Kampagne gegen Syphilis, HIV & Co.

Auch Gröhe greift zum Gummi

Aufklärung statt Ausgrenzung: Das ist das Motto hinter "Liebesleben", der neuen BZgA- Kampagne zur Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten. Damit hat "Gib Aids keine Chance" ausgedient. Was bleibt, ist das zeitlose Präventionsutensil: das Kondom.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Kampagne Liebesleben“macht auf alle sexuell übertragbaren Krankheiten aufmerksam, nicht nur auf Aids.

Kampagne Liebesleben“macht auf alle sexuell übertragbaren Krankheiten aufmerksam, nicht nur auf Aids.

© [M] Plakat: BZgA / haltestelle: Illian

Neu-Isenburg. Tina, wat kosten die Kondome?" brüllt eine wasserstoffblonde Kassiererin durch einen Supermarkt. Unvergessen ist der Werbespot, in dem der Schauspieler und Autor Ingolf Lück - Nerd-Brille, Stirnband, Popperfrisur, Lauchstange und Baguette - im Supermarkt beim Einkauf von Kondomen "erwischt" wird - und keinen juckt's.

Im Gegenteil: Das Präventionsutensil wird aus der Schmuddelecke geholt und auf die Ebene einer Stange Lauch gestellt, deren Preis die Verkäuferin gerade nicht im Kopf hat.

Es war, als ob ein Fenster geöffnet wurde und frische Luft in einen Raum voller abgestandenem Mief strömte. Der Raum war das sich gerade vereinigende Deutschland. Es war 1989. Im Radio lief "Don't worry, be happy" von Bobby McFerrin, aber die Zeiten waren finster.

Seit knapp einem Jahrzehnt war die Krankheit Aids bekannt. Irrationale Ängste blühten. Die als "Lustseuche" schwuler Männer verschrieene Virusinfektion hatte rückwärts gewandte Kräfte auf den Plan gerufen. Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., sprach von Aids als der Gegenwehr der Natur.

Aus Bayern kamen Vorschläge, HIV-positive Menschen zu internieren, möglichst auf einer Insel. Einträge in deren Personalausweise, ja sogar Tätowierungen waren im Gespräch.

Rita Süssmuth, Glücksfall für die Prävention

Die Fachleute behielten kühlen Kopf. 1985 ließ die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine kleine Broschüre mit dem Titel "Was Sie über Aids wissen sollten?" an alle rund 27 Millionen Haushalte der alten Bundesrepublik verteilen.

 Im gleichen Jahr wurde Rita Süssmuth (CDU) Gesundheitsministerin. Ein Glücksfall! Süssmuth setzte auf Politik ohne Zwangsmaßnahmen und trat 1987 eine nationale Kampagne zur Aids-Prävention los, in deren Mittelpunkt ein simpler Gebrauchsgegenstand stehen sollte: das Kondom.

Das Budget war mit 50 Millionen Mark (mehr als 25 Millionen Euro) gewaltig und ermöglichte die bis heute größte Präventionskampagne überhaupt.

Mit "Gib Aids keine Chance" waren damals sogar die Dickschiffe der Regierung indirekt befasst. Süssmuth hatte den Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl, sich bei der Aids-Politik nicht mit der CSU anzulegen. Das gab sie in der WDR-Dokumentation "Der Aids-Krieg" preis. Süssmuth setzte auf die Präventionskarte - und gewann.

Dazu beigetragen hat der im Kino und im Fernsehen ausgestrahlte Spot "Supermarkt", der als "Tina, wat kosten die Kondome?" in die deutsche Kulturgeschichte eingegangen ist.

Einschließlich einer Anekdote aus seiner Entstehungszeit: Im Original quäkte Hella von Sinnen, die eigentlich Hella Kemper heißt, "Rita, wat kosten die Kondome?" durch den Raum.

Beflissene Ministerialbeamte sollen darauf gedrungen haben, das Filmchen nachträglich neu zu synchronisieren, um einen Bezug zu Rita Süssmuth auszuschließen.

Die hätte, das ist sicher, gegen den O-Ton keine Einwände gehabt.Am 5. Juni jährt sich das Datum zum 35. Mal, zu dem im "Morbidity and Mortality Weekly Report" des American Center for Disease Control and Prevention erstmals über eine neue, das Immunsystem ausschaltende Krankheit berichtet wurde, die vor allem junge Männer attackierte.

Ein Jahr später bekam die Krankheit einen Namen: Acquired Immune Deficiency Syndrom - Aids.

Gröhe: Aufklärung statt Ausgrenzung

Der aktuelle Nachfolger von Rita Süssmuth im Gesundheitsministerium ist Hermann Gröhe (CDU), 55 Jahre alt und gewiss aufmerksamer Zeitzeuge der Aids-Hysterie in den 1980-ern. In seine Amtszeit fällt nun das Ende der Kampagne "Gib Aids keine Chance".

Wieder sind Kräfte unterwegs, die gesellschaftliche Errungenschaften aus den 1960-er und 1970-er Jahren in Frage stellen. Gröhe sitzt diesem Grummeln nicht auf. "Aufklärung hat sich als humanerer Weg gezeigt als Ausgrenzung", sagt er.

Aids ist nicht besiegt. 2014 registrierte die zuständige Behörde 3200 Neuinfektionen, Tendenz steigend. Zur Zeit leben etwa 84.000 Menschen mit Aids im Land. Gröhe betont aber, dass aus der ehemaligen Todesdrohung durch eine HIV-Infektion in vielen Fällen eine chronische behandelbare Krankheit geworden ist.

In seine Amtszeit fällt nun das Ende der Kampagne "Gib Aids keine Chance". Die Nachfolge-Aktion der BZgA "Liebesleben" nimmt alle sexuell übertragbaren Krankheiten in den Blick, die steigende Infektionsrate bei Syphilis zum Beispiel mit fast 6000 Fällen in 2014.

Aber auch die Humanen Papillomaviren, für die es eine Impfung gibt, und Chlamydien, die Ärzte als häufigste sexuell übertragbare Krankheit diagnostizieren.

Es gibt wieder einen TV- und Kino-Spot. Hauptdarsteller sind wie damals Ingolf Lück, inzwischen als moderner Vater eines sexuell aktiven Sohnes, ein Supermarkt - und eine Packung Kondome.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Runde der letzten 9

Gießener Dermatologin steht im Finale von Miss Germany

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!

Lesetipps
Im Vordergrund Savanne und eine Giraffe, im Hintergrund der Kilimandscharo.

© espiegle / stock.adobe.com

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger