Suchtexperte

Kritik an geplantem Cannabis-Rezept

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HAMBURG. Die geplante Zulassung von Cannabis als Schmerzmittel für Schwerkranke sorgt in Fachkreisen für Widerspruch.

Der Hamburger Suchtexperte Rainer Thomasius befürchtet, "dass der Vorstoß der Bundesdrogenbeauftragten dazu führen wird, die riesengroße Zahl der Medikamenten-Abhängigen in Deutschland noch weiter zu vergrößern".

Aus den wenigen vorliegenden Studien gehe zudem hervor, dass die Nebenwirkungen bei Cannabis größer seien als bei den eingeführten Schmerzmitteln, sagte der ärztliche Leiter des Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Eppendorf.

Schwerkranke Patienten sollen nach dem Willen der Regierung von 2016 an Cannabis auf Rezept und als Kassenleistung erhalten können.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erlaubt derzeit nur selten per Ausnahmegenehmigung die individuelle Behandlung mit Cannabis-Präparaten.

Die Bundesärztekammer begrüßte das Vorhaben. Eine Therapie mit cannabionidhaltigen Arzneimitteln könne für Patienten mit neurologischen Krankheiten sinnvoll sein, sagte Verbandspräsident Frank Ulrich Montgomery.

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth sieht die Pläne der schwarz-roten Koalition als ersten Schritt zu einer generellen Freigabe weicher Drogen.

"Ich komme aus Bayern, und wenn man gleiche Rechte als Grundprinzip nimmt, dann wird es höchste Zeit für die Legalisierung von Cannabis", sagte die Bundestagsvizepräsidentin der Zeitung "Die Welt".

"Ich meine, das Oktoberfest ist eine offene Drogenszene mit sechs Millionen Menschen, die sich betrinken."Gesundheitspolitiker von Union und SPD traten dem entgegen. "Cannabis als Medikament für schwerkranke Patienten ist sinnvoll.

Das ändert nichts daran, dass Cannabis als Rauschdroge gerade für junge Menschen Sucht und Entwicklungsstörung bedeuten kann", sagte der CDU-Experte Jens Spahn der "Welt am Sonntag".

Karl Lauterbach stellte für die SPD klar: "Es darf nicht der Versuch unternommen werden, jetzt durch die Hintertür Cannabis zu legalisieren." (dpa)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 10.02.201512:25 Uhr

Ein Gesetz der Vernunft?

Tetrahydrocannabinol (THC) ist mit Dronabinol (ATC A04AD10) schon länger als BTM-Rezepturarzneimittel verfügbar. Die antiemetische, appetitstimulierende, schmerzlindernde, entzündungshemmende, muskelentspannende, dämpfende und psychotrope Wirkung wird durch zentral sympathomimetische Nebenwirkungen ergänzt. Deswegen vorsichtig einschleichende Dosierungsempfehlungen.

In der GKV n i c h t erstattungsfähig (Regressgefahr); ausschließlich privat verordnungsfähig. Das Betäubungsmittelrezept (BTM) kann mit dem Rezepturarzneimittel folgendermaßen ausgestellt werden:

BTM-Rezeptur für Dronabinoltropfen in Neutralöl 2,5 %:
Dronabinol 0,25 g
Neutralöl ad 10,00 g NRF 11,4 (Oleum neutrale Miglyol 812)
Dosierung einschleichend beginnend mit 2 x 3 Tropfen (2 x 2,5 mg) tgl.
Hersteller von Dronabinol: Bionorica Ethics und THC Pharm.

Was Rechtsprechung, Bundesregierung und manche "Gesundheits"-Politiker planen, ist paradox: Wie soll jemand, der schwer krank, Teilhabe-gemindert, Mobilitäts-, Belastungs- und Schmerz-eingeschränkt ist, die relativ komplizierte und aufwändige Cannabis-Logistik in Eigeninitiative bewältigen? Oder wäre er dann gar nicht so schwer krank? Was ist, wenn der Cannabis-Eigenanbau nur minderwertige Erntequalität bringt, unsachgemäß weiterverarbeitet oder unwirksam wird? Wenn der Patient bettlägerig seinen "Stoff" gar nicht mehr erreichen und ernten kann?

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), MdB Hilde Mattheis (SPD), MdB Burkhard Blienert (SPD), MdB Jens Spahn als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, MdB Gerda Hasselfeldt (CSU), MdB Kathrin Vogler (Linke), MdB Frank Tempel (Linke) und "last but not least" Grünen-Chef Cem Özdemir mit seiner Hanf-Pflanze auf dem Balkon haben wohl zu viel im "Handbuch für biodynamische Selbstversorger" über den Cannabis-Eigenanbau gelesen?

Wie bei allen Medikamenten kommt es auf Qualität, Standardisierung, exakte Dosierung und Galenik an. Damit wird ausschließlich auf medizinisch-schmerztherapeutische Effekte fokussiert. Denn es geht nicht um Permissivität oder Förderung von Drogenkarrieren ("legalize it"?), sondern um die Erweiterung palliativ- und schmerzmedizinischer Handlungsoptionen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Wolfgang P. Bayerl 10.02.201510:52 Uhr

Ein planmäßiger Einfallstor zur Drogenlegalisierung!

Sonst nichts, also scheinheilig.

Rudolf Hege 09.02.201512:50 Uhr

Lieber Cannabis als Alkohol...

Alkohol hat als "Rauschdroge für junge Menschen" viel weitreichendere Folgen als Cannabis. Insbesondere, wenn es legal wäre und so den Weg ins Halbweltmilieu unnötig machen würde.

Als Schmerzmittel hat Cannabis kein höheres Abhängigkeitspotential als herkömmliche Medikamente und auch keineswegs mehr Nebenwirkungen, als beispielsweise der Wirkstoff Pregabalin (Lyrica(R)), der ebenfalls bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt wird.

Wichtig ist eine strenge Indikationsstellung, um den Missbrauch weitgehend zu vermeiden.

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