Schmerzmedizin soll Pflicht für jeden Arzt werden

Bis zu 18 Millionen Menschen leiden in Deutschland an chronischen Schmerzen - doch die meisten Ärzte sind mit der Behandlung überfordert. "Wir sind in der Versorgung gescheitert", gestehen Schmerzmediziner. Jetzt soll an der Ausbildung der Mediziner gebastelt werden.

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Die Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen überfordert die meisten Ärzte in Klinik und Praxis.

Die Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen überfordert die meisten Ärzte in Klinik und Praxis.

© INSADCO / imago

FRANKFURT/MAIN (jvb). Schmerzpatienten in Deutschland werden immer noch nicht ausreichend versorgt: Für die geschätzten 13 bis 18 Millionen Betroffenen gibt es nur 2000 bis 3500 Ärzte, die eine Schmerzsprechstunde anbieten, und 150 regionale Schmerzzentren.

"Wir sind gescheitert, die Versorgung von Schmerzpatienten nachhaltig und flächendeckend sicherzustellen", sagte Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, anlässlich des Deutschen Schmerz- und Palliativtags in Frankfurt.

Schmerzpatienten haben meist einen langen Leidensweg, bis sie in ein Schmerzzentrum kommen. Im Schnitt haben sie vorher elf Ärzte gesehen und der Krankheitsbeginn liegt zehn Jahre zurück.

"Patienten treffen auf verständnislose Ärzte, weil diese nicht auf die Versorgung vorbereitet wurden", erklärte Müller-Schwefe die Versorgungsmissstände.

Schmerzmedizin als eigenes Fachgebiet

Er fordert daher, dass Schmerzmedizin verpflichtend in die Approbationsordnung aufgenommen wird - wie es im Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums steht. Für eine bessere Versorgung müsse die Schmerzmedizin ein eigenes Fachgebiet werden.

Ebenso müssten die Leistungsverzeichnisse der Kassen die Schmerzmedizin abbilden. Ein Erfolg sei die Aufnahme chronischer Schmerzen in den Morbi-RSA.

"Das Geld kommt bei Ärzten aber noch nicht an", so Müller-Schwefe. Jetzt gehe es darum, dass Ärzte bei Schmerzpatienten die Diagnosen genau verschlüsseln. Dann könne man auch über die Vergütung verhandeln und Schmerztherapie in die Bedarfsplanung mit einbeziehen.

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Kommentare
Dr. Birgit Bauer 22.03.201214:10 Uhr

Nicht gleich wieder übertreiben!!

Wie wäre es, wenn sich unser Berufsstand mal wieder auf seine Entstehung besinnen würde? Unser Beruf ist entstanden um Kranken, Pat. mit Schmerzen aus den unterschiedlichsten Gründen zu helfen. was ist nun draus geworden ? Ein Berufstand mit vielen "Unterberufsständen", von denen sich viele mit viel Skepsis beäugen. Unsere sogenannten Selbstverwaltungsorgane bestehen wiederum aus Mitgliedern und Funktionären, die nur ihre fachspezifischen Belange vertreten , Vertretung des Berufsstandes- Fehlanzeige.
Kaum noch jemand der versucht die Übersicht zu behalten, jeder ist sich selbst der Nächste. Die Pat. spielen nur noch als ökonomische Belastung der Kassen eine Rolle.
Schlimm, dass im Medizinstudium solch grundlegenden Themen wie Schmerz, Schmerzentstehung, Unterschiede von Akutschmerz und chronischem Schmerz offensichtlich keine Rolle spielen. Wie kann man sich sonst den langen Leidensweg vieler chronischer Schmerzpetienten erklären.
Als Anästhesistin mit Schwerpunkt spezielle Schmerztherapie in eigener Niederlassung kann ich davon ein Liedchen singen. Offensichtlich verwechseln inzwischen auch Kollegen die Unterschiede zwischen Diagnostik und Therapie. Es ist keine Ausnahme, dass Pat. zwar mit 5 MRT-Aufnahmen der WS und einer Beschwerdeduer von 10 Jahren kommen, die noch niemals etwas von einer Schmerzanalyse gehört haben!!!!
Die von unserer Gesellschaft (DGS) geforderte Facharztdisziplin halte aber auch ich nur bedingt als sinnmachend, aber in unserer "Schubkastendenk-Kultur ", des Verwaltungswustes in unserem Gesundheitswesen, fällt auch mir keine andere Lösung des Problems ein.
Übrigens sehe ich ein ähnliches Problem im Zusammenhang mit der dereit "hochgepuschten" spezialisierten Palliativmedizin. Es ging vieles sinnvoller und vor allem kostengünstiger, bei deutlichem Zugewinn für die betroffenen Patienten.
M.f.G.

Dr. Jürgen Schmidt 15.03.201214:09 Uhr

Aufschrei der Schmerztherapeuten, Was ist dran?

Ob die Schmerzmedizin wirklich ein eigenes Fachgebiet werden muss, oder die Versorgung und Weiterbildung über die bestehenden schmerzmedizinischen Zentren an neurologischen Kliniken und Abteilungen für Anästhesie wahrgenommen werden soll, mag im Zuge der anstehenden modularen Umformung der WBO diskutiert werden.

In schwierigen Fällen, für die der Ausdruck Schmerzpatient etwas unglücklich aber kennzeichend ist, sind für eine differenzierte Diagnostik und Therapie eingehende Erfahrungen und Kenntnisse auf dem Gebiet der Neurologie und Anästhesie jedenfalls unverzichtbar.

