Terminservice

"Hoffe nicht, dass die Politik unser Scheitern plant"

Niedersachsens KV-Chef Marc Barjenbruch will die Terminservicestellen doch noch abwenden. Die Umsetzung würde einen bürokratischen Parforceritt verlangen: 62 Extra-Stellen nur für die Terminvermittlung.

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Marc Barjenbruch

Marc Barjenbruch

© KV Niedersachsen

Das Interview führte Christian Beneker

HANNOVER. Trotz Protesten hält das Bundesgesundheitsministerium auch in der Kabinettsfassung des Versorgungsstärkungsgesetzes an den umstrittenen Terminvermittlungsstellen fest.

Aber die KVen geben ihren Widerstand gegen die Vermittlungsstellen nicht auf und hoffen auf einen späten Kurswechsel der Politik. Die "Ärzte Zeitung" sprach mit Marc Barjenbruch, dem Vorstandsvorsitzenden der KV Niedersachsen (KVN).

Ärzte Zeitung: Herr Barjenbruch, wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen für Terminvermittlungsstellen bei der KV Niedersachsen?

Marc Barjenbruch: Ich hoffe, es geht noch nicht um die Umsetzung. Zurzeit versuchen wir, mit der Politik ins Gespräch zu kommen, um die Regelung noch abzuwenden.

Die Terminvermittlungsstellen sind ja im Versorgungsstärkungsgesetz vom Kabinett verabschiedet worden und es steht jetzt der normale parlamentarische Gang an ...

Ja, eben. Der Koalitionsvertrag steht und wird derzeit stringent abgearbeitet. Welche Möglichkeiten sehen sie denn, darauf Einfluss zu nehmen?

Barjenbruch: Ja, der Koalitionsvertrag steht. Und die Terminvermittlungsstellen darin waren ein Kompromiss zwischen SPD und CDU, um die Bürgerversicherung abzuwenden.

Das macht das Thema noch viel schwieriger. Formal habe ich als KVN-Vorsitzender wenig Möglichkeiten. Ich kann nur versuchen, mit meinen Argumenten zu überzeugen.

Womit argumentieren Sie?

Barjenbruch: Wir sagen: Die Terminvergabestellen können nicht halten, was sie versprechen - einen Wunscharzt zu einem Wunschtermin.

So würde ein Hannoveraner Patient im Zweifel zu einem ihm unbekannten Arzt weit außerhalb, etwa in Barsinghausen, vermittelt und das zu einem Termin morgens um 8 Uhr.

Formal wäre korrekt vermittelt worden. Aber der Patientenwunsch wäre gewiss nicht berücksichtigt. Der Patient verzichtet quasi auf die freie Arztwahl - wie ich finde ein schlechter Tausch.

Aber dass es Terminprobleme bei Fachärzten gibt, streiten sie nicht ab!

Barjenbruch: Ich will nicht drum herum reden: Wir haben Schwierigkeiten bei einigen Fachgruppen, kurzfristig Termine zu vergeben.

Zum Beispiel bei Augenärzten, Hautärzten, Psychiatern und bei Kardiologen. Es gibt nicht genügend Behandlungszeit für alle Behandlungswünsche. Die Praxen sind voll!

Wie wollen Sie das Problem lösen, wenn nicht durch Vermittlungsstellen?

Barjenbruch: Wir könnten zwischen dringlichen und nicht dringlichen Überweisungen unterscheiden. Dringliche werden vom Hausarzt als solche gekennzeichnet und beim Facharzt sofort bedient. Nicht dringliche Überweisungen könnten dann auch länger warten.

Schon bisher stellt jeder Facharzt sofort einen Termin zur Verfügung, wenn es drängt. So lässt sich jedenfalls auf ärztlicher Seite sogar ein Termin schneller vermitteln und es ginge um medizinische Kriterien der Überweisung, nicht um politische.

Das Wesentliche ist: Die teuren Vermittlungsstellen würden so einfach wegfallen. Nach Erfahrungen unserer Kollegen im Saarland sind vier Prozent aller Überweisungen dringlich.

Welchen Aufwand müssten Sie treiben, wenn das Gesetz wie geplant beschlossen wird?

Barjenbruch: Wir haben in Niedersachsen 60 Millionen Behandlungsfälle im Jahr und 17 Millionen Überweisungsfälle. Wenn nur zwei Prozent dieser Patienten einen Termin vermittelt haben wollen, dann sind das 340.000 Vermittlungen im Jahr.

Wenn man pro Vermittlung 20 Minuten telefonieren muss, so müssten wir 62 Stellen schaffen! Allein zum Telefonieren!

Uns liegen Angebote von Drittfirmen vor, sie belaufen sich unverhandelt auf zwei bis sieben Millionen Euro im Jahr. Dieses Geld könnte man besser in die Versorgung stecken.

Auch die Krankenkassen vermitteln Termine. Das klappt. Was machen sie besser?

Barjenbruch: Auch die Kassen müssen dafür eine Menge Geld zahlen. Aber mit der neuen Regelung gäbe es einen Anspruch auf Vermittlung. Könnten wir diese Masse bewältigen?

Ich hoffe nicht, dass die Politik schon unser Scheitern eingeplant hat, um die Ärzteschaft und die KVen in Verruf zu bringen, nach dem Motto: ,Die kriegen das nicht umgesetzt.‘

Die Politik versteht zwar langsam unser Anliegen, aber der Koalitionsvertrag steht wie ein Bollwerk.

Wir hoffen, dass man unsere Argumente hört, und könnten uns vorstellen, dass die Koalition die Terminvermittlungsstellen aus dem Gesetz herausnimmt oder aber besondere Länderregelungen zulässt.

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