Atomtod und Waldsterben - die Angst der Deutschen
The "German Angst" wurde Anfang der 1980er Jahre zu einem internationalen Schlagwort. Angst vor dem Atomtod, vor dem Waldsterben, vor der Gentechnologie. Zum Teil war das irrational und auch gefährlich.
Deutschland, Anfang der 80er Jahre. In dieser Zeit entsteht ein international neuer Begriff. "The German Angst". So diffus sie ist, so wird sie aber auch gesellschaftlich und politisch prägend für eine Ära, in der die neue Partei der Grünen noch außerparlamentarische Opposition ist, sich aber wenige Jahre später in den Parlamenten etablieren und ab Mitte der 80er Jahre erstmals in Hessen Regierungsverantwortung übernehmen soll. Meilensteine:
- Der Nato-Doppelbeschluss mit der Konsequenz der Nachrüstung mit Pershing-Raketen auf deutschem Boden als Antwort auf die Aufstellung von SS-20-Raketen durch die Sowjets. Das rief die Friedensbewegung auf den Plan. Doch trotz der größten Demonstrationen in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte setzte Bundeskanzler Helmut Kohl die Politik seines Vorgängers Helmut Schmidt nahtlos fort.
- Die Angst vor einem Atomkrieg: Hier mischten sich auch Ärzte ein. Ein internationales Echo fand das Engagement der Internationalen Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges IPPNW, die später den Friedensnobelpreis erhielten.
- Die Angst vor der Zerstörung der Umwelt. "Waldsterben" wurde zu einer international gebräuchlichen Vokabel. Mitte der 80er Jahre war jeder zweite Baum für krank erklärt worden.
- Die Furcht vor neuen Technologien: Das betraf vor allem die Gentechnik - Deutschland wurde als biotechnischer Standort in dieser Zeit international zurückgeworfen. Der Wert der Biotechnologie gerade auch für die Medizin wurde unterschätzt: Die ersten Humaninsuline kamen auf den Markt - man begegnete ihnen mit größter Zurückhaltung. Faktor-VIII-Präparate für Hämophile wurden aus - nicht selten dubiosen - Blutspenden gewonnen; sie waren ursächlich für eine der größten Arzneimittelkatatstrophen. Erst Gentechnik machte Blutpräparate sicher.
Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung waren die eher konservativ strukturierten niedergelassenen Ärzte in Deutschland weniger furchtsam. Nach einer Infratest-Umfrage aus dem Jahr 1983 lehnten 69 Prozent der Deutschen die Nato-Nachrüstung ab, unter den Ärzten nur 47 Prozent. Die Bürger begrüßten es, wenn Ärzte - über ihre medizinische Kompetenz hinaus - Engagement zeigen. Vor allem unter den jüngeren Ärzte fand dies eine mehrheitliche Zustimmung.
Weit über die enge Berufspolitik von KVen, Kammern und Berufsverbänden fanden diese Entwicklungen Niederschlag in der Berichterstattung der "Ärzte Zeitung". Auch damit wurde ein neues Kapitel in der aktuellen Medizin-Berichterstattung geschrieben: Der Arzt als Bürger und Homo Politicus. (HL)