Medizinrechtler im Gespräch

Keine Eingriffe in die Therapiefreiheit

Im Februar wird der Bundestag das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz verabschieden. Relevant für Ärzte ist vor allem das Informationssystem für Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung. Über die Auswirkungen dieser Neuerung sprach die "Ärzte Zeitung" mit den beiden Medizinrechtlern Professor Alexander Ehlers und Dr. Christian Rybak

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Keine Eingriffe in die Therapiefreiheit

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Ein Interview von Helmut Laschet

Ärzte Zeitung: In Kürze verabschiedet der Bundestag das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz. Wird dieses Gesetz den Ärzten den Umgang mit den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung erleichtern?

Ehlers: Theoretisch ja. Allerdings muss man sagen, dass es mit der Implementierung der Ergebnisse der Nutzenbewertung in den Praxisverwaltungssystemen Ärzten erleichtert wird, sich zu informieren – was aber davon abhängig ist, wie dies konkret aussehen wird. Denn die bloße Wiedergabe des Beschlusses allein ist ja noch nicht ausreichend und birgt die Gefahr von Missverständnissen.

Rybak: Wenn man denn ernst machen wollte, Ärzte bei ihren Verordnungsentscheidungen zu unterstützen, dann werden dazu auch die Hintergrundinformationen benötigt – etwa die tragenden Gründe zum jeweiligen Beschluss des GBA, aber auch sonstige Informationen. Das sehe ich schon deshalb kritisch, weil eine praktische und vor allem praktikable Umsetzung mehr als fraglich sind, vor allem weil noch nicht geklärt ist, wie das System über den jeweils aktuellen Stand des Wissens zur Wirksamkeit und zur Sicherheit neuer Arzneimittel informieren kann.

Ärzte Zeitung: Von allen Seiten wird ja beklagt, dass die frühe Nutzenbewertung wenig Einfluss auf das Verordnungsverhalten der Ärzte hat, auch deshalb, weil das Regressrisiko nicht beseitigt ist. Wie ist denn Ihre Erfahrung als Rechtsanwälte, in welchem Umfang Regressanträge von Krankenkassen in Einzelfällen gestellt worden sind, weil Ärzte neue Arzneien verordnet haben, für die der Bundesausschuss in Subpopulationen keinen Zusatznutzen anerkannt hat?

Ehlers: Grundsätzlich sind Arzneimittelregresse im Vergleich zur Vergangenheit zurückgegangen. Aber das Problem als solches wird weder durch das AMNOG noch durch das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wirklich gelöst. Die Preisverantwortung liegt natürlich jetzt beim Hersteller und beim GKV-Spitzenverband. Da, wo ein Erstattungsbetrag ausgehandelt oder festgelegt worden ist, sollte ein Arzt nicht mit einem Regressrisiko belastet werden.

Professor Alexander Ehlers

Position: Partner der auf Medizin-, Pharma- und Luftfahrtrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Ehlers, Ehlers & Partner (München und Berlin)

Ausbildung: Ehlers, Jahrgang 1955, studierte Medizin (1974 bis 80) und Rechtswissenschaften (bis 1986), mit Promotion

Karriere: bis 1999 in eigener Kassenarztpraxis, berufspolitische Funktionen, seit 1987 Rechtsanwalt, 2005 Fachanwalt für Medizinrecht, Lehraufträge, Honorarprofessor für Medizinrecht an der EBS Eltville

Dennoch ist es zu Verfahren gekommen, es werden im Einzelfall von Kassen Prüfanträge nach Paragraf 106 SGB V gestellt. Dahinter steht: Wenn für die eine Subpopulation ein Zusatznutzen anerkannt, für andere Subpopulationen jedoch kein Zusatznutzen gesehen wird, dann wird ein Mischpreis gebildet. Rechtlich müsste man argumentieren, dass der Preis für die Subpopulation mit Zusatznutzen aufgrund der Mischkalkulation niedriger ist als er es bei gesonderter Kalkulation sein könnte. Und der Mischpreis ist für die Population ohne Zusatznutzen höher. Insgesamt soll sich das kompensieren.

Diese Auffassung wird nicht von allen Beteiligten (etwa auch Kassenärztlichen Vereinigungen) mitgetragen – und auch das Bundesgesundheitsministerium hat sich in dieser Frage bislang nicht eindeutig positioniert. Das hat dazu geführt, dass wir inzwischen mehrere Verfahren vor den Sozialgerichten haben, aber noch kein letztinstanzliches Urteil. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Verordnungsverhalten von Ärzten. Und das geht möglicherweise auch zu Lasten von Patienten, denen ein innovatives Arzneimittel vorenthalten wird.

Rybak: Es wäre natürlich wünschenswert, wenn die Politik, vor allem der Gesetzgeber, hier Klarheit schaffen würden. Rechtlich ist aus meiner Sicht die Auffassung nicht haltbar und führt zu einer für alle Beteiligten nicht hinnehmbaren Verunsicherung. Gemäß Paragraf 92 SGB V kann der GBA die Verordnung eines Arzneimittels nur einschränken oder ausschließen, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht durch einen Festbetrag nach Paragraf 35 oder durch die Vereinbarung eines Erstattungsbetrags nach Paragraf 130b hergestellt werden kann. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Vereinbarung eines Erstattungsbetrags eben gerade zur Wirtschaftlichkeit der Verordnung führen soll. Für eine differenzierende Auffassung bleibt da gar kein Raum.

Ärzte Zeitung: Der Schwebezustand bedeutet für den betroffenen Arzt, dass der Regress zunächst exekutiert wird...

Ehlers: Das ist richtig.

Ärzte Zeitung: Wann rechnen Sie denn mit einem Urteil des Bundessozialgerichts?

