Wesiack im Interview

"Die Bedarfsplanung ist willkürlich"

Ein fast unbegrenztes Leistungsversprechen der Politik steht im krassen Widerspruch zur aktuellen Versorgungssituation. Internisten-Chef Dr. Wolfgang Wesiack fordert daher ein echtes Landarzt-Stärkungsgesetz unter Einbeziehung von Kliniken und Kommunen.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
BDI-Präsident Dr. Wolfgang Wesiack (li.) im Gespräch mit Wolfgangvan den Bergh von der Ärzte Zeitung.

BDI-Präsident Dr. Wolfgang Wesiack (li.) im Gespräch mit Wolfgangvan den Bergh von der Ärzte Zeitung.

© Sven Bratulic

Ärzte Zeitung: Die Anhörungen zum Versorgungsstärkungs-Gesetz (VSG) sind gelaufen. In den vergangenen Wochen ist der Ton um das Gesetz schärfer geworden - nicht zuletzt ausgelöst durch die Anzeigen-Kampagne der KBV. Trägt der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) die harte Linie der KBV mit?

Dr. Wolfgang Wesiack: Ja! Eine Verschärfung der Bedarfsplanung für Fachärzte und die Vier-Wochen-Frist für Überweisungen zum Facharzt passen einfach nicht zusammen.

Der BDI hat deshalb die von der Konzertierten Aktion der Berufsverbände Mitte des Monats in Berlin einstimmig verabschiedete Resolution initiiert, die klarstellt, dass der KBV-Vorsitzende Dr. Gassen hier nur seine Aufgabe als Vorsitzender erfüllt.

Gilt das auch für den neuen Spitzenverband Fachärzte Deutschlands?

Dr. Wolfgang Wesiack

Aktuelle Position: seit 2004 Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten.

Werdegang/Ausbildung: Studium in München und Hamburg, 1973 Staatsexamen, 1981 Facharzt für Innere Medizin, 1983 Niederlassung in Hamburg.

Karriere: 1995/96 Vorsitzender der KV Hamburg; seit 1994 Mitglied der Delegiertenversammlung der Ärztekammer Hamburg.

Wesiack: Wie man beim neuen VSG sieht, ist es höchste Zeit, dass die Fachärzte einen gemeinsamen Dachverband gründen und gegenüber Politik und Kassen ihre Positionen vertreten. Der BDI hat deshalb zusammen mit dem Berufsverband Deutscher Chirurgen und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten diesen Schritt initiiert.

Wenn selbst eine Unionspolitikerin von einer "standespolitischen Geisterfahrt der KBV" spricht, heißt das, dass wir auf eine gesundheitspolitische Eiszeit zu steuern?

Wesiack: Die Ärzteschaft muss ihre Positionen offensiv vertreten und nicht immer versuchen, dieses Gesundheitssystem gangbar zu erhalten. Ein fast unbegrenztes Leistungsversprechen der Politik bei strikt begrenztem Gesamtbudget ist das Hauptproblem. Die Politik verteilt lieber Wohltaten an Patienten und an Beitragszahler, als sich um eine Strukturierung der Versorgung, die zugegebenermaßen Einschränkungen beinhaltet, zu kümmern.

Vor diesem Hintergrund ist auch die geplante Einrichtung von Terminservicestellen zu sehen. Nennen Sie wichtige Gründe, die die Koalition zum Einlenken bewegen könnte.

Wesiack: Die Koalition wird nicht einlenken, da können die Gründe noch so überzeugend sein.

Das eigentliche Grundübel ist offenbar die Bedarfsplanung. Was ist hier in den letzten Jahren schief gelaufen?

Wesiack: Die sogenannte Bedarfsplanung ist keine Planung nach dem wirklichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung. Sie ist willkürlich und zufällig. Bevor wir zu so einschneidenden Konsequenzen kommen können, brauchen wir erst belastbare Daten.

Insbesondere die geplante Soll-Regelung für Praxisaufkäufe in überversorgten Gebieten wird vom BDI kritisch gesehen: Warum ist diese Regelung aus Ihrer Sicht so problematisch?

