Täter und Opfer
Radiologen in der Nazi-Zeit
Die Deutsche Röntgengesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie haben die Geschichte der Radiologen in der Zeit des Nationalsozialismus in einer Ausstellung aufgearbeitet.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. Die Verbrechen des Nationalsozialismus erforderten auch die Mitwirkung von Medizinern. Und sie machten mit, ob bei der Zwangs-Sterilisierung mittels Röntgenstrahlen im Rahmen der Eugenik oder der Identifizierung und Ermordung tuberkulosekranker Menschen.
Daran erinnert die Ausstellung "Radiologie im Nationalsozialismus", die vor Kurzem in Düsseldorf anlässlich der 20. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) gezeigt wurde und bei weiteren Tagungen zu sehen sein wird.
Entscheidenden Anteil an der Entstehung der Ausstellung hatte Dr. Franziska Eckert, Fachärztin für Strahlentherapie an der Universitätsklinik Tübingen. Sie hatte sich zunächst privat mit dieser Zeit beschäftigt und bei der Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte erfahren, dass ihr Großvater als SS-Ausbilder an dem verbrecherischen System beteiligt war.
Das Thema ließ sie nicht mehr los. "Es hat ganz gravierende Auswirkungen auf das eigene Arztverständnis", erinnert sich Eckert. "Es geht um die Wertschätzung gegenüber den Patienten."
150 Ärzte beteiligten sich
Ob sie selbst wohl bei diesen verbrecherischen Unternehmungen mitgemacht hätte, sei aus der heutigen Sicht schwer zu sagen. "Aber die Beschäftigung damit weckt die Sensibilität dafür, den Verstand nicht auszuschalten und etwas einfach so auszuführen", sagt sie der "Ärzte Zeitung".
Damals haben viele mitgemacht, etwa die rund 150 Ärzte aus Krankenhäusern deutschlandweit, die sich an der Zwangs-Kastration von Menschen durch Röntgen oder Radiumstrahlung beteiligten.
"Die keimschädigenden Effekte von Röntgenstrahlen waren bekannt, und man hatte bereits Erfahrung mit temporärer und dauerhafter Sterilisation", so Professor Michael Baumann, Präsident der DEGRO. "Nun wurde sie von Radiologen und Strahlentherapeuten bewusst eingesetzt, um Menschen mittels Bestrahlung unfruchtbar zu machen."
Insgesamt 360.000 Menschen wurden zwangssterilisiert, davon rund zwei Prozent durch Strahlen. In der Ausstellung finden sich eindrückliche Berichte von KZ-Häftlingen, die die grauenhafte Prozedur überlebt hatten. Auch an Röntgen-Reihenuntersuchungen zum Aufspüren tuberkulosekranker Menschen wirkten Mediziner mit.
Der Radiologe Professor Hans Holfelder leitete die SS-Einheit "Röntgensturmbann SS-Hauptamt". Im Zweiten Weltkrieg war er an den Plänen beteiligt, 35.000 unheilbar an Tbc erkrankte Polen durch Gas zu ermorden. Was mit ihnen letztlich geschah, ist noch nicht abschließend untersucht.
Berufsverbot auch für Radiologen
Die Ausstellung erinnert aber auch an die Ärzte, die selbst Opfer der nationalsozialistischen Politik wurden. "Gerade das Rekonstruieren der Biografien der verfolgten Kollegen war uns sehr wichtig", erläuterte Professor Norbert Hosten, Präsident der Deutsche Röntgengesellschaft (DRG).
Mindestens 165 radiologisch tätige Mediziner waren von einem Berufsverbot betroffen. Mit der "Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz" von 1938 waren sie schlicht keine Ärzte mehr.
Sie verloren ihre Approbation und wurden aus der Fachgesellschaft ausgeschlossen. Ausstellungs-Initiatorin Eckert betont, dass dieser Schritt der Ärzteschaft eine "Selbstgleichschaltung" war und nicht Folge eines Drucks von außen.
Viele jüdische Strahlenmediziner emigrierten, andere starben in Konzentrationslagern oder brachten sich selbst um - wie der ehemalige DRG-Präsident Professor Paul Kruse, der monatelange Drangsalierungen durch nationalsozialistisch gesinnte Studierende erlebt hatte.
Der Berliner Arzt Professor Alfred Wolff-Eisner überlebte das Ghetto Theresienstadt und verarbeitete seine Erfahrungen in dem Bericht "Über Mangelerkrankungen auf Grund von Beobachtungen im Konzentrationslager Theresienstadt".
Englische Übersetzung geplant
Die wissenschaftliche Leitung der Ausstellung lag bei der Heidelberger Historikerin Dr. Gabriele Moser, die vor vier Jahren im Auftrag der DRG mit der Aufarbeitung dieses Kapitels begann. 2012 schloss sich die DEGRO, angestoßen durch die Initiative von Franziska Eckert, dem Projekt an.
Erstmals gezeigt wurden die 24 Tafeln und Medienstationen auf dem Deutschen Röntgenkongress im Mai dieses Jahres. "Die Resonanz war sehr ermutigend", berichtet Eckert.
Es gibt bereits zahlreiche Anfragen. Die Ausstellung soll etwa bei den Jahrestagungen der radiologischen Regionalgesellschaften zu sehen sein.
Die Deutsche Röntgengesellschaft plant auch eine umfangreiche Darstellung auf ihrer Internetseite. Da die Ausstellung bei ausländischen Besuchern auf großen Zuspruch stieß, wird es künftig eine englische Übersetzung geben.