Hintergrund

Odyssee bei der Suche nach einer Psychotherapie

Psychisch Kranke warten lange auf einen Therapieplatz. Mehr als zwei Monate dauert es, bis Betroffene ein Erstgespräch beim Psychotherapeuten erhalten. Viel zu lange, warnen Psychotherapeuten. Versorgungsunterschiede gibt es zudem bei der sozialen Herkunft.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Für den Fünften ist kein Stuhl frei: Lange Wartezeiten auf einen Platz beim Psychotherapeuten rufen Kritiker auf den Plan.

Für den Fünften ist kein Stuhl frei: Lange Wartezeiten auf einen Platz beim Psychotherapeuten rufen Kritiker auf den Plan.

© Franck Boston / shutterstock

Die Arbeitswelt verändert sich - und das fordert immer häufiger einen hohen Tribut. Psychische Erkrankungen nehmen zu, das belegen Statistiken der Krankenkassen.

Erst kürzlich meldete die Techniker Krankenkasse eine erneute Zunahme von Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen. Innerhalb eines Jahres stiegen die Fehlzeiten um rund 14 Prozent an (wir berichteten). Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen dauert überdurchschnittlich lange und verursacht hohe Kosten.

Die Suche nach einem geeigneten Therapieplatz kann für die Betroffenen jedoch häufig zu einer Odyssee werden. Meist sind viele Anrufe notwendig, bis ein freier Therapieplatz gefunden ist.

Das könne zu einer zusätzlichen Belastung der psychisch kranken Menschen führen, so Experten. "In der Realität entspricht die Versorgung noch längst nicht dem Stand, der notwendig wäre", sagt der Vorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV), Dieter Best, der "Ärzte Zeitung".

Das belegt auch eine Studie des Lehrstuhls für Medizinmanagement der Universität Duisburg in Zusammenarbeit mit der DPtV. Demnach warten psychisch kranke Menschen durchschnittlich länger als zwei Monate auf ein Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten.

Nur knapp drei Prozent der 2500 befragten Psychotherapeuten können sofort einen Therapieplatz anbieten. Etwa 52 Prozent aller Psychotherapeuten führen eine Warteliste.

"Bei aller Vorsicht deuten die Ergebnisse auf eine Unterversorgung mit ambulanter Psychotherapie hin," sagt Studienleiter Professor Jürgen Wasem.

Dabei sei die Versorgungssituation in ländlichen Regionen noch "unzureichender" als in Großstädten, kritisierte Wasem. Dort warteten psychisch kranke Menschen 68,8 Tage auf ein Erstgespräch mit einem Psychotherapeuten - in einer Großstadt betrage die Wartezeit 62,3 Tage. In Kleinstädten müssten psychisch kranke Menschen sogar mehr als 100 Tage auf ein Erstgespräch warten.

Die DPtV sieht die Unter- und Fehlversorgung vor allem in der heutigen Bedarfsplanung begründet. In vielen Planungsbezirken sei statistisch eine Überversorgung mit Psychotherapeuten ausgewiesen. Das entspreche aber nicht der Realität.

"Die Verhältniszahlen sind historisch bedingte Artefakte", so Best. Sie beruhten auf dem 1999 eingeführten Psychotherapeutengesetz. "So gibt es Planungsbezirke auf dem Land, die mit fünf Psychotherapeuten auf 100 000 Einwohner bereits als überversorgt gelten", betont Best.

Die Verhältniszahlen müssten vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen angehoben werden, forderte der DPtV-Vorsitzende.

Der Studie zufolge gibt es darüber hinaus Unterschiede in der Versorgung auch bei Alter und Geschlecht: Demnach erhielten unter anderem ältere Menschen seltener eine Psychotherapie.

Die größte Gruppe der Patienten stellen die 41- bis 50-Jährigen dar. Bei den Männern waren es knapp 29 Prozent, bei den Frauen 27 Prozent. Patienten zwischen 60 und 90 Jahren bilden dagegen eine Minderheit (null bis fünf Prozent).

Zudem suchten Menschen aus sozial schwächeren Schichten seltener einen Psychotherapeuten auf. Die meisten der Patienten haben einen Realschulabschluss (32,1 Prozent). 24,5 Prozent verfügten über Abitur oder Fachhochschulreife und 19,1 Prozent haben ein Studium abgeschlossen.

Dagegen haben 19,8 Prozent der Patienten einen Hauptschul- oder gar keinen Schulabschluss (3,4 Prozent). Kinder- und Jugendlichenpsychiater warnen jedoch, dass ein "nicht unerheblicher Teil" der Schulabbrecher unter psychischen Störungen leide (wir berichteten kurz).

Nach Ansicht von Wasem sind weitere Untersuchungen wichtig, um zu ergründen, warum es diese Versorgungsunterschiede gibt: "Es wäre sinnvoll, die Hemmschwellen dieser Menschen zu untersuchen", so Wasem.

Nach Ansicht der DPtV könnte Fortbildungen für Haus- und Kinderärzte den Zugang für unterdurchschnittlich versorgte Patientengruppen zur Psychotherapie erleichtern. Die meisten Patienten werden von Ärzten an Psychotherapeuten überwiesen (52 Prozent). 23,4 Prozent suchen den Therapeuten aus eigenem Antrieb heraus auf.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Erst einmal auf die Warteliste

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