Ein Thema - Drei Meinungen
Industrie mischt bei IV-Verträgen mit
Das AMNOG ermöglicht Pharmaherstellern seit Anfang 2011, sich an Verträgen zur Integrierten Versorgung zu beteiligen. Eine umstrittene Regelung - vor allem Ärzte befürchten Einfluss auf ihre Therapieentscheidungen.
Veröffentlicht:Im Oktober 2010 startete mit dem Projekt "Integrierte Versorgung Schizophrenie" in Niedersachsen erstmalig ein IV-Projekt mit Pharma-Beteiligung. Das Versorgungskonzept sieht sektorenübergreifende Angebote für Schizophrenie-Patienten vor, bei denen sich die Leistungserbringer untereinander abstimmen.
Partner dieser Versorgungsinitiative sind neben der AOK Niedersachsen die Management-Gesellschaft I3G GmbH, eine hundertprozentige Tochter von Janssen-Cilag. Für den Aufbau der Versorgungsnetzwerke ist die Care4S verantwortlich. "Der Arzt behält seine Therapiefreiheit", betont care4S-Geschäftsführer und Psychiater Dr. Matthias Walle.
Doch tut er das wirklich? In seltener Einigkeit hegen Apotheker und Ärzte Zweifel an der Unabhängigkeit der Therapie. In ihrer Stellungnahme zum AMNOG-Entwurf im vergangenen Jahr äußerte sich die ABDA entsprechend skeptisch:
"Die Arzneimittelversorgung wird durch öffentliche Apotheken durchgeführt", betont der Verband. Daher sei eine unmittelbare Beteiligung der pharmazeutischen Unternehmen nicht erforderlich.
Überwiegend Ablehnung kommt auch von ärztlicher Seite. In Bezug auf das niedersächsische Projekt spricht etwa die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) von einem "Paradigmenwechsel".
Die Einbindung kommerziell arbeitender Firmen in solche IV-Konstellationen lasse "eine Vielzahl von nicht hinnehmbaren Interessenkonflikten in der Versorgung psychisch Kranker entstehen".
Es gibt aber auch positive Stimmen, zum Beispiel aus der Wissenschaft. Es bleibe den Vertragspartnern grundsätzlich freigestellt, wen sie mit ins Boot holen, sagt Professor Volker Amelung von der Medizinischen Hochschule Hannover.
"Aus meiner Sicht wäre es notwendig, dass es eine gesetzliche Vorgabe für eine standardisierte und transparente Evaluation gibt. Wenn ein Vertrag gute Ergebnisse bringt, ist es gleichgültig, wer der Vertragspartner ist."
Im aktuellen Fokus äußern sich ein Arzt und zwei Apotheker zum Thema Pharmaindustrie und IV.
Der Apotheker
"Für die Arzneiversorgung sind die öffentlichen Apotheken zuständig."
Stefan Fink, Classic Apotheke Weimar
Die Integrierte Versorgung zielt darauf ab, die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern und die Gesundheitskosten zu senken. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) sieht nun seit diesem Jahr vor, auch pharmazeutische Unternehmer als Vertragspartner einzubeziehen.
Die ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat in ihrer Stellungnahme gegen- über dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen, auf diese unmittelbare Einbeziehung der Pharmaindustrie zu verzichten.
Die Begründung liegt auf der Hand: Für die Arzneimittelversorgung sind die öffentlichen Apotheken zuständig. Die unmittelbare Einbindung der Pharmahersteller ist daher gar nicht erforderlich. Ergänzende Vereinbarungen zur Integrierten Versorgung können zum Beispiel auch durch Rabattverträge getroffen werden.
Dass der Gesetzgeber die Pharmaunternehmen dennoch in das AMNOG eingefügt hat, ist kein Geheimnis.
Aus meiner Sicht als Apotheker müssen die "Neue Versorgungsformen" vor allem den Patienten nutzen. Dazu hat auch der Deutsche Apothekerverband in der Vergangenheit schon mehrere Verträge auf der Grundlage des Hausapothekenkonzepts unterzeichnet - und strebt weitere innovative Kooperationen an.
So wurde beispielsweise mit der Barmer GEK die erste deutschlandweite Dienstleistung "Qualitätscheck der Blutzuckerselbstmessung von Versicherten" zur besseren Betreuung von Typ-2-Diabetikern vereinbart. Etwa 3.000 Apotheken sind inzwischen beigetreten.
