Interview

Bahr: Einstieg in das Prämiensystem ist geschafft

Für ihre GKV-Finanzreform und ihre Arzneimittelreform musste die Koalition viel Prügel einstecken. Gesundheits-Staatssekretär Daniel Bahr (FDP) weist die Kritik zurück. Die Koalition sei "stolz" auf das, was sie in der Gesundheitspolitik bislang erreicht habe, sagt der passionierte Marathonläufer im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Schon dieses Jahr sollen weitere Reformen folgen.

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"Ärzte und Krankenhäuser haben trotz des höchsten Defizits Honorarsteigerungen erhalten." (FDP-Mann Daniel Bahr, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium)

"Ärzte und Krankenhäuser haben trotz des höchsten Defizits Honorarsteigerungen erhalten." (FDP-Mann Daniel Bahr, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium)

© Elke Hinkelbein

Ärzte Zeitung: Herr Bahr, treffen wir Sie demnächst seltener in Berlin an?

Daniel Bahr: Nein, warum?

Ärzte Zeitung: Weil Sie seit kurzem FDP-Landesvorsitzender in NRW sind und deshalb stärker in der Landespolitik mitmischen werden.

Daniel Bahr: Meine politische Heimat ist und bleibt NRW und ich bin viel vor Ort. Die Pendelei bleibt erhalten. Philipp Rösler und ich können als Vorsitzende von zwei großen Landesverbänden nun der Gesundheitspolitik noch mehr Gewicht in der Koalition verleihen. Das ist eine große Chance.

Ärzte Zeitung: Haben Sie darüber hinaus gehende Ambitionen?

Daniel Bahr: Ich bin sehr zufrieden und ausgefüllt mit meiner Tätigkeit. Wir haben das Bundesgesundheitsministerium vor gut einem Jahr übernommen - das ist sicherlich der schwierigste Bereich im Kabinett, aber es macht mir immer noch Freude. Und deshalb denke ich nicht an andere Aufgaben. Wir haben noch viele Ziele, die wir in der Gesundheitspolitik erreichen wollen.

Ärzte Zeitung: Die erste Zeit der Koalition war von Streit und Selbstlähmung geprägt. Zum Schluss gab es immerhin zwei Reformen. Hätten Sie sich mehr Tempo gewünscht?

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Daniel Bahr: Klar! Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der Koalition noch rascher die Probleme anpacken und zu gemeinsamen Lösungen gekommen wären. Leider haben wir zähe Diskussionen gebraucht. Aber am Ende zählen die Ergebnisse. Und die können sich sehen lassen.

Ärzte Zeitung: Eine Beitragssatzerhöhung und ein Sparpaket - diese Mixtur ist nicht gerade originell.

Daniel Bahr: Dabei ist es ja nicht geblieben. Die Ausgangssituation war die schwierigste, die eine neue Führung im Bundesgesundheitsministerium je vorgefunden hat. Vor einem so hohen Milliarden-Defizit stand die gesetzliche Krankenversicherung bisher noch nie.

Die von der Vorgängerregierung beschlossene Deckelung der Zusatzbeiträge hätte dazu geführt, dass einige Kassen in die Insolvenz getrieben worden wären.

Wenn Sie eine solche Situation vorfinden, müssen Sie schnell das Problem lösen, um die Versorgung weiter zu gewährleisten und das Vertrauen der Versicherten in ihre Krankenversicherung aufrechtzuerhalten. Die Entscheidungen sind fair.

Wir sind von der Öffentlichkeit heftig kritisiert worden, haben aber daran festgehalten: Ärzte und Krankenhäuser haben trotz des höchsten Defizits Honorarsteigerungen erhalten. Das sollten die Betroffenen anerkennen.

Die Vergangenheit und die Debatte im letzten Jahr zeigen: Eine andere Regierung hätte in dieser Situation der ambulanten Versorgung mindestens Nullrunden, wenn nicht gar Kürzungen verordnet.

Wir haben bewusst die Priorität gesetzt: An der Versorgung wird nicht gespart, Patienten erleben keine Leistungskürzungen oder Zuzahlungserhöhungen wie bei vergangenen Reformen.

