Sachverständiger Gerlach
"Die Mauer muss weg"
Was der Vorsitzende des Sachverständigenrats fordert, versprechen gestandene Gesundheitspolitikerinnen nach der Bundestagswahl umzusetzen: Sie wollen die Mauer zwischen ambulanter und stationärer Versorgung einreißen.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. Egal, welche Parteien nach der Bundestagswahl im nächsten Herbst an der Macht sein werden, ein Problem werden sie auf jeden Fall angehen müssen: die Überwindung der Grenzen zwischen den Sektoren. "Wir können es uns nicht mehr leisten, dass wir zwei Parallelsysteme haben, die nicht miteinander, sondern zum großen Teil sogar gegeneinander arbeiten", sagte Professor Ferdinand Gerlach beim Medica Econ Forum der Techniker Krankenkasse auf der Medizinmesse Medica in Düsseldorf.
Man müsse das Nebeneinander der Systeme endlich angehen, denn es sei nicht gut für die Versorgungsqualität und vergeude zudem Ressourcen, betonte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. "Ich habe das Gefühl, dass das in der nächsten Legislaturperiode ein großes Thema wird."
Ein Indiz dafür sieht er darin, dass alle Parteien das Problem verstanden hätten und sich Gedanken machten, wie sie es anpacken können. Seit der vergangenen Wahl habe der Reformbedarf noch zugenommen, betonte Gerlach, der Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Frankfurt ist.
"Die Mauer, die sich quer durch das Land zieht, muss weg", forderte er. Dafür seien keine zusätzlichen finanziellen Mittel notwendig, sondern "gefragt ist die Schaffung richtiger Anreize für die sektorübergreifende Zusammenarbeit".
Bislang gebe es weder bei den diagnosebezogenen Fallpauschalen im Krankenhaus noch im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die niedergelassenen Ärzte Anreize für die gemeinsame Behandlung von Patienten, für das Abwarten oder das Nichtstun oder für die Prävention, kritisierte er.
Ein schlagendes Beispiel für das ineffektive Nebeneinander der Sektoren ist für ihn die Notfallversorgung. Das Hauptproblem sieht er darin, dass die Patienten im Moment selbst entscheiden können und müssen, ob sie den ärztlichen Bereitschaftsdienst, die Klinikambulanz oder den Rettungsdienst in Anspruch nehmen.
"In allen Bereichen ist die Inanspruchnahme stark gestiegen und wir sehen viele Beispiele für Fehl-Inanspruchnahme." Das gelte gerade für die Krankenhausambulanzen. "Es gibt Berichte, dass sich Leute den Wecker stellen, um spätabends oder nachts ins Krankenhaus zu gehen und sich mal gründlich untersuchen zu lassen", sagte er. Das würde häufig eine Kaskade unnötiger Maßnahmen auslösen.
Abhilfe schaffen könnten einheitliche Honorierungskonzepte und vor allem eine zentrale Anlaufstelle für die Patienten. Bei einer "strukturierten Triage" könnten möglichst breit aufgestellte Generalisten die Entscheidung über die richtige Versorgungsform treffen. Der Sachverständigenrat tendiere dazu, eine solche integrierte Leitstelle an einem "gemeinsamen Tresen" von Klinikambulanz und ärztlichem Bereitschaftsdienst anzusiedeln, berichtete Gerlach.
Mit der Forderung nach einem Ausbau sektorenübergreifender Versorgungsmodelle rannte er bei den gesundheitspolitischen Sprecherinnen von CDU, SPD und Grünen offene Türen ein. In dieser Legislaturperiode sei in diesem Bereich zwar bereits viel Gutes angedacht worden, sagte Maria Michalk für die CDU.
"Es wird aber ein großer Bereich in der nächsten Legislaturperiode sein." Die Notfallversorgung ist auch für Hilde Mattheis von der SPD ein Beleg für den nach wie vor großen Handlungsbedarf. "Alle sitzen an einem Tisch und ziehen das Tischtuch in unterschiedliche Richtungen", betonte sie.
Trotz der vielen Gesetzesvorhaben habe die große Koalition die durch die Sektorenbrüche entstehenden Versorgungsprobleme nicht angegangen, kritisierte Maria Klein-Schmeink von den Grünen. "Ich hätte mir weniger Gesetze oder Regelungen, die nur Aufträge an die Selbstverwaltung enthalten, gewünscht und stattdessen neue Impulse."
Alle drei versprachen, dass sie das Thema der sektorübergreifenden Versorgung als eines der ersten in Angriff nehmen werden, falls ihre Parteien nach der nächsten Bundestagswahl das Sagen haben.