"Die Akzeptanz des IQWiG kann deutlich besser werden"
Im September übernimmt Professor Jürgen Windeler die Leitung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Der Arzt tritt die Nachfolge von Professor Peter Sawicki an. Windeler will hart in der Sache, verbindlich im Dialog sein. Und er kündigt neue Schwerpunkte in der Arbeit des Instituts an.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Professor Windeler, in welcher Verfassung werden Sie das IQWiG vorfinden, wenn Sie am 1. September das Ruder übernehmen?
Jürgen Windeler: Ich werde das Institut in einer guten Verfassung vorfinden, was die Aufbauarbeit, die Motivation der Mitarbeiter und die fachliche wissenschaftliche Arbeit angeht. Ich erwarte eine etwas verunsicherte Verfassung, was die Ereignisse der vergangenen neun Monate seit der Bundestagswahl betrifft. Auch die kritischen Diskussionen der vergangenen Jahre sind an den Mitarbeitern des IQWiG sicherlich nicht spurlos vorübergegangen.
Ärzte Zeitung: Wo sehen Sie die wesentlichen Stärken und Schwächen des Instituts?
Windeler: Die Stärke des IQWiG ist seine ausgesprochen gute fachliche, wissenschaftliche und methodische Expertise, die keinen internationalen Vergleich scheuen muss. Die Schwäche hängt damit zusammen, dass die Kompetenz in der Öffentlichkeit und auch in der Fachöffentlichkeit bisher noch nicht ausreichend wahrgenommen wird. Ich glaube, dass die Akzeptanz des Instituts und seiner Rolle noch deutlich verbessert werden kann. Ich denke, dass sich das IQWiG von der zum Teil heftigen Kritik über Gebühr hat beeinträchtigen lassen. Es ist gut genug, um selbstbewusst sagen zu können: Wir sind gesprächsbereit, aber wir vertreten auch ruhig und souverän unsere Position und unsere Vorgehensweise.
Ärzte Zeitung: Was halten Sie von der Forderung der Politik, die Arbeit des IQWiG müsse transparenter werden?
Windeler: Ich verstehe sie nicht. Jeder, der sich auch nur ein kleines bisschen mit der Arbeit des IQWiG befasst, wird sehen, dass es die mit Abstand am transparentesten arbeitende Institution in Deutschland ist. Solche Forderungen beruhen meines Erachtens auf der nicht ausreichenden Kenntnis des Instituts oder vielleicht auf persönlichem Ärger.
Ärzte Zeitung: Sehen Sie Institutionen wie das englische NICE als Vorbild für das IQWiG?
Professor Jürgen Windeler
(iss)
Windeler: Einen Vergleich beider Institute finde ich legitim, was das methodische, wissenschaftliche und fachliche Vorgehen betrifft. Ich glaube, manche Dinge sind beim IQWiG besonders gut, andere beim NICE. Die Rolle des NICE in England ist sicher stärker als die des IQWiG in Deutschland. Aber wegen der sehr spezifischen Einbindung des Instituts in das englische Gesundheitswesen hat ein solcher Vergleich auch Grenzen.
Ärzte Zeitung: Wo möchten Sie bei Ihrer Arbeit an Ihren Vorgänger Sawicki anschließen, wo neue Akzente setzen?
Windeler: Ich möchte anschließen an das, was das IQWiG stark macht, an der fachlichen, wissenschaftlichen, kritischen, sorgfältigen und patientenorientierten Arbeit. Gleichzeitig möchte ich versuchen, die starke Arzneimittelorientierung des Instituts ein Stück weit zu relativieren. Ich werde mich bemühen, darauf hinzuweisen, dass Arzneimittel nur ein Problembereich unter vielen im Gesundheitswesen sind.
Ärzte Zeitung: Wo sehen Sie konkret Handlungsbedarf?
