Schwarz-Gelb führt die Hausärzte zurück ins 20. Jahrhundert

Ein Honorardeckel für Hausarzt-Verträge nach Maßgabe von Verträgen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen? Solche Pläne führen in die Welt von gestern.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet und Wolfgang van den BerghWolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Das baden-württembergische Pauschalen-Modell - eine Alternative zur Budget-Philosophie des Kollektivvertrags.

Das baden-württembergische Pauschalen-Modell - eine Alternative zur Budget-Philosophie des Kollektivvertrags.

© sth

So hat man sich liberale Gesundheitspolitik nicht vorgestellt. Freiheit in der Gesundheitsversorgung: Das sollte eigentliche Wahlmöglichkeiten für Ärzte und ihre Patienten bedeuten - in alternativen Versorgungssystemen, aber auch mit neuartigen Vergütungsstrukturen. Vorgänger-Regierungen hatten dazu gesetzliche Grundlagen als Alternative zum konventionellen KV-Kollektivvertrag geschaffen: die Integrierte Versorgung, die hausarztzentrierte Versorgung und die besondere ambulante Versorgung (Paragraf 73b und c).

Ein Schritt nach vorne und zwei Schritte zurück

Der hoffnungsvolle Start dieser Verträge vor allem in Baden-Württemberg hat eines bewirkt: das KV-Monopol wurde geknackt. Ein Folgeproblem ist die Vergütungsbereinigung, deren technische Schwierigkeiten freilich nicht in der - relativ einfachen - Vergütungsstruktur der Hausarzt-Verträge, sondern vielmehr in der Komplexität der KBV/KV-Honorarsystematik liegen.

Auf was sich die schwarz-gelbe Koalition in ihren Eckpunkten verständigt hat, bedeutet Stillstand, wahrscheinlich Rückschritt, aber auch die Quadratur des Kreises.

Zunächst genießen die bestehenden Hausarztverträge Bestandsschutz. Für Hausärzte und deren Patienten, die einem Paragraf 73b-Vertrag beispielsweise in Bayern und Baden-Württemberg beigetreten sind, ändert sich - vorerst - nichts.

Unsicher ist, wie das Schicksal derjenigen Verträge aussieht, die derzeit im Schiedsverfahren sind. Das Gesundheitsministerium versichert, dass alle Schiedsprüche, die bis zum Kabinettsbeschluss zur Gesundheitsreform getroffen werden, unter den Vertrauensschutz fallen. Auf Nachfrage gibt das Ministerium für die Entscheidung die letzte September-Woche an. Ausschließen will das BMG allerdings nicht, dass einzelne Kassen in den Monaten bis zum Inkrafttreten des Gesetzes auf Zeit spielen werden. Hier vertraue man auf das Management der Schiedsamts-Vorsitzenden, heißt es.

Völlig im Nebel liegen dagegen die Vorgaben für Hausarztverträge der Zukunft. Bekannt ist, dass die Koalition eine Begrenzung des Vergütungsniveaus plant. Damit steht nur eines fest: Das Kollektivvertragssystem wird zum Maßstab aller Dinge. Die Vertragsfreiheiten, die die Vorgängerregierungen für Ärzte und Krankenkassen geschaffen haben, mögen zwar formal erhalten bleiben, werden aber ihrer Substanz beraubt.

Darüber hinaus gibt gravierende technische Probleme. Hier hilft es nicht, wenn BMG-Abteilungsleiter Ulrich Orlowski versucht, den Zusammenhang zwischen Kollektiv- und Selektivverträgen zu zerstreuen. Es sei nie die Rede davon gewesen, die Honorare in Hausarztverträgen an das durchschnittliche RLV-Niveau in Kollektivverträgen auszurichten. Zentraler Punkt sei die Zuwachsbegrenzung: Diese müsse sowohl für Kollektiv- als auch für Hausarztverträge gelten. Hier rudert das Ministerium offenbar zurück. Denn: Die RLV sind nur einer von mehreren Bestandteilen des KV-Honorars. Diese Komponenten sind: freie, unbegrenzt vergütete Leistungen und morbiditätsbedingte Gesamtvergütung, aus den Kosten (durch Vorwegabzüge) sowie RLV und QZV.

Eine prospektiv vereinbarte morbiditätsbedingte Gesamtvergütung, innerhalb derer Mengenbegrenzungen und Abstaffelungsregeln gelten, kennt aber die HzV-Honorarsystematik nicht. Hier gibt es drei Pauschalentypen - kontaktunabhängig, kontaktabhängig, Zusatzpauschalen für chronisch Kranke - sowie Zuschläge, einen begrenzten Katalog von Einzelleistungen und eine erfolgsabhängige Komponente. Das ist die sogenannte Bierdeckel-Philosophie.

Historische Machtverhältnisse werden zementiert

Auf der Hand liegt: KV-Honorar und HzV-Honorar sind nicht vergleichbar. Bei Neueinschreibungen und aufgrund der kontraktunabhängigen Pauschale einmal im Jahr fallen beim HzV-Honorar relativ hohe Anfangszahlungen an. Das heißt: Solange neue Versicherte sich einschreiben, schiebt die Kasse eine Bugwelle an Honorar vor sich her, die aber in der Konsolidierungsphase abebbt. Überhaupt keine Beachtung finden in Röslers Plänen intersektorale Effekte - etwa auf die Ausgaben für Arzneimittel und Krankenhäuser.

Ein weiteres Problem: Die KV-Vergütungsniveaus für Hausärzte sind das Ergebnis nicht zuletzt historischer Machtverhältnisse im innerärztlichen Verteilungskampf. Dies nun zum gesetzlichen Maßstab für eine Vertragsinnovation zu machen, ist - gelinde gesagt - verwegen.

