Psychotherapeuten

Zu wenig Einsatz für Kassenpatienten?

Sind Psychotherapeuten Abzocker, die Patienten absichtlich warten lassen? Medienberichte legen dies nahe. Die Therapeuten wehren sich. Und auch die Fakten sprechen für sie.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Psychotherapeutin im Gespräch mit einer Patientin.

Psychotherapeutin im Gespräch mit einer Patientin.

© AlexRaths / iStock

BERLIN. Die Psychotherapeuten wehren sich gegen Medienberichte, in denen ihnen unterstellt wird, sie nähmen ihren Versorgungsauftrag nur unzureichend wahr, um mehr Zeit für über Kostenerstattung abzurechnende Patienten zu haben.

Der Vorwurf fällt in eine Zeit, in der seelische Leiden immer weiter um sich greifen, gleichzeitig aber zunehmend über lange Wartezeiten und Fehlallokation von Psychotherapeutensitzen berichtet wird.

"Der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geäußerte Verdacht ist unzutreffend", sagte die Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), Dipl.-Psych. Barbara Lubisch am Montag der "Ärzte Zeitung". Psychotherapeuten dürften gar nicht gleichzeitig die einen Patienten per Sachleistung und andere per Kostenerstattung abrechnen. Das hat auch der GKV-Spitzenverband bestätigt.

Ausgangspunkt ist eine noch unveröffentlichte Tabelle der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die der "Ärzte Zeitung" vorliegt.

Die lässt sich so lesen, dass von den 18.702 ärztlichen und psychologischen sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit Kassenzulassung lediglich 957 ihren Versorgungsauftrag zu 80 Prozent und mehr erfüllten, rund zwei Drittel der Therapeuten jedoch nur zu 50 Prozent oder weniger.

"Wenn die Hälfte aller Psychotherapeuten weniger als 24 Stunden für die gesetzliche Krankenversicherung tätig sind, aber zugleich einen vollen Sitz innehaben, sind lange Wartezeiten programmiert", kommentierte die stellvertretende Sprtecherin des GKV-Spitzenverbands, Ann Marini, die Veröffentlichung.

Nicht differenziert wird in dieser Tabelle allerdings zwischen Psychotherapeuten mit vollem und solchen mit halbem Versorgungsauftrag sowie Ärzten, die zwar an der psychotherapeutischen Versorgung teilnehmen, dies aber nur sporadisch tun.

Der Anteil halber Therapeutensitze spiele bei der Berechnung des Auslastungsgrades keine Rolle, sagte ein KBV-Sprecher der "Ärzte Zeitung". Ausweislich des Bundesarztregisters beträgt er je nach Therapeutengruppe zwischen 19 und 25 Prozent.

Bezogen werden die Daten zur Auslastung zudem auf eine wöchentliche Auslastung von 36 Stunden. Diese Zahl hält Lubisch für irreführend. Die 36 Stunden gälten laut Urteil des Bundessozialgerichts als Belastungsgrenze einer optimal ausgelasteten Praxis (Az.: B 6 KA 14/98 R).

Um voll zur psychotherapeutischen Versorgung zugelassen zu werden, genügten allerdings 20 Wochenstunden als Vertragspsychotherapeut. Durchschnittlich betrage die wöchentliche Zahl von Sitzungen aller Psychotherapeuten 28 Sitzungen. Einschließlich Vorbereitung und Dokumentation kämen sie auf 42 Stunden zu Lasten der GKV.

In diesen Wert seien auch die halben Sitze mit eingerechnet, sagte Lubisch. Die Arbeit mit Privatpatienten komme noch obendrauf. Sie mache durchschnittlich etwa zehn Prozent aus. Dieser Wert könne regional unterschiedlich ausfallen.

Dass den Psychotherapeuten Abzocke unterstellt werde, indem sie durch schmale Öffnungszeiten Druck auf die Patienten ausübten, finanziell in Vorleistung zu treten, bringt Lubisch auf. "Psychotherapeuten, die über den Weg der Kostenerstattung arbeiten, tun dies, weil sie keine Kassenzulassung haben", sagt sie.