Ärzte Zeitung: Sie hatten bei Regierungsübernahme 2009 eine Reform, kein Reförmchen angekündigt.

Daniel Bahr: Die Wirkung dieser Reform ist nicht zu unterschätzen. Mit der Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge haben wir jetzt den Weg für ein stabiles, nachhaltiges und transparentes Finanzierungssystem in der GKV geebnet. Es bedeutet auch für Ärzte, Kliniken, Apotheken, Krankenkassen und die Pharmabranche Verlässlichkeit und Planbarkeit

Wir überwinden damit den klassischen gesundheitspolitischen Reflex bisheriger Regierungen - jedes Jahr wurde aufs Neue entschieden, wie viel Geld dem Gesundheitswesen zur Verfügung stehe und sich immer nach Wahlterminen und jeweiliger Konjunkturlage gerichtet.

Die Gesundheitspolitik nach Kassenlage und Arbeitsmarktsituation beenden wir. Weitere Ansätze sind bereits angegangen: Die Wahl der Kostenerstattung wird attraktiver, Regresssorgen reduziert und die Private Krankenversicherung stabilisiert.

Ärzte Zeitung: 2011 mögen Sie Ruhe an der GKV-Finanzfront haben. Danach drohen weitere Defizite.

Daniel Bahr: Was verstehen Sie unter "Ruhe"?

Ärzte Zeitung: Dass die Kassen nicht flächendeckend Zusatzbeiträge von ihren Versicherten erheben müssen.

Daniel Bahr: Gesundheitspolitik wird immer davon geprägt sein, dass sich Beitragszahler beschweren, dass ihre Krankenversicherung zu teuer ist und Patienten verlangen, dass möglichst alle Leistungen erstattet werden. Diesen Konflikt muss Politik aber aushalten.

Es ist politisch ausdrücklich gewollt, dass sich die Zusatzbeiträge in den nächsten Jahren entwickeln und zu einem Wettbewerbselement werden.

So erhalten Versicherte erstmals ein echtes Preissignal, weil sie erkennen können, was ihre Krankenversicherung in Euro und Cent kostet und worin sich die Krankenversicherungen unterscheiden - insbesondere beim Umfang der Leistungen sowie bei der Höhe der Verwaltungskosten.

Ärzte Zeitung: Was aber ist vom ursprünglichen Ziel der Liberalen geblieben, die gesetzliche Krankenversicherung konsequent auf ein Prämienmodell umzustellen?

Daniel Bahr: Wenn ich die scharfe Kritik der Opposition sehe, muss uns das ja gelungen sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir einen intelligenten schrittweisen Übergang gefunden haben. Wir entkoppeln Gesundheits- und Arbeitskosten, was Arbeit schafft.

Wir geben den Kassen Autonomie zurück, indem sie die Höhe des Zusatzbeitrags selbst bestimmen können. Und wir schaffen einen Sozialausgleich für Geringverdiener, der von allen aus Steuermitteln finanziert wird.

Das ist meines Erachtens viel gerechter, weil Solidarität nicht nur innerhalb des GKV-Systems stattfindet, sondern alle Bürger über das Steuersystem beteiligt werden. Das ist der Einstieg in ein Prämiensystem.

Ärzte Zeitung: Für ihr Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, kurz AMNOG, ist die Koalition von der Industrie scharf kritisiert worden. Moniert wird insbesondere, der Zeitrahmen für die frühe Nutzenbewertung sei mit drei Monaten zu kurz gesetzt. Halten Sie die Kritik für berechtigt?

Daniel Bahr: Nein. Mit dem AMNOG haben wir erstmals in Deutschland einen Paradigmenwechsel eingeleitet - und darauf sind wir stolz. Wir erreichen, dass die Arzneiausgaben wieder hinter den Ausgaben für die ambulante Versorgung liegen!

Jede neue Arznei muss frühzeitig belegen, ob sie einen Fortschritt darstellt im Vergleich zu dem, was es bisher gibt. Das ist der faire Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Beitragszahler und der Patienten. Wir erhalten den Zugang zu Innovationen.

