Kassen sollen Rauchentwöhnung bezahlen
Aufhören auf Kassenkosten: Raucher, die ihr Laster aufgeben wollen, sollten Nikotinpflaster und Co. von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Das fordern Arzneimittelhersteller. Schließlich sei Rauchen eine Sucht. Die Politik ist uneins.
Veröffentlicht:BERLIN. Bald ist Silvester und etliche Raucher werden um Mitternacht ihre "ganz bestimmt" letzte Zigarette ausdrücken.
97 von 100 werden mit ihrem Vorhaben, das Rauchen aufzugeben scheitern, sagt Dr. Justus von Zeeuw voraus.
Nikotinersatztherapien erfolgsversprechender als kalter Entzug
Der Lungenfacharzt aus Wuppertal findet jeden Versuch, sich das Laster abzugewöhnen, gut.
Erfolg versprechender als der kalte Entzug seien allerdings Nikotinersatztherapien (NET) mit Pflastern und Kaugummis, sagte Zeeuw bei einer Pressekonferenz des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH) am Dienstag in Berlin.
"Rauchen ist eine Sucht"
Kein Verständnis bringt Zeeuw für die Zurückhaltung der Politik auf, Tabaksucht als Krankheit anzuerkennen. "Rauchen ist eine Sucht und gehört deshalb in den Versorgungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung", sagte Zeeuw.
Die Initiative Raucherentwöhnung, eine Arbeitsgemeinschaft im Bundesverband der Arzneimittelhersteller, schlägt vor die Nikotinersatztherapien für die OTC-Liste vor. Sie will erreichen, dass noch im Zuge der letzten Beratungen zum Versorgungsstrukturgesetz eine Modifikation von Paragraf 34 (Negativliste) aufgenommen wird.
Damit soll es möglich werden, dass Kassen die Nikotinersatztherapie als Satzungsleistung aufnehmen.
Schließlich gewinnen Nikotinersatztherapien für den Einzelnen mehr Lebenszeit und sparen der Gesellschaft Kosten. Dies ist das Ergebnis von Studien, die der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem für das Bundesforschungsministerium und für den BAH erstellt hat.
Lebenszeitgewinn liege bei rund zehn Wochen
Über alle Raucher in allen Altersgruppen gerechnet betrage der Lebenszeitgewinn nach einem Rauchstoppversuch mit Nikotinersatztherapien rund zehn Wochen.
Die direkten "medizinischen Restlebenskosten" fallen gegenüber dem Rauchstoppversuch ohne medizinische Hilfestellung durch Nikotinersatztherapie um rund 900 Euro geringer aus. Bei COPD-Patienten liege die Ersparnis mit 2.100 Euro sogar deutlich höher, berichtete Wasem.
Ökonom schätzt die Kosten auf lediglich 22 Millionen Euro
Befürchtungen, die Erstattungsfähigkeit von Nikotinersatzpräparaten löse eine Kostenlawine aus, halten Wissenschaftler für übertrieben.
Selbst wenn alle entwöhnungswilligen Raucher - ihre Zahl wird aktuell auf 1,2 Millionen geschätzt - die Therapie von der Kasse bezahlt bekämen, müsste die GKV dafür lediglich 22 Millionen Euro im Jahr aufbringen, ergänzte Gesundheitsökonom Dr. Uwe May.
Dies seien 0,085 Prozent der GKV-Arzneimittelausgaben. Die Anfangskosten amortisierten sich binnen drei bis fünf Jahren, so May.
Politiker uneins
Wissenschaftlich ist die Wirksamkeit von NET nicht umstritten, politisch schon. Der medizinische Nutzen von Nikotinersatzpräparaten wie Pflastern und Kaugummis werde vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) anerkannt.
Der GBA hat bereits im Juli die eingeschränkte Erstattungsfähigkeit von NET für die Disease Management Programme zu KHK und COPD beschlossen.
Gesundheitsministerium zögert
Das Gesundheitsministerium hat diesen Beschluss bislang nicht genehmigt. Grund ist, dass die NET gesetzlich als Life-Style-Produkte eingruppiert sind. Die Regierungskoalition ist in dieser Frage uneins.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jens Spahn hatte bei den Beratungen zum AMNOG die Erstattungsfähigkeit von NET zum Thema gemacht. In der FDP wird das aber abgelehnt. Die Liberalen setzen vielmehr auf die Eigenverantwortung der Raucher.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kein Pflaster gegen Tabaksucht