Hausärzte

"Spezialisten für den ganzen Menschen"

Volle Fahrt voraus für den Hausarzt: Die DEGAM positioniert ihre Zunft - und bezeichnet Allgemeinärzte als unverzichtbare "Generalisten". Allgemeinärzte seien der "beste Schutz vor falscher Medizin".

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DEGAM-Präsident Gerlach: Hausärzte sind unverzichtbare Generalisten.

DEGAM-Präsident Gerlach: Hausärzte sind unverzichtbare Generalisten.

© Uni Frankfurt

HAMBURG (ras). Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) hat bei ihrem Jahreskongress in Rostock 24 "Zukunftspositionen" verabschiedet.

In ihnen wird die hausärztliche Versorgung als "bester Schutz vor zu viel und falscher Medizin" deklariert.

Das Positionspapier der DEGAM soll insbesondere Hausärzten, Ärzten in Weiterbildung und Studierenden, aber auch anderen Fachgesellschaften, Gesundheitspolitikern und Kostenträgern deutlich machen, was die Allgemeinmedizin leisten kann.

Dies sei weit mehr, als viele Menschen "in ihren Köpfen drin haben", erklärte DEGAM-Präsident Professor Ferdinand Gerlach vor rund 450 Teilnehmern in Rostock.

Untermauert wird dieser Anspruch im ersten der 24 Punkte, in dem Hausärzte angesichts der zunehmenden Spezialisierung und Fragmentierung der Gesundheitsversorgung als unverzichtbare "Generalisten" bezeichnet werden.

Große Mehrheiten habe es auch für umstrittene Thesen gegeben, sagte Gerlach der "Ärzte Zeitung". So heißt es in These 17, dass nur ein Facharzt für Allgemeinmedizin den hohen Ansprüchen einer hausärztlichen Praxis gerecht werden könne.

Die Innere Medizin mit ihrer rein klinischen und internistischen Weiterbildung decke nur ein Drittel der allgemeinmedizinischen Beratungsanlässe ab.

Allgemeinmediziner, so heißt es in der Begründung, seien nicht primär "Organ- oder aufgabenzentriert, sondern sehen sich als Spezialisten für den ganzen Menschen."

Unterstützung von den Krankenkassen

Die Mehrzahl aller Beratungsanlässe könne daher vom Hausarzt abschließend geklärt werden. Für Patienten sei es von unschätzbarem Wert, dass ein Hausarzt als einziger Mediziner gleich mehrere Beratungsanlässe bei einem Arztkontakt abdecken könne.

Die 24 Positionen decken außer Versorgungsaspekten insbesondere auch Fragen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Bereiche Forschungs- und Qualitätsförderung ab.

Dabei kommt es DEGAM-Präsident Gerlach besonders darauf an, in prägnanten und allgemein verständlichen Aussagen übergreifende Aspekte der Allgemeinmedizin darzustellen, die auch wissenschaftlich belegt werden.

Gerlach: "Wir beteiligen uns dabei bewusst nicht am verbreiteten Schlechtreden des eigenen Fachs, sondern wollen konstruktive und zukunftsfähige Vorschläge zur Förderung der Allgemeinmedizin unterbreiten."

Mit breiter Unterstützung kann die DEGAM dabei vermutlich auch seitens der Krankenkassen rechnen. Nach Darstellung von Dr. Jens Baas, dem neuen Vorsitzenden des Vorstands der Techniker Krankenkasse, könne die TK grundsätzlich alle 24 Zukunftspositionen der DEGAM unterstreichen.

Positiv sei vor allem, das die Thesen von einer anerkannten Fachgesellschaft kommen und daher evidenzbasiert seien.

Vor 20 Jahren, sagte Baas - der selber Arzt ist -, sei dies noch undenkbar gewesen, da das Fach damals wissenschaftlich kaum eine Rolle spielte und eher als "exotisch" angesehen wurde.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 24.09.201216:22 Uhr

Persönliche Zukunftspositionen

Hausärztliche Allgemeinmedizin bedeutet ökologisch wie ökonomisch optimale Ausnutzung vorhandener Ressourcen. 80 bis 85 Prozent aller Beratungsanlässe werden innerhalb dieses Fachgebietes gelöst. Sie stellt eine adäquate Lotsen- und Steuerungsfunktion für ambulante/klinische, fach- und spezialärztliche Weiterbehandlung bzw. planvoll risikoadaptierte Stufendiagnostik und -therapie dar.

In der biografischen Lebenswirklichkeit unserer Patientinnen und Patienten bzw. im ärztlichen Behandlungsalltag zwischen lapidarer Befindlichkeitsstörung und hochdramatischer Krankheit sind die fach-/spezialärztlichen Behandlungen und klinischen Krankenhausbehandlungen grundsätzlich Ausnahmesituationen. Die lebenslange, generationenübergreifende, bio-psycho-soziale Begleitung ist d a s Metier der hausärztlichen Profession.