Ebenso haben sich die Homöopathie-Integrationsverträge gut entwickelt. Etwa 100 Krankenkassen beteiligen sich inzwischen am gemeinsamen Angebot des Deutschen Zentralvereins homöopathisch tätiger Ärzte (DZVhÄ) und der rund 2800 Apotheken im gesamten Bundesgebiet.
Der Arzt
"Ein bewährtes System scheint ausgedient zu haben."
Prof. Dr. med. Peter Falkai, Präsident der DGPPN
Wir brauchen keine privatwirtschaftlich gesteuerte Neuorganisation der ambulanten Versorgung psychisch kranker Menschen. Die freie Therapeutenwahl bleibt sonst auf der Strecke.
Wenn die flächendeckende Versorgung von 13.000 Schizophrenie-Patienten in Niedersachsen privatwirtschaftlich neu organisiert werden muss, dann akzeptiert man, dass die gestufte Versorgung von psychisch kranken Menschen vom Hausarzt über den Facharzt zur Tagesklinik und stationären Behandlung als bewährtes System ausgedient hat.
Ich frage mich, warum das so sein soll. Offenbar, weil die Kosten im Gesundheitssystem Deutschlands steigen und die psychischen Erkrankungen ein wesentlicher Kostenfaktor sind. Ein wesentlicher Aspekt dieser Kosten wird durch die stationäre Behandlung verursacht.
Dementsprechend wird "inhaltlich begründet" ein ambulantes Versorgungsnetz mit der Einbindung von Unternehmen geschaffen, sodass eine stationäre Behandlung unterbleibt. In dieser Diskussion um höhere Gesundheitskosten vergisst man allerdings, dass in den letzten drei Jahrzehnten bereits rund 50 Prozent aller stationären Betten in psychiatrischen Kliniken abgebaut wurden und die Liegezeit sich von durchschnittlich 50 auf 25 Tage reduziert hat.
Trotzdem sind die Kliniken weiterhin gut nachgesucht und in der Regel überbelegt. Die Versorgung in diesen Kliniken wird also offenkundig benötigt. Darüber hinaus fragt man sich, ob bei den neuen IV-Verträgen ein AOK-versicherter Patient in Niedersachsen wirklich noch die freie Wahl hat oder Teil dieses Netzwerkes werden muss.
Und warum muss der privatwirtschaftliche Betreiber von der pharmazeutischen Industrie unterstützt werden? Ein wenig erinnert mich dieses Vorgehen an die wohlweislich überholte Tradition, dass Ärzte eine eigene Apotheke betreiben durften.
"Die Industrie erhält eine Steuerungsmacht ohne Kontrollmechanismen."
Thomas Preis,Vorsitzender Apothekerverband Nordrhein e.V.
Die Ausweitung der Vertragspartner bei Verträgen der Integrierten Versorgung auf Arzneimittelhersteller sehe ich sehr kritisch. Der Industrie wird damit eine Steuerungsmacht zuerkannt, die sie - ohne entsprechende Kontrollmechanismen - in die Lage versetzt, unter anderem auf Verordnungs- und Therapieentscheidungen unmittelbar Einfluss zu nehmen.
Die Pharmaindustrie erlangt somit quasi einen offiziell legitimierten Versorgungsauftrag, der die Gefahr von unkalkulierbaren Risiken und Fehlanreizen in der Patientenversorgung in sich birgt.
Abgesehen davon wird die Position der für die Gesundheitsversorgung der Menschen maßgeblich verantwortlichen Leistungserbringer im Gesundheitswesen - nämlich Arzt und Apotheker -geschwächt. Bereits die Rabattverträge sind ein Versuch, versorgungspolitische Maßnahmen rein ökonomischen Zielen unterzuordnen, ohne dabei die Interessen einer patientengerechten Versorgung ausreichend zu berücksichtigen.
Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Arzneimittelhersteller als Partner von integrierten Versorgungsverträgen zuzulassen, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Damit wird der fortschreitenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens zum Nachteil der Patienten weiter Vorschub geleistet.
Es daher zu fordern: Die Gesundheitsversorgung der Menschen gehört in die Hände der unabhängigen freien Heilberufler Arzt und Apotheker. Dadurch ist gewährleistet, dass die medizinisch und pharmazeutisch beste patientenindividuelle Versorgung sichergestellt wird - unabhängig von rendite- und konzerngeleiteten Interessen.
Es wird Zeit, dass im Gesundheitswesen endlich wieder der Mensch in den Mittelpunkt rückt und Heilberufe, die dem Wohl des Menschen verpflichtet sind, gestärkt werden!