Hintergrund
IV-Vertrag Schizophrenie: Bis Ende 2012 sollen harte Daten her
Die Integrierte Versorgung Schizophrenie für Patienten der AOK Niedersachsen ist vor allem unter Ärzten umstritten. Der Grund: Indirekt ist ein Pharma-Unternehmen daran beteiligt. Dass das Modell vor allem Hospitalisierungen mindert, soll bis Ende 2012 bewiesen werden.
Veröffentlicht:Die AOK Niedersachsen hat mit einer Tochterfirma des Pharma-Herstellers Janssen-Cilag namens I3G einen Vertrag "Integrierte Versorgung Schizophrenie" (IVS) geschlossen.
In Hannover erklärten die Initiatoren, wie sie den Erfolg des Versorgungsmodells prüfen wollen und betonten ihre Unabhängigkeit von der Industrie.
Ziel des Vertrages sei es, die Krankenhaustage der Schizophrenie-Patienten durch eine frühe koordinierte ambulante Versorgung zu reduzieren. Der Vertrag setzt auf die S3-Praxisleitlinien Schizophrenie.
"Bei rechtzeitiger Behandlung ist eine gute Langzeitprognose möglich", sagte Dr. Jürgen Peter, Chef der AOK Niedersachsen. Über die Regelversorgung hinaus bietet der Vertrag unter anderem aufsuchende psychiatrische Pflege, Psychoedukation, Psychotherapie und Angehörigenbetreuung.
Rund 13.000 AOK-Versicherte im Land leiden unter Schizophrenie. Der Vertrag läuft seit Oktober 2010 in vier Regionen Niedersachsens. Dort kooperieren unter anderem 40 Fachärzte und acht Pflegedienste. Seit Anfang April wird der Vertrag auf weitere Regionen ausgeweitet.
Zur Vorgeschichte: 2008 hatte die AOK das Modell ausgeschrieben, die Janssen-Cilag-Tochter, das Institut für Innovation und Integration im Gesundheitswesen I3G GmbH, bekam den Zuschlag. Janssen-Cilag gehört dem US-Gesundheitskonzern Johnson&Johnson und stellt unter anderem Medikamente gegen Schizophrenie her.
I3G hat seinerseits die Firma care4S GmbH mit der Akquisition der Ärzte, der Organisation der ambulanten Versorgungseinheiten und der Abrechnung für die IV betraut. Geschäftsführer der Firma mit Sitz in Hemmoor bei Stade ist der Psychiater Dr. Matthias Walle. Eigner ist die Firma Turgot Ventures aus Zürich.
Und so funktioniert die Finanzierung: Die rund 52 Millionen Euro pro Jahr für die Versorgung der Schizophrenie-Patienten in Niedersachsen werden bei der AOK quasi als virtuelles Budget geführt. Dagegen laufen die Kosten für die Integrierte Versorgung. Spart der Vertrag Geld, teilen sich die I3G und die AOK den Gewinn.
Für diesen Preis ist die AOK das Risiko des Versorgungsmodells los. Das Ganze ist im Sinne des Gesetzgebers: Seit Inkrafttreten des Arzneimittelmarkt-Neuordnungs-Gesetzes (AMNOG) Anfang des Jahres können Kassen IV-Verträge auch mit pharmazeutischen Unternehmen schließen.
Die Konstruktion ist gleichwohl umstritten. Professor Frank Schneider, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), kritisierte diese Vertragskonstruktion. Dies sei, "als wenn ein Autohersteller auch die Straßen und das Benzin in einer Holding kontrollieren würde", sagte er der "tageszeitung".
care4S-Geschäftsführer Walle argumentiert dagegen. "Wir können und wollen den beteiligten Ärzten nicht vorschreiben, welche Präparate sie verordnen." Tatsächlich legt der Vertrag laut AOK fest, dass im Falle von Umsatzverschiebungen zu Gunsten eines Herstellers gegengesteuert werde.
Die Initiatoren des AOK-Vertrages wollen nun der Kritik mit einer Evaluation des Modells begegnen. Zentraler Parameter sei außer der geringeren Wiederaufnahmerate in der Klinik und der Reduktion von Krankheitsschwere und Depressivität die Reduktion der Krankenhaustage, erläutert Dr. Thomas Wobrock, Psychiater an der Universität Göttingen.
Nach einem Jahr Vertragslaufzeit soll die Zahl der Klinik-Tage von IV-Patienten und Patienten der Regelversorgung verglichen werden.
Beteiligt an der Evaluation sind außer der Göttinger Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie die Universität Duisburg-Essen und das Kompetenzzentrum für Klinische Studien der Universität Bremen.
Ab Sommer 2011 sollen die 480 Patienten rekrutiert werden, hieß es. "Mit den Ergebnissen der Evaluation ist im Oktober 2012 zu rechnen", sagt Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen.
Die Kassen brauchen offenbar nicht vom privatwirtschaftlichen Modell überzeugt zu werden. "Wir sind mit vielen Kassen über entsprechende Verträge im Gespräch", berichtet Walle der "Ärzte Zeitung".
So hat er auch mit der TK einen IV-Vertrag für Schizophrenie-Patienten geschlossen - als Geschäftsführer einer personenidentischen Schwesterfirma der care4S GmbH namens IVPNetworks. Daran sind im Wesentlichen Ärzte und Pflegedienste beteiligt, zum Teil auch Turgot Ventures.
Allerdings finanziert nicht Janssen-Cilag den Vertrag, sondern "Leistungserbringer, Investoren wie Turgot Ventures, die auch Managementanteile übernehmen oder die Krankenkassen selber", erläutert Walle.
In Hemmoor hat die Konstruktion schon Geld gespart. Ein kleinerer Vertrag dieser Art, den Walle seit 2004 betreut, habe "im stationären Bereich eine Kostenreduktion von 40 bis 70 Prozent erbracht."
IV-Verträge - Erweiterung im AMNOG
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, das am Jahresanfang 2011 in Kraft getreten ist, können auch pharmazeutische Unternehmen und Unternehmen aus der Medizintechnik Vertragspartner der Integrationsversorgung (IV) sein. Geregelt ist dies in Paragraf 140b Absatz 1 SGB V. Eine solche Vertragspartnerschaft kann sinnvoll sein, um das Versorgungs-Know-how der Hersteller von Medizintechnik und Arzneimitteln oder deren Management-Fähigkeiten zu nutzen. In Teilen der Ärzteschaft stößt diese Partnerschaft auf Bedenken. Vermutet wird, dass einseitig bestimmte Arzneien eines beteiligten Herstellers bevorzugt eingesetzt würden. Belege für diese Behauptung gibt es nicht. Grundsätzlich ist die Teilnahme an IV für alle freiwillig.