Alltagsrassismus

"Terror hat mit dem Islam nichts zu tun!"

Die Anschläge in München, Ansbach und Würzburg haben Verletzte und Tote gefordert und das Leben von Muslimen in ganz Deutschland verändert. Immer wieder müssen sie sich rechtfertigen – auch im Alltag.

Von Markus Klemm Veröffentlicht:
Muslime unter Generalverdacht in unserer Gesellschaft?

Muslime unter Generalverdacht in unserer Gesellschaft?

© Daniel Coulmann / fotolia.com

HAMBURG. Eigentlich ist Daniel Abdin ein umgänglicher Mensch, freundlich, gewinnend und charmant. Als der Vorsitzende des Rats der islamischen Gemeinden in Hamburg sich aber schon wieder zu den jüngsten Anschlägen äußern soll, platzt ihm der Kragen.

Deutlich sagt Abdin:  "Ich bin es leid, mich immer rechtfertigen zu müssen, wenn irgendein Idiot auf der Welt bestialisch Menschen ermordet." Das seien Kriminelle, mehr nicht.

Natürlich seien die Taten von München, Würzburg und Ansbach eine Katastrophe. Aber dennoch, sagt Abdin in einem Tonfall, als hätte er diesen Satz schon mindestens hundert Mal von sich gegeben: "Die haben mit dem Islam nichts zu tun."

Rechtspopulisten bezweifeln das schon lange. Aber auch bei anderen wächst die Verunsicherung, zumal sowohl der Attentäter von Ansbach als auch jener von Würzburg Muslime waren – und obendrein noch Flüchtlinge. Da kann Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch so oft darauf hinweisen, dass Deutschland im Krieg gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS), keinesfalls jedoch im Kampf gegen den Islam sei.

Islam als Anlaufstelle für Terroristen?

Die Feindlichkeit gegenüber Muslimen und vor allem Asylbewerbern steigt, wie eine Studie der Universität Bielefeldt zeigt – und zwar unabhängig von den jüngsten Anschlägen, da die Daten für die Untersuchung davor erhoben wurden.

Demnach befürworteten bei einer Befragung zum Jahreswechsel inzwischen 33,5 Prozent die These, dass islamische Terroristen bei Muslimen starken Rückhalt fänden.

Dementsprechend misstrauisch nehmen viele den Einsatz der muslimischen Gemeinden in der Flüchtlingskrise wahr. So hatte die sunnitisch arabische Al-Nour Moschee in Hamburg, die der gebürtige Jordanier Abdin ebenfalls leitet, in Hochzeiten bis zu 400 von der Flucht erschöpfte Frauen, Männer und Kinder aufgenommen.

Für Birte Weiß, Vorstand im Antidiskriminierungsverband, hängt dieses Misstrauen gegen das Engagement nicht nur mit Verunsicherung zusammen. Oft seien es schlicht Ressentiments, etwa "muslimisch, männlich gleich aggressiv".

Immer öfter Rassismus im Alltag

"Der antimuslimische Rassismus im Alltag wächst", ist Weiß überzeugt. So würden etwa Schüler wiederholt aufgefordert, zum IS Stellung zu beziehen, "weil sie sich ja auskennen als Muslime".

Doch nicht nur die Bevölkerung, auch staatliche Stellen täten ihr Übriges, um den Islam zu diskreditieren, sagt Migrationsforscher Professor Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). So benehme sich der Verfassungsschutz teils wie der "Elefant im Porzellanladen", wenn er undifferenziert Gemeinden in seinen Berichten islamistischer Tendenzen beschuldige.

Dabei hätten großes Interesse daran, einer Radikalisierung in die Gewalttätigkeit entgegenzutreten. Sie seien schließlich doppelt gestraft. "Sie sind als Opfer geschädigt, weil die Attentate unterschiedslos alle treffen, und sie sind allgemein geschädigt, weil deren Zukunft durch jedes Attentat in Frage gestellt wird."

Nun hat gerade der Hamburger Verfassungsschutz ein besonderes Verhältnis zum islamistischen Terrorismus. Schließlich hatte er 2001 nicht mitbekommen, dass sich etliche der Attentäter vom 11. September in der Hansestadt auf die Anschläge in den USA vorbereitet hatten.

Verfassungsschutz: Keine wahllose Beobachtung von Moslems

Dass er nun deshalb aber wahllos alles beobachte, weist Verfassungsschutzsprecher Marco Haase weit von sich. "Der Islam als Religion interessiert uns als Verfassungsschützer nicht. Uns interessieren allein islamistische, dschihadistische Bestrebungen."

Dabei wurde man fündig. So stieg die Zahl der Salafisten in Hamburg von 2013 bis jetzt von 240 auf knapp 600. Die Zahl der Unterstützer des Dschihad erhöhte sich von 70 auf 305.

Für Abdin hat Radikalisierung viele Gründe, nur keine theologischen. "Die machen einen Crashkurs bei Pierre Vogel und Co." Abdin nennt das einen "religiösen Missbrauch" durch Leute, die "gestern" noch Kleinkriminelle gewesen seien.

