Trügerische Gütesiegel suggerieren Sicherheit
Gütesiegel stehen eigentlich für Qualität. Nicht so bei Medizinprodukten, warnt ein Experte. Können strengere Zulassungsregeln wirklich helfen?
Veröffentlicht:GIESSEN. Medizinprodukte müssen viel schärfer als bisher reguliert werden. Das fordert der Onkologe und Pneumologe Professor Friedrich Grimminger. Die Hausärzte sieht er dabei als Verbündete.
Sie seien nämlich für Patienten die erste Anlaufstelle, wenn es Beschwerden etwa mit Implantaten oder Prothesen gibt, sagt Grimminger, der Direktor der Medizinischen Klinik IV und V am Universitätsklinikum Gießen und Ärztlicher Direktor des Wetterauer Klinikverbunds ist.
Oftmals handele es sich nur um kleine Komplikationen, "subtile Befindlichkeitsstörungen". Allgemeinärzte seien näher an den Patienten und die einzigen, die einen verdächtigen Lokalbefund im Verlauf beobachten könnten.
Kliniker hingegen hätten eher die groben funktionellen Störungen der Medizinprodukte im Auge und seien für besorgte Patienten schwerer erreichbar.
Hausärzte seien zudem Ansprechpartner der Patienten, wenn es um die Wahl der Klinik und die Qualität der dort verwendeten Medizinprodukte, beispielsweise Hüftprothesen, gehe.
Anfragen an Klinikärzte bleiben oft unbeantwortet
Wenden sich Hausärzte für Auskünfte an die Kollegen im Krankenhaus, müssten die Kliniker ihnen oft die Antwort schuldig bleiben oder verwiesen auf die trügerischen Gütesiegel der EU, sagt Grimminger.
Nicht erst seit dem Skandal um die Industrie-Silikon-Brustimplantate des Herstellers PIP fordert er einen völligen Umbau der in Deutschland und Europa geltenden Regelungen für Medizinprodukte. Hinter dem Silikonskandal gähne ein Abgrund an öffentlicher Uninformiertheit über die Qualität und den Aussagewert von Gütesiegeln und TÜV-Prüfsiegeln auf Medizinprodukten.
Patienten, aber auch viele Mediziner gingen davon aus, dass Medizinprodukte so streng überwacht würden wie Arzneimittel. Dass dies in Europa mitnichten der Fall sei, sei vielen erst durch den PIP-Skandal klar geworden.
Medizinprodukte würden von den Herstellern quasi selbst zugelassen, indem sie sich per Konformitätserklärung selbst bescheinigten, dass die Beschaffenheit des Produkts und der Herstellungsprozess europäischen Normen entsprächen.
Bei Produkten der höchsten Risikoklasse 3 - etwa Herzkatheter, Stents, Gelenkprothesen oder Brustimplantate - müsse zusätzlich eine "benannte Stelle", etwa der TÜV, die Konformität mit den EU-Richtlinien bestätigen.
Die USA sind ein Vorbild für Medizinprodukteaufsicht
Diese Institutionen seien aber nicht unabhängig, da sie von den Herstellern bezahlt würden, sagt Grimminger. Prüfe eine Stelle kritisch, könne der Hersteller auf eine andere ausweichen.
Das CE-Gütezeichen könne im Grunde jeder anbringen "wie bei einem Feuerzeug im Baumarkt", egal ob es um eine Gehhilfe gehe oder um prothetisches Material für Krebspatienten mit Knochenmetastasen.
Als Vorbild betrachtet er die USA, wo Medizinprodukte der Aufsicht der Federal Drug Administration, also einer staatlichen Institution, unterstellt sind, die "alle Möglichkeiten zur Materialprüfung hat".
Gegner einer durchgreifenden Reform wenden ein, dass kriminelles Handeln auch damit nicht zu verhindern wäre. Natürlich seien die vielen Unternehmen, die in Europa Medizinprodukte herstellen, überwiegend seriös, sagt Grimminger.
Innerhalb des feingliedrigen europäischen Handelsraumes könnten sich aber schwarze Schafe gut verstecken. In den USA sei das Problem der wirksamen Überwachung schon dadurch entschärft, dass die Zahl der Anbieter wegen der strikten Marktzugangsvoraussetzungen mit strengen evidenzbasierten Verfahren überschaubar sei:
Zulassungsverfahren in der EU höchstens für Schuheinlagen geeignet
So gebe es beispielsweise nur zwei Hersteller von Brustimplantaten. Faktisch sei es heute so, dass der US-Markt die Qualitätssicherung für europäische Produkte übernehme, und zwar dann, wenn die Hersteller ihre Produkte auch in Nordamerika verkaufen wollen.
Das in Europa geltende Verfahren, das im Grunde nur eine "pre-market notification" sei, sei höchstens für Schuheinlagen oder Sportlernahrung geeignet, nicht aber für Kunststoffpräparate, die über Jahrzehnte im Körper verblieben.
Die neue Verwaltungsvorschrift zum Medizinproduktegesetz, die die Bundesregierung kürzlich auf den Weg gebracht hat, wird nach Grimmingers Einschätzung keine entscheidende Verbesserung bewirken. Von freiwilligen Registern erwartet er wenig.
Seiner Ansicht nach müssten nicht nur alle eingesetzten Implantate und Endoprothesen registriert, sondern auch alle wegen Komplikationen entnommenen Produkte systematisch überprüft werden. Nur so könnten Materialprobleme zügig erkannt werden.
Die Fachärztegesellschaften sollten hartnäckig bleiben
Der Onkologe hofft, dass die Debatte andauert und am Ende tatsächlich bessere Zulassungsverfahren eingeführt werden.
Immerhin komme jetzt die Seite zu Wort, "die man früher kaum gehört hat", etwa Professor Jürgen Windeler, Direktor des IQWiG, sowie verschiedene Berufsverbände und Fachgesellschaften von Onkologen, Gynäkologen, Kardiologen oder Urologen.
Sie müssten am Ball bleiben und ihre Empfehlungen hartnäckig vortragen, bis auch in Europa von einer echten Qualitätssicherung für Medizinprodukte die Rede sein könne.
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