Wesiack: Wir brauchen Ärzte aus dem Krankenhaus, die sich niederlassen sollen und Vertragsärzte, die ihrer Praxen weitergeben können. Die geplante Regelung ist viel zu bürokratisch und nicht rechtsicher. Sie wird dazu führen, dass sich noch weniger Ärzte niederlassen werden.

In welche Richtung sollte denn die Bedarfsplanung modifiziert werden?

Wesiack: Da wir keine belastbaren Zahlen zur Versorgung haben, sind alle Modifizierungen genauso willkürlich wie die gesamte Bedarfsplanung. Am besten wäre es, zur alten Kann-Regelung zurückzukehren und die Niederlassung in der Fläche attraktiv zu machen. Also ein "Landarzt-Stärkungsgesetz".

Das ist aber auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wo es keine Schule, keinen Apotheker, keinen Pfarrer und immer weniger Menschen gibt, warum sollte sich dort ein Arzt niederlassen.

Das würde aber nicht zwangsläufig das Problem des Ärztemangels lösen. Gibt es dazu keine positiven Ansätze im VSG?

Wesiack: Nicht wirklich. Die geplante Förderung der hausärztlichen Versorgung ist sicher nicht ausreichend. Auch die fachärztliche Versorgung in der Fläche muss gefördert werden.

Heißt das nicht auch, dass wir parallel über völlig neue Versorgungsstrukturen insbesondere in der Fläche nachdenken müssen - etwa über eine Versorgungs-Zentralisierung in Einrichtungen?

Wesiack: Ja. Das wäre eine wichtige Aufgabe für ein "Landarzt-Stärkungsgesetz". Den Kommunen wird hier eine Schlüsselrolle zufallen. Sie könnten attraktive Rahmenbedingungen schaffen, sollten aber selber keine Versorgungseinrichtungen oder MVZs betreiben.

…auch unter stärkerer Einbeziehung der Kliniken?

Wesiack: Warum nicht? Es gibt aber in Deutschland auch keine echte Bedarfsplanung für Krankenhäuser. Die Zahl der Krankenhäuser hat sich genauso wie die niedergelassenen Praxen historisch, willkürlich und zufällig entwickelt.

Beispiel ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV): Gut ein Jahr nach den ersten Beschlüssen zu den gastroenterologischen Tumoren der schweren Verlaufsformen sind lediglich ein paar ASV-Teams gegründet worden. Ein Erfolgsmodell sieht anders aus. Was sind die Gründe dafür?

Wesiack: Besitzstandsdenken und mangelnde Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Die Kassen sind nicht bereit, für die ASV und für eine bessere Versorgung zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen. Zudem wird die EBM-Systematik den kooperativen Strukturen bei der ASV nicht gerecht. Die Bänke im Gemeinsamen Bundesausschuss bremsen (GBA) die ASV aus.

Auch Ärzteverbünde sollen stärker gefördert werden. Dazu böte der BDI mit seinen Spezialdisziplinen eine ideale Plattform. Gibt es dazu beim BDI konkrete Überlegungen?

Wesiack: Wir haben die ASV noch nicht aufgeben und tun viel, um sie noch gangbar zu machen. Wir glauben an die ASV und wollen sie. Zur Zeit arbeiten wir an einem neuen Honorierungssystem für die ASV und sprechen intensiv mit dem GBA, den Kassen und der DKG.

Apropos Kooperationen: Könnten diese durch das geplante Anti-Korruptionsgesetz erschwert werden?

Wesiack: Um es klar zu sagen. Wir sind gegen Korruption. Im geplanten Gesetz werden Kooperationen unter den Generalverdacht der Korruption gestellt. Wir haben deshalb in der Allianz Deutscher Ärzteverbände ein Gutachten in Auftrag gegeben, um wenigstens Rechtssicherheit in dem Gesetz zu erreichen.

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Kommentare
Dr. Wolfgang Bensch 27.03.201519:13 Uhr

Wir glauben an die ASV ...

na ja dann ... kann ja wohl nichts mehr schiefgehen, wenn einer der grössten Verbände sich im "Glauben" bewährt.
Ist das wirklich eine ernsthafte Diskussion hierzulande?