Abgestufte, vernetzte Strukturen durch primärmedizinische Hausärzte/-innen auf der Basis von geschultem medizinischen Laienwissen, allgemeinärztlich-internistisch-pädiatrischer Grundversorgung, fachärztlicher-, spezialmedizinischer-, ambulanter bis stationärer Stufendiagnostik, Therapie und Versorgung vom Kreiskrankenhaus bis zur Universitätsklinik sind realisierbar.

Das Paradoxon von Versorgungsungleichheit im ländlichen und städtischen Raum, in Ballungszentren, sozialen Brennpunkten und Randbezirken, aber auch Massenabfertigung, Fließbandmedizin in Einzelpraxis und MVZ, Arbeitsverdichtung führt zu Aufmerksamkeitsfallen: Dadurch werden abwendbar gefährliche Verläufe provoziert oder Komplikationen, ultimative Warnzeichen („red flags“) und Lebensbedrohungen übersehen.

Gesetzliche (GKV) und Private Krankenversicherung (PKV) benötigen ein ausbalanciertes Spannungsverhältnis zwischen Solidarität und Selbstverantwortung. Derzeit können Krankenversicherte in „flatrate“ oder „all you can eat“ Manier personelle und technische Medizinbetriebsressourcen abgreifen – ohne Steuerung durch Gesundheitserziehung, Prävention, medizinische Fachberufe, Ärztinnen und Ärzte im primärmedizinischen Bereich. Dabei bewahren gesunder Menschenverstand bzw. bewährte Haus- und Naturheilmittel bei Bagatellerkrankungen Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstbehauptung.

Medizinalisierung und Medikalisierung greifen an: Bei Bronchitis Thorax-Röntgen und der (vorschnelle) Griff zum Antibiotikum. Bei Rückenschmerzen sofort NSAR und orthopädische Kortisonspritze. Bei Schnupfen und Sinusitis sofort Pharmakotherapie. Bei jedem Kopfschmerz komplexe Migränediagnostik, Schädel-MRT, Neurologe oder Neurochirurg. Jede Prellung zum Radiologen, jede Verletzung zum Chirurgen, jede Arthrose zum Rheumatologen, jede Schilddrüse zum Szintigramm.

Gegensätze zwischen universitärer/klinischer Hochleistungs- und Intensivmedizin und der "Feld-, Wald- und Wiesenmedizin" hausärztlicher Provenienz führt zu Verständnislosigkeit, Konflikten und Schuldzuweisungen. Widersprüche zwischen Herz-Lungen-Transplantationen, interventioneller Kardiologie, Onkologie, Nephrologie, Neurochirurgie usw. und pharmakologisch mit "Antibiotika-ähnlichen" Pflanzenextrakten bzw. sinnlosen Lutschpastillen an behandelten subfebrilen Atemwegserkrankungen mit Husten, Schnupfen, Bronchialkatarrh in der allgemeinmedizinisch-pädiatrisch-internistischen hausärztlichen Praxis könnten größer nicht sein.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Richard Barabasch 24.09.201213:16 Uhr

Generalist

Frau/nan muss es schon korrekt und dezidiert lesen, nicht "anfangs-emotional" (begeistert, oder ablehnend . . .) und dann kann Herrn Gerlach durchaus rational voll zugestimmt werden, eben auch unter der Praemisse, mit diesen "Grundsätzen" auch programmatisch zu sein für eine zukünftige Hausarztgeneration, ebenso wie für jene gewordene Hausatzpopulation, die in der DEGAM ihr ernsthaftes Sprachrohr gefunden hat. Das heist aber nichts anderes auch als, dass es durchaus Hausärzte gibt, die indes eher jener Generation angehören, die sich derzeit und in naher Zukunft aus der Krankenkassenpflichtversicherten-Betreuung zurückziehen - aber (leider!) jener Population angehören, die dem Ruf des Hausarzt-Generalisten eher schadeten, als diesem Anspruch und gelebten Fähigkeiten gerecht zu werden, bzw. geworden zu sein. Jedoch: es wird nicht mehr lange dauern, bis "der Hausarzt" als Generalist auch die an ihn gestellten Anforderungen einer Krankanbetreuungspolitik ebenso, wie der Kollegenschaft auf Augenhöhe vollauf ebenbürtig geworden sein wird,
meint
Richard Barabasch,
der diesen Prozess aktiv mitlebend und gestaltend (zB. akademische Lehrpraxis u.v.a.m.) Hausatzt von anfang an war und immer noch ist.

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