"1995 wird es bis zu 54.000 arbeitslose Ärzte geben"
Ärzteschwemme ante portas. Eine bedrückende Prognose liefert Dr. Frank Ulrich Montgomery beim Ärztetag 1989 in Berlin: Massenarbeitslosigkeit unter Ärzten.
Berlin, im Mai 1989. Die Stimmung in der Ärzteschaft, vor allem beim medizinischen Nachwuchs scheint auf dem Tiefpunkt angelangt zu sein. Der Arzt im Praktikum ist seit Mitte 1988 Realität.
Er entwertet die bisherige Approbation und macht den AiP - bei gleicher Qualifikation! - zum unverantwortlichen Hilfsarzt mit halbiertem Gehalt. Um den Zustrom in die Medizin zu bremsen, wird mit einer neuen Kapazitätsverordnung die Zahl der Studienplatz um 3000 auf 8000 vermindert, aber das wirkt erst langfristig.
Furcht treibt auch die ärztlichen Berufspolitiker um: Ihre Sorge ist, dass ein ärztliches Proletariat die Funktionstüchtigkeit vor allem der Ärztekammern aushöhlen könnte. Eine geschwächte Selbstverwaltung würde wachsender staatlicher Macht ausgesetzt sein.
Um die Dramatik zu verdeutlichen, greift der damalige stellvertretende Vorsitzende des Marburger Bundes, der heutige Bundesärztekammer-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery zum Instrument der Prognose:
In den 18 Jahren vor 1989 hat sich die Zahl der berufstätigen Ärzte in der Bundesrepublik auf 177.000 fast verdoppelt.
Zwischen 1975 und 1988 ist die Arbeitslosenquote bezogen auf alle berufstätigen Ärzte von 0,4 auf 4,6 ›Prozent gestiegen. Bezieht man die Quote nur auf angestellte und beamtete Ärzte, so erreicht sie 1988 schon 7,7 Prozent.
Die Arbeitslosenquote wird in den 1990er Jahren exponentiell steigen: Denn nur 19.300 Ärzte sind über 60 Jahre alt und stehen kurz vor der Rente; zusammen mit neu entstehenden Stellen vor allem im Krankenhaus werden werden bis 1995 insgesamt 46.300 Arbeitsplätze frei.
Gleichzeitig strömen aber 72.000 Berufsanfänger auf den ärztlichen Arbeitsmarkt; hinzu kommen 13.000 Ärzte, die im Ausland studiert haben, sowie zwischen 7000 und 15.000 schon arbeitslose Ärzte.
Die Bilanz, so Montgomery: zwischen 41.000 und 54.000 arbeitslose Ärzte wird es Mitte der 90er Jahre geben. "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Medizinstudent von heute 1995 einen Arbeitsplatz findet, liegt bei 50 Prozent."
Die vom Ärztetag diskutierten Auswege aus der Misere muten zumindest teilweise kurios an: 12.000 wenig qualifizierte Pharmareferenten könnten durch Ärzte ersetzt werden.
Durch Umwandlung von Überstunden könnten 19.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Kliniken geschaffen werden. Die Vermittlung ins Ausland könnte forciert werden. Schließlich könnten sich junge Ärzte zu Medizinjournalisten qualifizieren.
Und die reale Entwicklung? Sie verläuft bei weitem nicht so katastrophal, wie Montgomery prognostiziert. Möglicherweise liegt der damalige Berliner Kammerpräsident Dr. Ellis Huber mit seiner Einschätzung nicht ganz falsch: "Der neue Arzt ist bescheidener, aber er ist auch glücklicher." (HL)