Der Grund für die Zunahme der Anträge auf Kostenerstattung liege darin, dass die Vertragspsychotherapeuten an der Auslastungsgrenze arbeiteten. Es gebe zu wenige Psychotherapeuten.

Auf den Mangel hat der Gemeinsame Bundesausschuss mit der Novelle der Bedarfsplanungsrichtlinie reagiert. Rund 1300 Sitze zusätzlich sollte es geben. Die Anstrengungen, diese Sitze auszuschreiben, fallen regional unterschiedlich aus.

Inzwischen sind auch die Psychiatrischen Institutsambulanzen Teil der ambulanten Versorgungsplanung. Allerdings plant der GBA, an dieser Stelle das Paket noch einmal aufzuschnüren.

Die KBV will reagieren. "Wir werden analysieren, worin die Ursachen für eventuell nicht ausgeschöpfte Zeitvolumina liegen und um welches Volumen es sich hierbei handelt", sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen am Montag der "Ärzte Zeitung".

In der Koalition gibt es Stimmen, die Debatte in die Arbeiten zum bevorstehenden Versorgungsstrukturgesetz einzuspeisen. So soll die für alle Patienten geplante Garantie auf einen Facharzttermin binnen vier Wochen auch für Patienten, die eine Psychotherapie brauchen, gelten, hat der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Professor Karl Lauterbach, vorgeschlagen.

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Kommentare
Anne C. Leber 11.08.201410:11 Uhr

Leserzuschrift von Dr. Karl-Rüdiger Hagelberg

Als ehemaliger Kassenarzt und Facharzt für Psychosomatische Medizin begrüße ich die Auseinandersetzung über die Sicherstellung der Versorgung von psychotherapeutischen Patientinnen und Patienten. Den Psychotherapeuten wird ja schon lange nachgesagt, dass sie zu wenig arbeiteten – und dies vor allem, wenn es um die Honorare geht. Meine Erfahrungen aus der Vorstandsarbeit im bvvp-Hamburg besagen, dass mancher dieser Vorwürfe im Einzelfall stimmen mag, dass hinter ihnen aber meistens Unwissenheit (und Desinteresse) darüber steckt, wie und unter welchen Bedingungen psychotherapeutische Praxen betrieben werden. So ist der Vorwurf in der Tat unsinnig, dass kassenärztliche Psychotherapeuten Behandlungskapazität frei hielten, um weitere Patienten im Erstattungsverfahren behandeln zu können. Diese „Mischform“ gibt es nicht, und kein(e) Kassenpsychotherapeut(in) würde in ihr einen Vorteil sehen. Trotzdem wird dieser Unsinn propagiert. Ein weiteres Beispiel dazu, wie wenig Somatische und Psychosomatische oder Psychotherapie - Praxen über einen Kamm geschoren werden können:
Die Arztgruppe der Psychotherapeuten, Ärzte und Psychologen, ist lebensaltersmäßig die älteste unter den Arztgruppen. Das hat nachvollziehbare Gründe, die hier nicht aufgezählt werden sollen. Es bedeutet aber, dass immer ca. 20-25 Prozent - eine aus den Hamburger Arztzahlen der letzten Jahre abgeleitete geschätzte Zahl - der Psychotherapeuten/innen das Ende ihrer Praxistätigkeit im Auge haben und organisieren müssen. Psychotherapeuten können ihre Praxis aber nicht wie in der Somatischen Medizin mit einem vollen „Patientenstamm“ übergeben, also gewissermaßen zu jeder Zeit, sondern sie sind „lege artis“ gehalten, die Behandlung ihrer Patienten selbst zu Ende zu führen. Was bedeutet, dass die Patientenzahl einer solchen Praxis innerhalb der letzten etwa zwei bis drei Jahre Praxistätigkeit sinkt und schließlich auf Null fällt. Eine solche Praxis kann an der Sicherstellung nur noch anteilig mitwirken. Bei diesem feststehenden Tatbestand gibt es Aushilfen: Die wichtigste ist die Möglichkeit, den halben Kassensitz vorab abzugeben. Das halbiert das Problem, schafft es aber nicht aus der Welt. Organisatorische Abhilfen wie Anstellungen von psychotherapeutischen Kollegen/innen oder Job-Sharing-Modelle am fast erreichten Ende der Praxistätigkeit sind viel zu aufwändig und risikoreich und werden wahrscheinlich kaum realisiert. Der praktikabelste Ausweg aus dem Dilemma ist die Praxisabgabe bei nur noch geringer Patientenzahl und Beendigung der jeweiligen Therapien im Erstattungsverfahren (sog. „Ausleisten“, das mit den Kassen frühzeitig vereinbart werden muss. Das wäre dann aber keine „Mischform“. Diese nicht mehr kassenärztliche Praxis arbeitet nur noch zum Abschluss der letzten Therapien im Erstattungsverfahren). Auch da kommt man nicht darum herum: die Behandlungskapazität der eigenen (hälftigen) Praxis muss rechtzeitig zum Ende reduziert werden.
Auf diese Weise entsteht zwangsläufig eine Lücke bei der Sicherstellung der Versorgung psychotherapeutischer Patienten. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass die Behandlungszahlen der betreffenden Patienten beständig zu niedrig erscheinen. Abhilfe kann also nicht sein, von derartigen Praxen mehr Behandlungskapazität einzufordern, um den wachsenden Bedarf zu decken. Abhilfe wäre die Einrichtung neuer Praxen, wie dies ja von den psychotherapeutischen Berufsverbänden aus mehreren Gründen so nachdrücklich gefordert wird.