Lesen Sie dazu auch: HzV in Gefahr? Ministerium sucht zu beschwichtigen Solidarausgleich für Zusatzprämien: "himmelschreiender Blödsinn"

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 26.07.201020:07 Uhr

Die Hausärzte werden zurück in 20. Jahrhundert "gebeamt" !!!

Zunächst einmal herzlichen Dank an Helmut Laschet und Wolfgang van den Berg von der ÄZ für ihre brillante und treffende Analyse!
Aber von Herrn Kollegen Karsch kommt nichts Inhaltliches, es geht bei ihm um rein pekuniäre Interessen. Und Herr Thamer reflektiert in gewohnter Weise eine Neue Verelendungstheorie für die KVWL, die ironischerweise ausgerechnet durch den Hausärzteverband verursacht sein soll. Der KVWL schwimmen die Felle davon, weil sie eine gigantische Vermehrung von Fällen (Labor, Radiologie, Orthopädie, ambulante technik- und operativ betonte Leistungen) zugelassen und für die Hausärzte nur Brosamen im Budget übrig gelassen haben. So nach dem Motto: "Haltet den Dieb!" schrie der Dieb ganz laut in die Menge, um von seinen eigenen Missetaten abzulenken.

Kolleginnen und Kollegen, bei der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV), wie auch bei der Integrierten Versorgung (IV) geht es um I n h a l t e und nicht um den schnöden Mammon. Wir Hausärzte liefern Versorgungsqualität: Mit Hausbesuchen, mit "sprechender Medizin", mit Präsenz in der Praxis von morgens bis abends, mit Telefon- und Sondersprechstunden, Teamdiskussionen, Wund-, Reanimations- und Notfallversorgung, mit anerkannter Qualitätssicherung nach TÜV, KPQ und QM, mit psychosomatischer Grundversorgung. Mit zertifizierter und evaluierter Fortbildungspflicht von 250 Punkten in 2 Jahren (4 Punkte für 2,5 Stunden interaktives Lernen!), mit Arztbriefen, Arztberichten, Telefonaten mit Kliniken und Fachärzten, mit stufendiagnostisch gezielten Überweisungsaufträgen an Labormedizin und Radiologie. Mit Krankenaktenführung, EDV-Dokumentation, ICD-10-Verschlüsselungen, Gutachten, Kurplänen, Versorgungsamtsberichten, KV-Schriftverkehr und Krankenkassenanfragen (die selten qualitätsgesichert sind!). Mit kostengünstigen Verordnungen von gesetzlich zugelassenen, indizierten Medikamenten, die zumeist in prospektiven Studien doppelblind geprüft und evaluiert wurden. Mit qualifizierter, evidenzbasierter Anamnese, Untersuchung, Diagnostik und Therapie im präventiven, kurativen und palliativen Bereich. Außerdem noch mit Alltagskompetenz, gesundem Menschenverstand und dem Vielen abhanden gekommenen Blick für das Mach- und Vertretbare. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch schon heftig gegen die BARMER/GEK gewehrt, uns niedergelassenen Hausärzten "ausgeblendete Versorgungsqualität" vorzuwerfen (vgl. Ärzte Zeitung vom 22.7.2010).

Der Hausärzteverband hat von über 50% der Hausärzte ein Verhandlungsmandat nach § 73b SGB erhalten und ist damit gesetzlich legitimiert! Dabei von "Monopol" oder von finanziellen Eigeninteressen zu sprechen, fällt doch nur auf die Kritiker (s. o.) zurück. Seit Einführung des §73b als verpflichtende Vorgabe des Bundesgesetzgebers zur Einführung von "Hausarztzentrierten Verträgen" ist bei uns in Westfalen-Lippe nur noch "Hausarztbashing", Hinhalte- und Verzögerungs-taktik und Desinformation seitens der KV und der "vertragslosen" GKVen.
An das derzeitige Regelleistungsvolumen (RLV) für die Hausärztliche Versorgung in einem Quartal brauche ich gar nicht zu erinnern. Der Bescheid liegt bei jede(r)m von uns am Rand der "großen Ablage". Jedes Billig-Fitnessstudio verlangt mehr als das Dreifache!

Mit kollegielen Grüßen Dr. med. Th. G. Schätzler, Allgemeinmedizin DO

Helmut Karsch 26.07.201011:27 Uhr

Cui bono?

Wenn man den Aufschrei hört, der auf der Verbandsebene entsteht, dann gilt dieser Aufschrei nicht den Patienten, sonder dem eigenen Geschäftsmodell dessen Intransparenz hinsichtlich der Nutzenstiftung der Öffentlichkeit nachhaltig vorenthalten wird. Was hat die ARZ GmbH mit hausärztlichen Leistungen zu tun? Nichts, außer dem Umstand, dass man für ein ansteigendes Mengengerüst bei der Abrechnung von Hausarztleistungen über Selektivverträge eine adäquate Infrastruktur braucht und somit die Tochtergesellschaft des Apothekenrechenzentrum Haan direkt an den Umsätzen der Hausärzte partizipieren. Das die Management AG ein Profitunternehmen ist und die Hauptaktionäre lieber im Dunkeln bleiben versteht sich wohl von selbst.Interessant ist nur das Herr Weigeldt höchst persönlich Aufsichtsratsvorsitzender ist. Ob und in welchem Umfang Verbandsfordere persönlich an den Umsätzen der Hausärzte teilhaben, mögen andere beurteilen. Das Geschäftsmodell Hausarztverträge kennt allerdings zunächst nur einen Profiteur. Die Managementgesellschaft. Ob der Patient als Kreditgeber am Ende im Sinne des ROI (Return of Investment)auch einen Nutzen hat darf doch nachhaltig bezweifelt werden.

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