Ein neues Medikament steht den Patienten in der Versorgung auch künftig sofort zur Verfügung. Aber es muss der Nachweis erbracht werden, dass es eine echte Verbesserung für die Patienten bringt.

Danach wird in direkten Verhandlungen der Arzneimittelhersteller mit den Kassen der Preis für das Präparat bestimmt. Damit bauen wir auch die Regressängste vieler Ärzte ab, da für den Preis eines Arzneimittels künftig Kassen und Hersteller verantwortlich sind.

Ärzte Zeitung: 2011 will das Ministerium unter anderem ein "Versorgungsgesetz" auf den Weg bringen. Klingt fast wie die Initiative von Ex-Bundesministerin Ulla Schmidt.

Daniel Bahr: : "Versorgungsgesetz" ist nur der Arbeitstitel für ein Gesetz, mit dem wir die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen verbessern wollen, um Qualität und Effizienz in der Versorgung zu verbessern. Wir wollen die Freiberuflichkeit erhalten, dafür müssen wir die Strukturen verbessern.

Es handelt sich um all die Aspekte, die wir zunächst ausgespart haben, weil wir uns erst einmal um die Finanzierung des drohenden Defizits in der GKV kümmern mussten.

Das würde jeder so machen, der ein Haus übernimmt, wo das Dach undicht ist und es hinein regnet. Man macht zunächst das Dach dicht und kümmert sich dann um Wohnzimmer, Bad und Küche. Genau das werden wir 2011 tun.

Ärzte Zeitung: Wird es auch um das Thema Ärztemangel gehen?

Daniel Bahr: Ja. Wir sind die erste politische Leitung im Bundesgesundheitsministerium, die den Ärztemangel überhaupt zum Thema macht. Unsere Vorgänger haben während ihrer Amtszeit den Ärztemangel bestritten und behauptet, dass es in Deutschland genügend Ärzte gebe, die nur besser aufs Land verteilt werden müssten.

Ärzte Zeitung: Krankenkassenmanager wie der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Dr. Herbert Reichelt, argumentieren auch heute noch so.

Daniel Bahr: Statistisch gesehen mag die Zahl der Ärzte gestiegen sein. Solche Zahlen und Daten liefern aber nicht die Antwort auf die Probleme, die die Menschen vor Ort - vor allem in ländlichen Gebieten - haben, weil Ärzte altersbedingt ausscheiden und sich kein Arzt findet, der ihre Praxis übernimmt.

Viele junge Mediziner scheuen nach dem langen und teurem Studium die Niederlassung als Arzt auf dem Land. Sie befürchten wegen hoher Patientenzahlen in die Reglementierung und die Regressandrohung zu geraten. Hier müssen wir gegensteuern.

Ärzte Zeitung: Wie?

Daniel Bahr: Es muss sich für Ärzte wieder lohnen, sich in der Fläche niederzulassen. Viele haben Angst vor Mehrbelastungen. Wir überlegen deshalb auch, wie wir auf Mengenstaffelungen oder andere Reglementierungen verzichten, damit sich junge Mediziner gerade in ländlichen Regionen verstärkt niederlassen. Notwendig ist darüber hinaus, den Arztberuf spürbar von bürokratischen Aufgaben zu entlasten und für eine leistungsgerechtere Honorierung zu sorgen.

Ärzte Zeitung: Leistungsgerechtere Vergütung für die Ärzte - das klingt spannend. Aber was genau bedeutet das in konkrete Politik gegossen?

Daniel Bahr: Die schwarz-rote Honorarreform kommt nochmal auf den Prüfstand. Wir haben im Gesundheitswesen nach wie vor ein Vergütungssystem das sich zu sehr am Mittelmaß orientiert und nicht denjenigen belohnt, der sich mehr anstrengt und besser ist als andere.

Dabei wissen wir aus dem Sport und dem Wirtschaftsleben, dass uns das Leistungsprinzip anspornt. Auch in der Medizin brauchen wir mehr Leistungsgerechtigkeit.

Das Gespräch führten Sunna Gieseke und Thomas Hommel.

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