Dr. med. Karl-Rüdiger Hagelberg,
Hamburg

Dr. Frank Roland Deister 02.08.201416:49 Uhr

Arbeiten die Psychotherapeuten wirklich zu wenig?

In letzter Zeit häufen sich Pressemeldungen, dass die Psychotherapeuten viel zu wenig im Rahmen ihrer Zulassung als Vertragsbehandler arbeiten, was sowohl zu langen Wartezeiten als auch zu einer Ausweitung des sog. Kostenerstattungsverfahrens führe, das zur Sicherstellung der Versorgung ersatzweise angewendet werden kann. Die Psychotherapeuten würden ihre verpflichtende Stundenzahl von 36 Patientenstunden als Vertragsbehandler pro Woche nicht einhalten, sondern stattdessen lieber in Kostenerstattung abrechnen oder Privatpatienten nehmen, weil sie da mit dem 2,3-3,5 fachen Satz der GOÄ/GOP – der privaten Gebührenordnung – viel mehr verdienen könnten.
Dazu möchten wir folgendes klarstellen.
1. Die Psychotherapeuten arbeiten im Durchschnitt nicht wenig, und es gibt keine Verpflichtung 36 GKV-Patientenstunden abzuleisten. Die Setzung von 36 Wochenstunden am Patienten ist eine normative Festlegung des Bundessozialgerichts (BSG) als „maximale“ Auslastung. Mit dieser Auslastung soll ein Psychotherapeut mindestens das durchschnittliche Einkommen einer fachärztlichen Vergleichsgruppe erreichen können. Dies ist aber derzeit nicht möglich, weil der Bewertungsausschuss seiner Pflicht der Überprüfung der angemessenen Vergütung für Psychotherapeuten nicht nachkommt.
2. Eine Auslastung von mindestens 36 Patientenstunden pro Woche ist in der Regel und auf lange Sicht nicht zu leisten, zumal dazu noch mindestens 1/3 an Arbeitszeit für Tätigkeiten im Rahmen der Behandlung ohne Patientenkontakt, Büroorganisation, Ausfallstunden, Supervision und sonstige Fortbildung dazu zu rechnen ist. So kommen Psychotherapeuten mit voller, aber nicht maximaler Auslastung auf 25-32 Patientenstunden und damit normalerweise auf insgesamt ca. 37-48 Stunden Wochenarbeitszeit – mehr ist dauerhaft nicht zu leisten. Sogar die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt laut ZI-Befragung der KBV 42 Wochenstunden.
3. Wer eine Kassenzulassung hat, darf und kann gar nicht zusätzlich und daneben in Kostenerstattung arbeiten. Natürlich darf er zusätzlich Privatversicherte nach GOP/GOÄ behandeln. Aber nur ca. 10% der Patienten bei Psychotherapeuten sind privat versichert, und der übliche 2,3 fache Satz liegt auch nur 12-15 % über dem GKV-Honorar – anders als bei anderen Ärzten. Damit ist klar, dass eine Unterstellung absurd ist, die zugelassenen Psychotherapeuten würden aus finanziellen Interessen nur wenige Kassenpatienten behandeln.
