bekommen."

Extrem aufwändige Therapien oder Operationen, die selbst den Finanzrahmen des bundesweiten Fonds sprengen würden, sind durch private Bürgschaften und Kredite bei der GLS Gemeinschaftsbank gedeckt; auch die Erhebung von Zusatzbeiträgen ist per Vereinsstatut möglich.

Aber bislang habe man weder auf Kredite noch auf Zusatzbeiträge zurückgreifen müssen, betont Reiner Neureuther-Wiethaler.

Alters- oder krankheitsbedingte Kündigungen seitens der Solidargemeinschaft sind im Übrigen ebenso ausgeschlossen wie Kündigungen aufgrund von Beitragsrückständen. Die Mitglieder selbst können mit einer Frist von drei Monaten aus der Gemeinschaft austreten.

Jeder hat ein Gesundheitskonto

"Das deutsche Gesundheitssystem", sagt Cornelia Wiethaler, "hat viele positive Seiten, aber eine entscheidende Schwachstelle ist, dass die Mitglieder in den Krankenkassen, obwohl sie die Beiträge zahlen, keine Entscheidungsrechte über deren Leistungskataloge haben."

Das ist in den Solidargemeinschaften anders. Über sein persönliches Gesundheitskonto verfügt jedes Mitglied autonom und bestimmt allein darüber, welche Leistungen daraus bezahlt werden.

Wird Hilfe aus einem Solidarfonds nötig, tritt ein Treuhänderkreis zusammen, der über die Finanzierung der vom Arzt oder Therapeuten empfohlenen Maßnahmen berät. Bei Streitfällen werden Mediatoren hinzugezogen, sollten diese scheitern, bestimmt ein Schiedsgericht. Solche Streitfälle, stellt Cornelia Wiethaler klar, habe es bei Solidago aber noch nie gegeben.

Mitglieder von Solidargemeinschaften zahlen geringere Beiträge als Kassenmitglieder und erhalten dennoch mehr Leistungen - wie ist das möglich? Eine mögliche Antwort sind die extrem niedrigen Verwaltungskosten, da die Rechtsform der Solidargemeinschaft ein eingetragener Verein ist und ihre Mitglieder ausnahmslos ehrenamtlich tätig sind.

Ob von den Solidargemeinschaften darüber hinaus überwiegend gesundheitsbewusste oder verantwortungsvolle oder kostenbewusste Menschen angelockt werden, untersucht derzeit ein Forschungsprojekt an der Medizinischen Hochschule Hannover, weitere sind geplant.

Dabei soll auch aufgezeigt werden, ob und wie sich eine Organisationsform mit aktiver Beteiligung, weitreichenden Entscheidungsrechten und Selbstverantwortung auf die Gesundheit ihrer Mitglieder auswirkt. Nicht zuletzt mit dem Ziel, eine politische und rechtliche Anerkennung des Modells zu erreichen.

Rechtliche Grauzone

Im Moment, so Cornelia Wiethaler, bewege man sich in einer rechtlichen Grauzone, innerhalb derer die Frage, ob jemand von der Krankenkasse in eine Solidargemeinschaft wechseln darf, vom Gutdünken des jeweiligen Sachbearbeiters abhänge.

"Mit dem Land Baden-Württemberg wollen wir eine Modellprojektphase von zehn Jahren erwirken, in der wir rechtlich abgesichert arbeiten und dabei die Wirkmechanismen von Solidago hinterfragen können."

Sie und ihre Vorstandskollegen sind überzeugt, dass es in Deutschland sehr viele Menschen gibt, für die das Modell der Solidargemeinschaft interessant ist und die bereit wären, sich in einer solchen Gemeinschaft zu engagieren.

"Und wo eine Nachfrage ist", sagt Cornelia Wiethaler, "sollte man auch ein Angebot schaffen."

Lesen Sie dazu auch: Solidago: "Gesundheitswesen ist zum Gesundheitsapparat geworden"

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