Unfall im Heim

Richterin will omnipräsente Pflegefachkräfte

Das Görlitzer Landgericht verurteilt ein Pflegeheim zu einer Geldstrafe, weil sie eine Bewohnerin der Obhut einer ungelernten Kraft überließen. Das Urteil sorgt für Entsetzen.

Von Thomas Trappe Veröffentlicht:
Immer von einer Fachkraft betreut - so will es einer Richterin für Heimbewohner.

Immer von einer Fachkraft betreut - so will es einer Richterin für Heimbewohner.

© deanm1974 / fotolia.com

GÖRLITZ. Dr. Georg Hanzl findet das Urteil "richtungsweisend", das sein Kreisverband des DRK Zittau und er als Vorstandsvorsitzender gerade vom Görlitzer Landgericht verkündet bekommen haben. Richtungsweisend in eine falsche Richtung, sagt Hanzl.

Tatsächlich muss das Urteil Betreiber von Pflegeeinrichtungen aufhorchen lassen. Denn der Beschluss der sächsischen Richterin legt nahe, ungelernte Kräfte vom direkten Kontakt mit Heimbewohnern auszuschließen.

"Das ist ein fatales Zeichen", sagt Hanzl, der auch stellvertretender Vorsitzender des sächsischen Hausärzteverbandes ist. Und jetzt gegen besagtes Urteil in Berufung geht.

Das DRK betreibt in Zittau ein Altenpflegeheim, darin auch einen "Wohnpflegehaushalt für Demenzkranke". Neben den Pflegefachkräften sind hier auch ungelernte Kräfte beschäftigt, zum Beispiel eine Jugendliche, die in dem Haus ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvierte.

Jene FSJlerin war an dem Unfall beteiligt, der dem Urteil vorausging. Wie schon viele Tage zuvor hatte die Helferin im Oktober 2010 eine damals 84 Jahre alte Bewohnerin zum Mittagstisch geführt. Dort sollte sich die Frau kurz eigenhändig abstützen, während die FSJlerin einen Stuhl heranzog.

Die Bewohnerin stürzte und zog sich eine Femurfraktur zu. Es war ein logomotorischer Sturz, also einer, der seine Ursache hat in der verminderten Kraft der Bewohnerin hat, ihrem schwankenden Gangbild und intermittierendem Schwindel.

Die Kasse der Bewohnerin, die AOK Plus, sah die Schuld für den Sturz beim Pflegeheim, das seiner Betreuungspflicht nicht nachgekommen sei. Und verklagte das Pflegeheim auf Erstattung der Op- und Behandlungskosten in Höhe von knapp 7000 Euro. Das Heim hätte eine Pflichtverletzung begangen, "da die Versicherte nicht hätte allein am Tisch stehen gelassen werden dürfen", wird im Urteil zitiert.

Das DRK erwiderte, dass der Unfall nicht erwartbar gewesen sei und dass sich die Bewohnerin "völlig plötzlich und unvermutet, bevor der Stuhl herangezogen wurde, fallen lassen" habe.

DRK-Vorstand: "Lebensfremde Utopie"

Das Gericht folgte der Argumentation des Klägers. Es läge ein "schuldhafter Pflegefehler" vor, "im Bereich des vollbeherrschbaren Risikos". Das Heim müsse zahlen.

"Vollbeherschbar" - schon diese Einschätzung spricht für Georg Hanzl dem Pflegealltag Hohn, doch entsetzt ist er wegen eines anderen Satzes der Urteilsbegründung. Es sei ein "Organisations- und Überwachungsfehler" zu konstatieren, da die "ungelernte Hilfskraft" nicht die "zur Sturzvermeidung objektiv gebotenen Maßnahmen anwenden konnte".

Es handle sich um "einen Standardvorgang, der für eine Pflegekraft mit entsprechender Ausbildung überblickbar und mit der entsprechenden fachlichen Kompetenz auch vermeidbar gewesen wäre", heißt es im Urteil.

Wenn er das Urteil kommentieren muss, flüchtet sich Hanzl, der einem von Fachkräftemangel gebeutelten DRK-Kreisverband vorsteht, zunächst in Sarkasmus. "Die Richterin hat eine Theorie entwickelt, wie viele qualifizierte Mitarbeiter in Zukunft für die Betreuung alter Menschen benötigt werden".

