Fehler bei der Kinderernährung

Muttis Halbwissen

Experten eines Fachgesprächs betonen, wie sehr die Schwangerschaft und die ersten Lebensjahre die gesundheitlichen Chancen von Kindern prägen. Und sie bemängeln das Halbwissen vieler Eltern und die magere Datenlage in der Versorgungsforschung.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Igitt, schmeckt nicht: Kleinkinder übernehmen oft das Ernährungsverhalten der Eltern.

Igitt, schmeckt nicht: Kleinkinder übernehmen oft das Ernährungsverhalten der Eltern.

© olegmalyshev / fotolia.com

BERLIN. "Viele Eltern pflegen keinen bewussten Umgang mit dem täglichen Essen", sagt Dr. Burkhard Lawrenz. Erst vor wenigen Wochen sei wieder eine Mutter mit ihrem Sohn in seine Sprechstunde gekommen. Der Knirps habe laufend Kekse geknabbert.

Als ihn der Kinderarzt untersuchen wollte und ihn bat den Mund zu öffnen, sah er darin nur Kekskrümel. "In vielen Familien wird laufend gegessen. Einen Rhythmus mit regelmäßigen Mahlzeiten kennen viele gar nicht", sagt der Facharzt aus Arnsberg. Viele junge Eltern wissen, so Lawrenz, zu wenig über Ernährung. Oft interessierten sie nicht dafür, welche Nahrungsmittel gesund und welche schädlich sind. Genau das sei aber wichtig, denn die ersten Lebensjahre entscheiden über mehr als nur über "dick oder dünn".

Fachgespräch im Bundestag

Lawrenz ist auch Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (bvkj) in Westfalen-Lippe. An diesem Mittwoch sitzt er im Publikum eines Fachgesprächs im Berliner Bundestag. Der Titel: "Die ersten 1000 Tage - wie prägt die frühe Ernährung das Leben?" Gitta Connemann, CDU-Bundestagsabgeordnete, hatte dazu eingeladen und jede Menge Experten auf dem Podium versammelt. Unter ihnen ist auch Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährung vom Dr. von Haunerschen Kinderspital der Uni München.

Die ersten tausend Tage beginnen für den Mediziner mit jenen 270 im Mutterleib und umfassen jeweils weitere 365 Tage in den beiden folgenden Lebensjahren. Aktuelle Studien belegen, wie sehr die Ernährung der Schwangeren den Embryo präge.

Die Folsäure beispielsweise schütze vor Fehlbildungen, Omega 3 Fettsäuren bannen für Mutter und Nachwuchs das Risiko einer Fehlgeburt. Was die Schwangere esse, beeinflusse die späteren körperlichen Leistungen des Kindes, seine Hirnentwicklung, das Auftreten von Allergien und auch das Risiko, an einem Diabetes zu erkranken.

Damit Kinder gesund ins Leben starten können, sollten junge Frauen vor einer Schwangerschaft nicht übergewichtig sein und auch dann nicht mehr als zehn Prozent zu legen. "Ist sie adipös, hat ihr Kind ein dreifach erhöhtes Risiko, später einmal selbst zu viele Kilos auf die Waage zu bringen", sagt Koletzko.

Riskante vegane Ernährung

Über eine gesunde Ernährung gibt es zu viel Halbwissen - quer durch alle Schichten. Das ist die Erfahrung von Burkhard Lawrenz, dem Kinderarzt im Publikum. Als Klinikarzt musste er einmal einen Säugling behandeln, der sehr blass und schlapp war. "Die Symptome ähnelten denen einer Leukämie", erinnert er sich. Im Gespräch mit der Mutter stellte sich dann heraus, dass sie sich vegan ernährte und ihr Kind ausschließlich stillte.

Vegane Kost aber kann bei einem Säugling Blutarmut auslösen und im schlimmsten Fall sogar Nerven und Hirn schädigen. "Die vegane Kost ist heute im Trend und viele junge Mütter wissen nicht, dass damit auch ein Vitamin B12-Mangel einhergehen kann", sagt Lawrenz. Der Kinderarzt musste damals erstmals Aufklärungsarbeit leisten, heute kämen solche Gespräche noch häufiger vor.

An diesem Nachmittag im Reichstag will Burkhard Lawrenz auch selbst etwas loswerden. In der Fragerunde tritt er ans Mikro. Es ärgert ihn, so erzählt er, dass die Neufassung der Kinder-Richtlinie zu den Vorsorgeuntersuchungen der Unter 6-Jährigen noch nicht in Kraft getreten ist.

Diese sieht unter anderem eine umfassende Entwicklungsdiagnostik sowie eine präventive Beratung der Eltern vor. "Das brauchen die Familien und wir Ärzte brauchen die Kostenzusage der Kassen", sagt er. Lawrenz versteht zudem nicht, warum in den Kinderarztpraxen eine Menge Daten erhoben werden, diese aber nicht zur Versorgungsforschung genutzt werden. Damit trifft er den Nerv in der Runde.

Zuvor hatte bereits Dr. Klaus Abraham vom Bundesinstitut für Risikobewertung bemängelt, dass es zu wenige Daten über das Stillen gebe. Der letzte Survey zur Gesundheit von Schwangeren sei rund 20 Jahre alt. Dabei koste eine solche Studie nur 300 000 Euro. Trotz vieler Bemühungen sei dafür das Geld nicht genehmigt worden, sagt er.

Mehr Studien gefordert

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hatte ebenso ein breites Plädoyer für mehr Studien zur Kindergesundheit gehalten und auf das aktuelle BMBF-Förderkonzept "Gesund - ein Leben lang" verwiesen.

Gitta Connemann, stellvertretende Fraktionschefin der Union im Bundestag, setzt darauf, dass mit dem geplanten Bundeszentrum für Ernährung ein Ansprechpartner für die Bevölkerung aufgebaut werde. Die Möglichkeiten, die Kindergesundheit damit von Beginn zu erforschen, aber sind damit noch lange nicht ausgeschöpft.

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