Richter stärken Missbrauchsopfer
Kann der Anspruch auf staatliche Hilfen für Missbrauchsopfer verjähren? Nein, sagen Sozialrichter. Auch wenn sich Opfer erst während der Therapie erinnern, haben sie noch immer Anspruch auf die Hilfen.
Veröffentlicht:STUTTGART (mwo). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat den Anspruch der Opfer von sexuellem Missbrauch auf staatliche Hilfen gestärkt.
Nach einem in der vergangenen Woche bekannt gegebenen Urteil kann ihnen Opferentschädigung auch dann zustehen, wenn sie diese erst Jahre später beantragen, weil sie sich erst im Zuge ihrer Therapie genau genug erinnern konnten.
Die Klägerin musste als Kind regelmäßig zu ihrem Vater "zum Mittagsschlaf" ins Bett kommen und dort sexuelle Handlungen an ihm vornehmen.
Beim Baden seifte der Vater seiner Tochter noch im Alter von 14 Jahren die Brüste ein. Die schwer traumatisierte Klägerin ist seit ihrer Volljährigkeit in ständiger psychiatrischer Behandlung.
Erst im Rahmen der Therapie konnte sie sich genauer an die Vorfälle erinnern. Die Schwester und die Mutter des Opfers bestätigten dies.
Späte Erinnerung darf kein Nachteil sein
Sie gaben an, aus Scham über "die Verhältnisse in der Familie" und über ihr eigenes Versagen gegenüber dem Opfer bislang geschwiegen zu haben.
Erst 2006, 34 Jahre nach dem Tod des Vaters und damit auch dem Ende des Missbrauchs, beantragte die Frau eine Opferentschädigung. Die Behörden lehnten dies unter Hinweis auf den langen Zeitablauf ab. Zudem gebe es keine Zeugen.
Nach dem Stuttgarter Urteil vom 15. Dezember 2011 darf es dem Opfer aber nicht zum Nachteil gereichen, dass sie sich erst im Zuge ihrer Therapie näher an die früheren Vorfälle erinnern konnte.
An der Glaubwürdigkeit des Opfers sowie ihrer Schwester und ihrer Mutter bestünden dennoch keinerlei Zweifel. Daher stehe der Frau eine Opferentschädigungsrente zu.
Die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel ließ das LSG nicht zu, hiergegen haben die Versorgungsbehörden aber Beschwerde beim BSG eingelegt.
Az.: L 6 VG 584/11