Ehlers: Das ist im Moment noch nicht absehbar. Das wird noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.

Ärzte Zeitung: Nun soll den Ärzten ein Arztinformationssystem an die Hand gegeben werden. Wie verbindlich ist denn eine solche Information, die ja auf einer Richtlinie des Bundesausschusses beruht?

Rybak: Grundsätzlich handelt es sich – wie der Name schon sagt – um ein Informationssystem, das als solches keine rechtliche Verbindlichkeit im Sinne einer Normsetzung haben kann. Verbindlich ist allein die Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. In diese findet der Nutzenbewertungsbeschluss Eingang, sodass dieser verbindlich wird. Daran ändert auch das Arztinformationssystem nichts.

Allerdings wird es – und das darf nicht verkannt werden – rein faktische Wirkungen haben. Insofern muss eine vollständige, transparente und nicht verkürzende Darstellung der zu übermittelnden Informationen sichergestellt werden.

Ärzte Zeitung: Welche Anforderungen müssen denn an das Informationssystem gestellt werden, beispielsweise zur Aktualität des medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisstandes?

Ehlers: Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Denn der Arzt muss den Patienten "State of the Art" behandeln. Auch wenn der Arzt an die Arzneimittelrichtlinien gehalten ist, können sich Ausnahmesituationen ergeben aufgrund von neuen Erkenntnissen, die eine mechanistische Anwendung der Arzneimittelrichtlinien zu einer Fehlbehandlung machen könnten. Deshalb muss dem Arzt aufgrund seiner Verantwortung auch die Therapiefreiheit verbleiben.

Das heißt aber auch: Je verbindlicher solche Arztinformationen sind, desto höher müssen die Anforderungen etwa auch an ihre Aktualität sein. Das wird bei dem Tempo der Entwicklung in der Medizin schwierig sein.

Ärzte Zeitung: Was ist, wenn Inhalte der Arztinformation aktuellen Leitlinien widersprechen?

Dr. Christian Rybak

Keine Eingriffe in die Therapiefreiheit

© privat

Position: Partner der Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner

Ausbildung:Rybak, Jahrgang 1977, studierte Rechtswissenschaften in Bayreuth von 1997 bis 2002; Promotion und Zulassung als Rechtsanwalt

Karriere:Stationen bei der Universität Bayreuth, beim Oberlandesgericht München, Bundespatentgericht, bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften; Tätigkeiten in Detroit und San Francisco; Lehrbeauftragter der Uni Witten/Herdecke und Dozent der School of Tax and Business Law der Uni Münster

Rybak: Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht eher eine theoretische Frage ist. Denn wir reden ja einerseits über den individuellen medizinischen Behandlungsvorgang, auf der anderen Seite über die Wirtschaftlichkeit. Die GBA-Beschlüsse zur Nutzenbewertung können wichtige Zusatzinformationen zu einzelnen Arzneimitteln liefern, aber keine Therapieempfehlungen für Ärzte in konkreten Behandlungssituationen darstellen (wie die S3-Leitlinien der medizinischwissenschaftlichen Fachgesellschaften) oder gar die individuelle Patientensituation abbilden. Bei seinen Behandlungsentscheidungen muss sich der Arzt an medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien ausrichten. Die GBA-Entscheidungen betreffen die Wirtschaftlichkeit, die mit den Leitlinien zunächst überhaupt nichts zu tun haben. Insofern müssen sie im Informationssystem in den Kontext der aktuellen Leitlinien eingepasst werden, um für den Arzt wertvoll zu sein. Deshalb ist hier die Expertise vor allem auch der Fachgesellschaften gefragt.

Ärzte Zeitung: Was wäre vom Arzt an Dokumentation zu fordern – auch mit Blick auf mögliche Regresse?

Ehlers: Die Dokumentation ist natürlich ein leidiges Thema für die Ärzte. Aber die Dokumentation ist eine Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag, sodass ein Dritter auch nach Jahren noch nachvollziehen kann, was ein Arzt aus welchen Gründen entschieden hat. Aber letztlich dient es auch zu seinem eigenen Schutz.

Ärzte Zeitung: Das Arztinformationssystem soll ja auch Hinweis zur Wirtschaftlichkeit enthalten. Ist das ein neues Risiko?

Ehlers: Generell ist der Arzt verpflichtet, "State of the Art" zu behandeln. Und die Verpflichtung auf die Wirtschaftlichkeit ist nicht neu. Natürlich soll die Therapiefreiheit dadurch nicht eingeschränkt werden.

Ärzte Zeitung: Muss der Arzt zur Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots den konkreten Erstattungsbetrag kennen, denn der soll ja demnächst vertraulich sein?

Rybak: Wenn man die Vertraulichkeit wirklich will, dann darf der Arzt den Erstattungsbetrag nicht kennen. Das Problem entsteht aber spätestens dann, wenn für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit Verordnungsmengen des Arztes in Euro und Cent maßgeblich sind. Dafür braucht man eine konkrete Berechnungsgrundlage, was wiederum die Kenntnis des Verordnungsvolumens und des Erstattungsbetrages voraussetzt.

Insofern bedarf es auch hier der Harmonisierung. Diese Überlegungen spielen aber keine Rolle mehr, wenn wirklich mit dem Grundsatz ernst gemacht würde, dass die Wirtschaftlichkeit mit der Vereinbarung eines Erstattungsbetrags erreicht wird. Dann muss der Arzt nur wissen, dass ein Erstattungsbetrag überhaupt vereinbart worden ist. Nicht mehr und nicht weniger.

Ehlers: Andererseits: Wenn man die Vielzahl der Institutionen sieht, die Kenntnis vom Erstattungsbetrag haben sollen, dann frage ich mich, ob das noch eine echte Vertraulichkeit ist?

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