Hintergrund
Privatisierte Uniklinik: Was wird aus den Mitarbeitern?
Die Angestellten der Uniklinik Gießen-Marburg stehen vor einer ungewissen Zukunft: Weil eine Teilregelung der Privatisierung verfassungswidrig ist, können mehr als 3400 Mitarbeiter in den öffentlichen Dienst zurückkehren. Doch die Bedingungen dafür sind unklar - die Mitarbeiter sind sauer.
Veröffentlicht:Viele Mitarbeiter des Universitätsklinikums Marburg sind verärgert und verunsichert. Ab Januar können mindestens 3400 Mitarbeiter zu ihrem früheren Arbeitgeber - dem Land Hessen - zurückkehren. Was das für sie bedeutet, wissen sie aber nicht.
400 Beschäftigte fordern daher in einer Resolution, dass das Land die Verantwortung für alle von der Privatisierung betroffenen Beschäftigten übernimmt. "Das Land hat die Gesetzgebung verbockt", erklärt Betriebsratsvorsitzende Bettina Böttcher: "Das darf man jetzt nicht die Mitarbeiter ausbaden lassen."
Privatisierung war verfassungswidrig
Hintergrund des Unmuts ist das im Januar dieses Jahres gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Danach war die Überleitung des Personals der Uni-Kliniken Gießen und Marburg bei der Privatisierung verfassungswidrig.
Bis Ende des Jahres muss das Land deshalb ein Gesetz verabschieden, durch das alle Betroffenen ein gesetzliches Rückkehrrecht erhalten.
Mitarbeiter wollen Nachteilsausgleich
Ob eine Rückkehr in den Landesdienst für sie vorteilhaft ist, wissen sie aber nicht. So ist es angesichts von Tariferhöhungen und teilweise unterschiedlichen Arbeitszeiten hoch kompliziert auszurechnen, wie viel Gehalt sie bekommen würden.
Die Mitarbeiter fordern auch einen Nachteilsausgleich für den Fall, dass sie beim Land mehr verdient hätten.
Änderungskündigungen möglich
Verunsichert sind sie, weil das Land nur vereinzelt Arbeitsplätze für sie hat. Betriebsbedingte Kündigungen schloss der zuständige Staatssekretär zwar aus, Änderungskündigungen hält er jedoch für möglich.
Deshalb fordert die Belegschaft Aufklärung. Zurzeit gebe es viele Fragen, aber wenige Antworten für die Mitarbeiter, sagt Böttcher: "Wie sollen sie sich denn entscheiden, wenn sie nicht wirklich vergleichen können?"
Chronik eines Konflikts
Dezember 2005: Volksbegehren gegen geplante Übernahme
Januar 2006: Privatisierung des Uniklinikums Gießen-Marburg. Eine Krankenschwester legt Widerspruch ein
Oktober 2007: Ärzte, Politiker und Gewerkschafter warnen vor schlechterer Versorgung.
Januar 2011: Bundesverfassungsgerichts entscheidet, Land Hessen muss Rückkehr in den öffentlichen Dienst einräumen.
Differenzen bei Entscheidungsfrist
Die Entscheidungsfrist müsse auf mindestens sechs Monate verlängert werden. Das Land will ihnen bislang nur eine Frist von drei Monaten einräumen.
Dieser Aspekt werde jetzt geprüft, sagte Ministeriumssprecher Ulrich Adolphs. Im übrigen verweist er darauf, dass es bereits einen Runden Tisch sowie Betriebsversammlungen zum Thema gebe.
Es gibt noch viel mehr Betroffene
Zusätzlich kompliziert wird der Fall jedoch, weil es nach Einschätzung des Betriebsrats noch wesentlich mehr Betroffene gibt.
Die Beschäftigtenvertreter schätzen ihre Zahl auf 4600 - vor allem Krankenschwestern, Pfleger, Fahrer, technische Mitarbeiter und Verwaltungskräfte -, weil etwa fünf Jahre vor der Privatisierung eine neue Rechtsform für das Klinikum geschaffen wurde: Zu dieser "Anstalt des öffentlichen Rechts" kamen nicht nur neue Mitarbeiter sondern auch diejenigen, die höhergruppiert wurden, Stunden reduziert oder aufgestockt haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat aber nur über die regulären früheren Landesbediensteten entschieden. Zudem möchte die Gewerkschaft Verdi, dass auch die ausgeschiedenen Mitarbeiter berücksichtigt werden.
Rhön AG will nach eigener Aussage seine Beschäftigten behalten
Der private Krankenhausbetreiber Rhön AG will seine Beschäftigten nach Auskunft von Kliniksprecher Frank Steibli behalten. Verdi empfiehlt daher, dass die rückkehrwilligen Mitarbeiter über Gestellungsverträge wieder im Uni-Klinikum arbeiten können.
Im Übrigen versucht sie, einen Tarifvertrag mit Rhön abzuschließen, dass anschließend niemand mehr in den Landesdienst zurückkehren will. Gewerkschaftssekretärin Marita Kruckewitt: "Dann hätten wir das Thema vom Tisch."