Versorgungsgesetz
Scharfe Instrumente für die Selbstverwaltung
Härtere Vorgaben für die Selbstverwaltung kennzeichnen Gröhes Gesundheitsreform. KVen und Kassen jubeln nicht, aber für Ärzte und Patienten gibt es etliche positive Aspekte.
Von Helmut Laschet
BERLIN. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zeigt Kante. Der bislang stets freundliche Minister hat nun ein Gesetz entwickelt, das mit der Libertinage des Versorgungsstruktur-Gesetzes seiner Vorgänger Schluss macht. Es ist ein Warnschuss an die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen.
Das erklärt die erste, ziemlich harsch ausgefallene Reaktion der KBV auf den Referentenentwurf für das "Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG)", wie der offizielle Titel lautet.
Weitgehend untauglich und kontraproduktiv, so lautete das Verdikt der Spitzenorganisation der Vertragsärzte. Sie beißt sich fest an Einzelregelungen wie der Pflicht, Terminservice-Stellen zu schaffen, oder der von einer Kann- zur Soll-Regelung umformulierten Vorgabe, in überversorgten Gebieten Praxissitze aufzukaufen.
Eine Horrorzahl von 25.000 vom Netz zu nehmenden Praxen wird hier - verantwortungslos! - in die Welt gesetzt. Tatsächlich ist der Aufkauf eines Praxissitzes nur bei freiwilliger oder altersbedingter Aufgabe einer Praxis möglich.
Die Übernahme durch Familienangehörige oder Lebenspartner bleibt unberührt. Und weiterhin können Ärzte bei sorgfältiger längerfristiger Planung durch mindestens drei Jahre laufende Job-Sharing-Verträge dafür sorgen, dass die Praxis auch in überversorgten Regionen erhalten bleibt und an einen Nachfolger übergeben werden kann.
Nein, so einfach ist dieses Gesetz nicht gestrickt. Und es ist weitaus ärztefreundlicher, als im Moment das Getöse von Verbandsfunktionären erkennen lässt. Es hilft nämlich denjenigen Ärzten, die ihren Versorgungsauftrag ernst nehmen, und nimmt die Selbstverwaltung deutlich stärker in die Pflicht, die dafür notwendigen Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Investition in Allgemeinmedizin
Ein Beispiel dafür sind die geplanten gesetzlichen Vorgaben für die Förderung der Allgemeinmedizin und insbesondere der allgemeinmedizinischen Weiterbildung. Den Alarm, den zuletzt der Sachverständigenrat mit seinem im Frühsommer erschienenen Gutachten ausgelöst hat, hat das Ministerium offenbar verstanden.
Seit Jahren stagniert die Zahl der Anerkennungen im Fach Allgemeinmedizin bei unter 1000. Notwendig wären laut Sachverständigenrat etwa 3000 junge Allgemeinärzte, wenn steigende Morbidität und sich ändernde Arbeitsproduktivität als Folge des inzwischen über 60 Prozent betragenden Frauenanteils berücksichtigt würden.
Nun soll der Gesetzgeber die Reißleine ziehen: Nicht mehr nur 3842 Ärzte in Weiterbildung (gleich 2156 Vollzeitäquivalente; siehe Evaluationsbericht für 2012) sollen gefördert werden, sondern mindestens 7500. Das ist das Drei- bis Vierfache.
Auch für den Nachwuchs soll die allgemeinmedizinische Weiterbildung finanziell attraktiver werden: Per Gesetz bekommen sie das in Kliniken übliche Tarifgehaltsniveau garantiert. Zahlen müssen Kassen, PKV und KVen.
Und sichergestellt wird, dass die Förderung bei der in der Allgemeinmedizin üblichen Rotation durchgängig und über KV-Grenzen hinweg funktioniert. In unterversorgten Gebieten sollen die Förderbeträge überdies erhöht werden - und das ermöglicht zusätzliche finanzielle Anreize für junge Ärzte, aufs Land zu gehen.
Auch in der Honorarpolitik macht der Gesetzgeber dem KV- und Kassensystem Dampf. Dort, wo KVen eine unterdurchschnittliche morbiditätsbedingte Gesamtvergütung erhalten, muss einmalig im Herbst 2015 eine Korrektur vereinbart werden.
Schluss gemacht wird auch mit dem beliebten Ping-Pong-Spiel im Bewertungsausschuss bei der Einführung neuer Leistungen. Was der Bundesausschuss als medizinisch zweckmäßig und wirtschaftlich anerkannt hat, muss sechs Monate später im EBM stehen und abgerechnet werden können.
Dies gilt auch für neue Leistungen wie das Recht von Patienten auf eine Zweitmeinung. Versäumen die Vertragspartner die gesetzliche Frist, so kann der Arzt per GOÄ abrechnen, und der Versicherte erhält Anspruch auf Kostenerstattung.
In einem Punkt werden sich allerdings auch Ärzte selbst vorsehen müssen: Wer Vertragsarzt ist, hat einen Vollversorgungsauftrag und darf es sich nicht in einer Nische bequem machen.
Ob ein Arzt diesen Auftrag tatsächlich wahrnimmt, muss die KV künftig anhand der Leistungsdaten überprüfen - und gegebenenfalls Sanktionen aussprechen. Schlussendlich ist dies aber im Interesse von Versorgerpraxen sinnvoll.
Und was ist mit Sanktionen?
Insgesamt setzt das VSG freilich auf die Partner der Kollektivverträge und schärft die Instrumente, damit KVen und Kassen ihre Pflichten erfüllen. Mehr Pflicht, weniger Freiheit - das ist die Devise.
Offen bleibt, wie Gesetzesverstöße oder Missachtung sanktioniert werden sollen. Verschleppungstaktiken waren in der Vergangenheit keine Seltenheit.
Etwas erleichtert werden sollen besondere Versorgungsformen: die hausarztzentrierte Versorgung nach Paragraf 73 b und die integrierte Versorgung nach Paragraf 140 a, in der nun auch die besondere ambulante Versorgung nach Paragraf 73 c aufgeht.
Die wirtschaftlichen Restriktionen, die noch die Vorgänger-Koalition für Hausarztverträge errichtet hatte, werden nun aufgegeben. Vier Jahre haben Partner innovativer Versorgungsformen Zeit, ihre Wirtschaftlichkeit unter Beweis zu stellen.
Mit einem Volumen von rund fünf Milliarden Euro - bei einem Gesamtbudget der GKV von 200 Milliarden Euro - fristen Selektivverträge immer noch ein Schattendasein und sind keine Alternative zur kollektivvertraglichen Versorgung.
Ob der Innovationsfonds von 300 Millionen Euro eine Initialzündung leisten wird, bleibt im Moment Spekulation.
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