4. Die Behandlungsleistungen der Psychotherapeuten sind zeitgebunden, können also nicht durch Routine oder technischen Fortschritt schneller geleistet werden. Sie sind außerdem nicht delegierbar, d.h. jeder Psychotherapeut erbringt die Leistung von Anfang bis zum Ende selber. Dies spiegelt sich dann selbstverständlich auch in der Gesamtstundenzahl einer Praxis.
5. Natürlich ist es richtig, dass es nach wie vor – regional unterschiedlich – längere Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz gibt. Das liegt aber am Festhalten an einer völlig absurden Bedarfsplanung, die im Jahre 1999 einen Istzustand zum Soll erklärt hat, und dies wurde bisher – v.a. aus Kostengründen – nie an die Realität des Versorgungsbedarfs angepasst.
6. Im Übrigen sollte doch auffallen, dass sich die Psychotherapeuten zwar hinsichtlich ihres Einkommens ganz am unteren Ende aller Arztgruppen befinden, aber dennoch nicht einfach mehr arbeiten, um mehr zu verdienen. Die durchschnittliche Zahl an Behandlungsstunden ist seit Jahren konstant. Wie kommt das? Das liegt daran, dass mehr als 25 bis 32 Patientenstunden auf Dauer nicht verkraftbar sind. Wer Burnout behandeln will, darf selber keinen haben!

Dr. F. R. Deister, bvvp

Dipl.-Med Wolfgang Meyer 30.07.201407:57 Uhr

Ablenkungsmanöver der Verantwortlichen

Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Was mich nicht wundert, dass sich bestimmte Kreise jetzt gerade die Psychotherapeuten herausgreifen, um über gravierende Mängel in der Gesundheitsversorgung hinwegzutäuschen. Manche Medien machen da mit! Und Wortführer aus dem politischen Lager sowie seitens der Krankenkassenbürokratie gab es ohnehin schon immer! Die Psychotherapeuten helfen Menschen, stabiler und wehrhafter, wieder selbstbewußter zu werden, sich besser abzugrenzen, sich nicht alles gefallen zu lassen. Und dies ohne die Segnungen der pharmazeutischen Industrie, sprich ohne Psychopharmaka! Dies richtet sich natürlich gegen berechtigte Interessen bestimmter Kreise, selbst aus dem eigenen Lager! Dies tut unsere Fachgruppe
mit einer denkbar sparsamen Vergütung! Ich will sagen, wie wenig intelligent muß jemand sein, hier "Abzocke" zu unterstellen! Vielleicht haben die Wartezeiten auch damit zu tun, dass wir Psychotherapeuten auf
wirkliche Qualität bei unserer Arbeit achten und damit beherzigen, was wir auch unseren Patienten beibringen wollen! Und dazu gehört, sich nicht dem Zeitgeist zu beugen und sich gegen Zeitdruck und Überforderung
zur Wehr zu setzen! Dies sei einmal sehr deutlich allen Kontrollierern, Bürokraten und Besserwissern sowie Analysierern gesagt, die unwissend daherschwafeln und vom Leben so gut wie keine Ahnung haben oder davon nichts wissen wollen! Mensch, bin ich zornig!!!

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