 André Taubert von der Beratungsstelle "Legato - Fachstelle für religiös begründete Radikalisierungen" sieht das anders. Es gebe durchaus religiöse Gründe für eine Radikalisierung, allerdings selten. Hauptindiz sei in jedem Fall ein "sichtbarer Isolationsprozess". Mit mehr Sicherheitsbehörden könne man dem aber nicht begegnen - was auch Haase so sieht: "Je mehr Sozialarbeiter wir haben, desto weniger hat der Verfassungsschutz zu tun." (dpa)

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Kommentare
Sigrun Stoellger 16.08.201622:20 Uhr

Nichts mit dem Islam zu tun? Dann haben Kreuzzüge nichts mit dem Christentum zu tun...

Ich kann mir vorstellen, daß Herr Abdin nicht begeistert ist, wenn seine Lieblingsreligion derartig brutal auftritt, er versteht sie sicher anders. Es hilft aber nicht, das einfach nur abzuwehren mit "nichts mit dem Islam zu tun", leider finden sich genug Stellen im Koran, die zum Töten auffordern, und muslimische Imame, die genau das behaupten und Todesfatwas aussprechen, vom ISIS mal ganz abgesehen.
Besser wäre es, genau hinzusehen, um zu analysieren, was läuft da schief? Wie ändern wir das?
Wie es zum Beispiel Elham Manea
(«Der IS ist ein Teil von uns»)
oder Ahmad Mansour
("Wer von Turboradikalisierung redet, hat null Ahnung")
machen, kritisch, mutig, und ambitioniert, auch wenn es sicher nicht einfach ist, die eigene Herkunftskultur schmerzlich zu hinterfragen.

Wolfgang P. Bayerl 14.08.201610:51 Uhr

um das zu glauben,

wünscht sich der deutsche Normalbürger eine Massendemonstration der guten Muslime gegen islamistische Attentate und Morde in Europa,
eine Massendemonstration hier im westlichen Gastland wie in Köln für Erdogan
und man traut seinen Augen und Ohren kaum, nicht nur für Erdogan sondern auch FÜR die Todesstrafe,
ja richtig gelesen, nicht gegen, sondern FÜR die Todesstrafe. Man las von 30-40.000 Demonstranten in Köln.
Und Parteien und Wähler, die sich klar gegen militanten Islamismus aussprechen
und dafür politisches Handeln fordern sind sind bitte KEINE "Rechtspopulisten",
das ist schon reichlich unverschämt von den deutschen Medien.
Wenn schon dann sind die 30.-40.000 deutsche Türken in Köln, die die Todesstrafe fordern Rechtspopulisten,
die ÖFFENTLICH zu kritisieren sind.
Ich danke meinen Vorrednern.

Horst Grünwoldt 11.08.201613:47 Uhr

Religion und Terroranschläge

Wenn der Herr D. Abdin -Vorsitzender eines islamischen Rates in Hamburg- behauptet, dass die Terror-Anschläge in Europa und sonstwo nichts mit "dem Islam" zu tun hätten, dann ist das ein bloßes "Totschlag"-oder Wegwisch-Argument!
Schließlich bekennt sich die Mehrheit der neuzeitlichen Attentäter als gläubige Muslime, und damit als Anhänger "des Islam" Und sie begründen sogar ihre Untaten mit Suren oder Versen aus ihrer Heiligen Schrift -dem Koran!!
In D gibt es keinen "islamischen Rassismus", sondern ein wachsendes Unbehagen gegenüber bekennenden Muslimen, die die Koran-Auslegung, und demgemäß ihre Religions-Ausübung, nicht unserer europäischen Zivilisation anpassen wollen.
Insofern sind natürlich die Islamlehrer (Imame) und Islam-Vereins-Vorsitzenden bei uns in die Pflicht zu nehmen, Einfluß auf potentielle muslimische Terroristen im Sinne eines weiterentwickelten Euro-Islam zu nehmen.
Und das geschieht wohl am besten, durch öffentliche Bekenntnisse, wie die moderne islamische Religion in unserer freien und pluralistischen Gesellschaft praktiziert und gelebt werden soll, ohne dass es zu religiösen oder zivilisatorischen Konflikten mit der authochtonen Mehrheitsgesellschaft kommt.
Dies würde ich als die wirksamste Anti-Terror-Aktivität der mit dem Islam vertrauten Muslime unter uns betrachten. Und auch einfordern von Mitbürgern, die sich mit der -auch religiös bedingten- Mentalität der Zuwanderer bestens auskennen.
Als erste Lektion sollten die "ihre Wölfe im Schafspelz" zum Begriff des "Märtyrertums" aufklären; da könnte die Vermittlung des christlichen Martyriums hilfreich sein! Und daraus kann jeder Muslim lernen, dass beim individuellen Frei- oder Opfertod nicht über unschuldige Mitmenschen brutal und verantwortungslos mitverfügt werden kann! Und ferner noch, dass unser europäisches Alltagsleben nicht fatalistisch bestimmt ist.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

Juraj Galan 11.08.201607:57 Uhr

Artikel hierzu aus FAZ und WELT

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/hass-im-islam-terror-hat-mit-der-religion-zu-tun-14317475.html?printPagedArticle=true#void

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article157193206/Was-hat-das-alles-mit-dem-Islam-zu-tun.html

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