Prozessstart
Depressionen durch Haarwuchsmittel?
Haarausfall, eine Glatze droht. Arzneipräparate mit Finasterid können helfen – zum Teil nicht ganz nebenwirkungsfrei. Ein Mann verklagt nun deswegen den Hersteller.
Veröffentlicht:PADERBORN. Er hat Tabletten gegen Haarausfall geschluckt – und dafür mit seiner Gesundheit bezahlt. So schildert es ein Kläger, der nach Einnahme eines Haarwuchsmedikaments mit dem Wirkstoff Finasterid nun von einem Hersteller 100.000 Euro Schmerzensgeld verlangt. Sein Prozess begann am Mittwoch vor dem Landgericht Paderborn.
In der Verhandlung gab der Mann aus Nordrhein-Westfalen an, er leide seit Jahren unter schweren Nebenwirkungen, quasi einem „Post-Finasterid-Syndrom“. Der Fall sorgt für Aufsehen, denn der Wirkstoff Finasterid gegen Haarausfall wird in Deutschland häufig verschrieben.
Der klagende Diplomkaufmann leidet nach eigenen Angaben nach vier Jahren Pillen-Einnahme unter Depressionen mit Suizidgedanken, sexuellen Einschränkungen wie Erektionsstörungen, Erschöpfung, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Der Kläger könne nur begrenzt arbeiten, berichtet Stephan Bensalah von der Roland ProzessFinanz AG, einem Prozessfinanzierer, der den „Musterfall“ unterstützt. Es gebe zudem noch weitere Geschädigte. Eine weitere „Musterklage“ laufe in Berlin, eine dritte sei für Oktober in Stuttgart geplant.
Das beklagte Unternehmen betonte, die vorgebrachten Gesundheitsbeschwerden des Klägers seien nicht vom genannten Arzneimittel verursacht. Berichtete „unerwünschte Ereignisse“ nach Einnahme würden stets erfasst, analysiert und den zuständigen Behörden gemeldet.
Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist die Wirksamkeit bei veranlagungsbedingtem Hausaufall belegt. „Das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Finasterid wurde im Rahmen der Zulassung und auch weiterhin im Rahmen der fortlaufenden Überwachung auf europäischer Ebene als positiv bewertet“, erläutert eine BfArM-Sprecherin. Aber: Auch Nebenwirkungen wie Depressionen und sexuelle Funktionsstörungen seien in Studien nachgewiesen – und diese dauerten auch nach einem Stopp der Therapie „Monate bis Jahre“ weiter an. In einzelnen Fallberichten sogar länger als zehn Jahre.
Im Sommer 2018 wurde in einem „Rote-Hand-Brief“ über Risiken informiert: Sexuelle Dysfunktionen und verminderte Libido könnten bei Anwendung finasteridhaltiger Arzneimittel (1 und 5 mg Dosierung) in den Indikationen „androgenetische Alopezie“ und „benigne „Prostatahyperplasie“auftreten, auch Depressionen mit Suizidgedanken.
Am ersten Prozesstag in Paderborn forderten die Richter das beklagte Pharmaunternehmen zunächst auf, dem Kläger ausführlich Auskunft zu geben zu Wirkungen, Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und bekanntgewordenen Verdachtsfällen, wie ein Gerichtssprecher berichtete. (dpa)