Windeler: Von allen Leistungen, die im Gesundheitswesen erbracht werden, gibt es nur für Arzneimittel ein sorgfältiges, auf die Wirksamkeit und die Überprüfung der Sicherheit orientiertes Zulassungsverfahren und für die Themen, die im Gemeinsamen Bundesausschuss bearbeitet werden. Für Medizinprodukte gibt es das Medizinproduktegesetz mit Sicherheitsüberprüfungen, aber die Wirksamkeit von Medizinprodukten wird vor einer Markteinführung nicht systematisch überprüft. Wenn Sie ein neues Operationsverfahren in Ihrer Klinik etablieren wollen, fragt keiner nach. Bei diagnostischen Tests auch nicht. Das passiert erst, wenn der Kosten- oder Problemdruck so groß ist, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss damit befassen muss. Das Gleiche gilt noch für weitere Bereiche wie die Psychotherapie.
Alle diese Felder unterliegen nicht den gleichen Nutzen- und Sicherheitsanforderungen wie Arzneimittel. Das IQWiG sollte sich um die Identifizierung dieser Problembereiche kümmern.
Ärzte Zeitung: Mit den Schnellbewertungen für Arzneimittel kommt eine neue Aufgabe auf das IQWiG zu. Die Politik geht davon aus, dass dabei 100 Dossiers pro Jahr überprüft werden. Wäre das mit dem aktuellen Personalstand zu schaffen?
Windeler: Nein. Selbst wenn beim IQWiG durch den Wegfall anderer Aufgaben Kapazitäten frei würden, was nicht absehbar ist, wäre das nicht darstellbar. Zwar braucht man nicht für jedes Dossier eine Kurzbewertung, zum Teil handelt es sich um mehr oder weniger formale Änderungen an den Zulassungen. Wenn das IQWiG auch nur bei rund der Hälfte mit einer inhaltlichen Kurzbewertung beauftragt wird, braucht es zusätzlich Leute und Ressourcen.
Ärzte Zeitung: Halten Sie das Vorhaben für umsetzbar, innerhalb von drei Monaten eine Nutzenbewertung zu erstellen?
Windeler: Für die reine Nutzenbewertung sind drei Monate realistisch. Das darf aber nicht verglichen werden mit den 18 Monaten, die das IQWiG bislang für das Verfahren benötigt hat. Die Beteiligung von Anbietern, Patienten und anderen Interessenten wird vor und nach der eigentlichen Bewertung erfolgen, für die ein Vierteljahr angesetzt ist. Außerdem wird die Nutzenbewertung künftig auf Basis eines Herstellerdossiers gemacht. Ein wesentlicher Teil der Arbeit des IQWiG - das Recherchieren, Bestellen, Lesen und Aufbereiten von Studien sowie die Nachfragen bei Herstellern - wird an die Hersteller delegiert.
Ärzte Zeitung: Wie stehen Sie zur politisch gewollten Einbeziehung aller Betroffenen in das Verfahren, dem sogenannten Scoping?
Windeler: Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, mit den Betroffenen vorher über das Vorgehen und die Inhalte des Verfahrens zu sprechen. Man muss sich aber überlegen, welche Konsequenzen ein solches Vorgehen hat, ob es die folgenden Bewertungen letztendlich bindet. Das würde ich für ein Problem halten. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist ein autonomes Gremium, das IQWiG ist ein unabhängiges Institut. Dennoch tun beide gut daran, die Argumente von Patienten, Anbietern und Leistungserbringern zu prüfen und zu berücksichtigen.
Ärzte Zeitung: Kommt Ihrer Arbeit das Vorhaben der Bundesregierung zugute, den Zugang der Öffentlichkeit zum Ergebnis von klinischen Prüfungen zu verbessern?
Windeler: Unbedingt. Es ist bekannt, dass manchmal Informationen gezielt vorenthalten werden, weil die Studien negative Ergebnisse erbracht haben. Problematisch sind auch Studien, die nicht zu Ende geführt werden, ohne dass man die Gründe erfährt. Das ist übrigens kein Privileg der Pharmaindustrie, das machen Universitäten genau so. Ich würde eine Registrierung von relevanten Studiendaten begrüßen. Ich glaube, dass dies nicht nur dem IQWiG zugutekommen, sondern die Transparenz des ganzen Sektors fördern würde.
Die Fragen stellten Ilse Schlingensiepen und Florian Staeck.
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