Dass es kaum noch Tätigkeiten am Patienten gebe, die auch FSJler, Hilfskräfte oder ähnliche Kräfte ausüben könnten, geht für ihn aus dem Urteil deutlich hervor; aber selbst Fachkräfte könnten nach seiner Interpretation nur schwer die juristischen Anforderungen erfüllen.

Pfleger, die dermaßen geschult sind, dass sie mit Sicherheit Stürze oder ähnliche Unfälle vermeiden könnten, entsprängen einer "lebensfremden Utopie", so Hanzl. Jeder ältere Patient müsste dann fast ständig von mehreren Fachkräften regelrecht umklammert werden, um Klagen der Kassen vorzubeugen. Oder, so Hanzl, man "müsste die betreffenden Heimbewohner den ganzen Tag im Bett liegen lassen".

Das DRK Zittau hat deswegen gegen das Urteil Berufung eingelegt. Eine Entscheidung dazu steht noch aus.

Landgericht Görlitz, Az.: 1 O 453/13

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ratlos nach Richterspruch

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Kommentare
Prof. Dr. Ingo Heberlein 05.08.201410:16 Uhr

wenig überraschend!

Wer eine Bewohnerin mitdiesen Behinderungen betreut, muss besondere Vorkehrungen treffen. Das Urteil ist wenig überraschend. Es bewegt sich im breiten Strom der Entscheidungen zur Obhutspflicht, die auch eine Pflicht zur Vermeidung von Stürzen sein kann.
Prof. Dr. Ingo Heberlein

Dr. Wolfgang P. Bayerl 03.08.201420:02 Uhr

Dr. Berthold Neu die "Alternative" ist...

selber pflegen, nicht ab ins Altersheim

Dr. Florian Baier 03.08.201414:56 Uhr

besser im Rollstuhl ?

solche völlig an der Realität im Pflegeheim vorbeigehenden Urteile werden vor Allem eine Folge haben: schlecht Gehfähige bleiben den ganzen Tag im Rollstuhl anstatt zu den Mahlzeiten den mühsamen Transfer mit Hilfsperson zu auszuführen.
Warum soll ich den Patienten mobilisieren, wenn ich anschließend dafür bestraft werde ?
Aktivierende Pflege auf Wiedersehen. Hauptsache die Patienten sind satt und sauber, natürlich alles doppelt und dreifach für die Heimaufsicht im bücherdicken Pflegekadex dokumentiert!

Rudolf Hege 02.08.201410:38 Uhr

Und die Alternative?

Naive Geister werden jetzt jubeln und denken, nun wird die Politik endlich handeln und - logisch - mehr Geld ins System pumpen. Nur, woher soll dieses Geld kommen? Die Beitragszahler wollen nicht mehr zahlen. Steuern erhöhen ist unpopulär (und damit politisch kaum durchsetzbar).

In der Realität wird es darauf rauslaufen, dass man "Laienhelfer" nicht mehr einsetzt - und die wenigen Fachkräfte noch weniger Zeit für den Einzelnen haben werden. Das verhütet dann entsprechende Klagen - und der Dumme ist der Patient, der noch weniger menschliche Zuwendung bekommt, was in der Folge zu eine Zunahme von Krankheiten führen wird.

Ein weitere Beispiel, wie unsere Gesellschaft "Zwischenmenschliches" durch "Expertenbehandlung" ersetzt.

Thorsten Siefarth 02.08.201407:13 Uhr

Kein Straf-, sondern Zivilverfahren

Ich bin ein bisschen im Unklaren darüber, was ich von der Berichterstattung halten soll. Wenn sich nämlich schon zu Beginn des Artikels - nennen wir es einmal - "Ungenauigkeiten" finden. Dort heißt es: "Das Görlitzer Landgericht verurteilt ein Pflegeheim zu einer Geldstrafe, weil ..." Ganz offensichtlich geht es hier aber nicht um ein Strafverfahren, sondern um eine zivilrechtliche Klage auf Schadensersatz. Ein nicht gerade kleiner Unterschied ...

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