Dass bei vielen Ärzten ein Wissensrückstand zu aktuellen Entwicklungen der Schmerzmedizin besteht, ist kaum zu leugnen, übrigens auch bei Zahnärzten. Ich kenne allein vier Patienten, die wegen einer postherpetischen Neuropathie eine ganze Zahnreihe eingebüßt haben, ohne das ihnen geholfen worden war.

Auch die Pharmakotherapie in der Hand Unkundiger ist ein Problem. Dabei spielen falscher therapeutischer Ehrgeiz ebenso eine Rolle, wie das Pushen bestimmter Substanzen durch die Industrie. Gelegentlich kann man mit dem Absetzen von Opiaten und Antiepileptika und dem Ersatz durch beispielsweise Duloxetin den einen oder anderen Patienten aus dem Bett holen und wieder zu einem lebensbejahenden Menschen machen.

Die Mahnungen der Schmerztherapeuten sollten Ernst genommen werden, auch wenn die Forderung nach einem eigenen Fachgebiet vor allem berufspolitische Gründe haben dürfte.

Dr. Karlheinz Bayer 15.03.201210:40 Uhr

ich melde mich als einer der "Verständnislosen"


Zwar verstehe Patienten, die mit Schmerzen zu mir kommen und suche nach Ursachen, um kausal zu behandeln, aber ich verstehe nicht, wie man diese zu "Schmerzpatienten" macht.

Zwar verstehe ich Schmerz als Symptom, aber ich verstehe nicht, den Schmerz zum Inhalt einer Fachrichtung machen zu wollen.

Zwar sehe ich viele Patienten mit den unterschierdlichsten Schmerzen Tag für Tag, aber ich habe keine vernünftige Erklärung dafür, diesen neben all den bekannten und erfolgreichen Fachrichtungen auch noch eine Art Facharzt für Schmerzmedizin beiordnen zu wollen.

Ich halte es für überzogen, die 13-18 Millionen Patienten mit Schmerzen als Schmerzpatienten zu deklarieren.

Ich halte die Aussagen von Müller-Schwefer von der "gescheiterten" Versorgung für unkollegial, unzutreffend und unprofessionell, weswegen ich auch dafür kein Verständnis habe.

Wie abwegig der ganze Beitrag ist, kann man erkennen, wenn man die gemachten Aussagen mal eben so miteinander verbindet: 13-18 Millionen Schmerzpatienten in Deutschland gäbe es, im Schnitt würde deren Leiden zehn Jahre bestehen und sie hätten 11 (verständnislose) Ärzte gesehen.
Ich kenne wenige Patienten, die überhaupt (also auchn ohne Schmerzpatient zu sein) Kontakt zu 11 Ärzten gehabt haben sollen, und ich bin selbstkritisch genug, Beschwerden eines Patienten, die weit weniger lange als 11 Jahre andauern, doch einmal jemandem vorzustellen, der mehr kann als ich.

Pflicht für jeden Arzt sollte es BLEIBEN, kritisch auf Berichte zu reagieren, die gespickt sind mit Attributen wie "gescheitert" oder "flächendeckend" und Begriffen wie "verständnislos" und "Leidensweg" - das klingt schon sehr nach der Rhetorik der Wunderheiler.

Dr.Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

Dr. Thomas Georg Schätzler 14.03.201219:06 Uhr

Schmerztherapie mit Leben füllen

Die Zusammenarbeit mit den Schmerztherapeuten in der Umgebung meiner Praxis ist ambivalent. Ein hohes Qualifikations- und Interventionsniveau trifft auf eine große Schwellenproblematik bei der Terminvergabe. Viele Patienten/-innen sind auch ambivalent. Bei hohem Leidensdruck ist die Compliance bei medikamentösen und flankierenden Maßnahmen geringer als zu erwarten wäre.

Die ambulant-stationäre und sozialmedizinisch-rehabilitative Verknüpfung weist kommunikative Defizite auf. Ein Patient von mir, der vor über 20 Jahren bei einem Motorradunfall einen Armnervenplexusabriss rechts axillär erlitt, bekam nach langer Latenz eine ambulant nicht beherrschbare Algodystrophie mit neuropathischen Schmerzen im paretischen Arm bei gleichzeitiger schwerer Depression. Die stationäre REHA wurde in einer Klinik mit orthopädisch-schmerztherapeutischem Schwerpunkt durchgeführt und vernachlässigte flankierende Behandlungsnotwendigkeiten. Da steht man als koordinierender Hausarzt wieder am Anfang. Prof. Dr. Christoph Maier (Abteilung für Schmerztherapie, BG Kliniken Bergmannsheil in Bochum) ist allerdings noch ein weiterer hoffnungsvoller Kontakt.

Was ich damit sagen will? Die Kollegen/-innen der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie sind ein Grundpfeiler der fach- und spezialärztlichen Behandlungen, können aber niemals "Vollversorger" sein. Denn Schmerzmedizin in Diagnose und Therapie ist und bleibt i n t e g r a l e r Bestandteil aller haus- und fachärztlicher Spezialdisziplinen. Nicht Leben ohne Schmerztherapie sondern Schmerztherapie mit Leben füllen!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM (z. Zt. Mauterndorf/A)

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