Dr. Thomas Georg Schätzler 27.03.201515:04 Uhr

Der BDI leistet sich illusionäre Verkennung,

wenn Internisten-Chef und Kollege, Dr. med. Wolfgang Wesiack, "ein echtes Landarzt-Stärkungsgesetz" fordert. Dann ist ihm offensichtlich entgangen, dass es weit überwiegend Fachärzte/-innen für Allgemeinmedizin, Praktische Ärzte und hausärztliche Internisten sind, die auf dem Land, in den unattraktiven Randgebieten, sozialen Brennpunkten und in den städtischen Ghettos der Ballungszentren die vertragsärztliche Versorgung sicherstellen.

Wenn es dabei "höchste Zeit (ist), dass die Fachärzte einen gemeinsamen Dachverband gründen und gegenüber Politik und Kassen ihre Positionen vertreten. Der BDI hat deshalb zusammen mit dem Berufsverband Deutscher Chirurgen und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten diesen Schritt initiiert", ist das eine klassische ''contradictio in adjecto''! Rufen da nicht gerade diejenigen, die die Fläche gar nicht versorgen wollen und können, vor Angst laut im finsteren Wald, weil die meisten Fach- und Spezialärzte schon immer in die Metropolen strebten?

Unterschreiben kann ich die Feststellung: "Die sogenannte Bedarfsplanung ist keine Planung nach dem wirklichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung. Sie ist willkürlich und zufällig. Bevor wir zu so einschneidenden Konsequenzen kommen können, brauchen wir erst belastbare Daten." Aber das gilt ganz besonders für den BDI, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Bundesärztekammer (BÄK), die gerade k e i n e Versorgungsforschung betreiben. Selbst das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) hat mit dem Titel "Die medizinische Versorgung - regional betrachtet" und seinem Intro: "Der Versorgungsatlas bietet eine öffentlich zugängliche Informationsquelle zu einer stetig wachsenden Anzahl ausgewählter Themen aus der medizinischen Versorgung in Deutschland. Schwerpunkt des Versorgungsatlas sind regionale Unterschiede in der medizinischen Versorgung und deren Ursachen" jüngst darüber hinwegtäuschen wollen, dass dieser Anspruch gar nicht eingelöst werden kann.

Jetzt rächt sich das weitgehende Fehlen von Versorgungsforschung in Deutschland. Denn nur diese könnte erhellen, wie Quantität, Logistik, Prozess- und Ergebnisqualität in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung unserer GKV-versicherten Patientinnen und Patienten beschaffen sind. Stattdessen tappen die regionalen, für Vertragsarzt-Zulassungen und den Sicherstellungsauftrag zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit der KBV und dem ZI im Dunkeln. Sie können nicht einmal das Ausmaß von hobbymäßigen, nebenberuflichen, durchschnittlich arbeitenden bzw. überdurchschnittlich tätigen Praxen beziffern.

Man kann kaum erahnen, wo medizinische Versorgungsmängel oder -überfluss, wo Pflegenotstand oder Ärztemangel sozial, inhaltlich und regional begründet bestehen. Prioritäre Gesundheits-, Versorgungs- und Pflegeziele werden damit weder formulier- noch umsetzbar.

So können bei niedriger GKV-Fallzahl und hohem Privatpatientenanteil der zeitliche Aufwand und die medizinische Qualität für jeden einzelnen Kassenpatienten theoretisch hoch sein oder an Vernachlässigung grenzen. Genauso könnten extrem viele GKV-Behandlungsfälle pro einzelnen Vertragsarzt ein Indiz für zu schnelle Abfertigung, problematische Routinen oder Ringüberweisungen sein. Oder große Behandlungszahlen entstehen in sozialen Brennpunkten, weniger attraktiven dichtbesiedelten Ballungszentren bzw. im ländlichen Raum, weil sich keine weiteren Vertrags-Fachärzte niederlassen wollen oder können (BASEL-II-Kriterien der Banken).

Ein derart improvisiertes, empirisch ungeprüftes und labiles System ist für eine gesicherte ambulante ärztliche Versorgung von 69,9 Millionen GKV-Versicherten, das sind 85,4 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland, unprofessionell, indiskutabel und inadäquat. Eine staatlich reglementierte Bedarfsplanung wird kommen, da kann der BDI als reine Klientelpolitik noch so viele neue Fachärztevereinigungen aus dem Hut zaubern.

Mf+kG, Dr.

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