Blick in die Zukunft

Mehr Macht dem Hausarzt

Ärztemangel und finanzieller Druck werden zur Stärkung des Hausarztes führen - da ist sich DEGAM-Präsident Professor Ferdinand Gerlach sicher. Halten sich Kranke dabei nicht an die Spielregeln, so müssten sie an den Kosten beteiligt werden.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:
Professor Ferdinand Gerlach, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM).

Professor Ferdinand Gerlach, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM).

© Stephanie Pilick

FRANKFURT. Das deutsche Gesundheitssystem leidet massiv unter einer "organisierten Verantwortungslosigkeit." Um dieser Misere künftig besser begegnen zu können, muss die sektorenübergreifende Steuerungsrolle des Hausarztes erheblich gestärkt werden.

Diese Forderung hat Professor Ferdinand Gerlach, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) im Interview mit der "Ärzte Zeitung" erhoben.

Zwar wachse bei vielen Verantwortlichen im Gesundheitssystem die Sensibilität für die Tatsache, dass dem Hausarzt als Koordinator im zunehmend komplexeren und intransparenten Gesundheitssystem sowie angesichts der verbreiteten Fehl-, Unter- und Überversorgung eine wichtige Rolle zukomme.

Die notwendigen Konsequenzen daraus seien aber bislang weitgehend ausgeblieben. "Der Handlungsdruck auf Selbstverwaltung und Politiker wird zunehmen, weil die Ausgaben kontinuierlich deutlich stärker als die Einnahmen steigen und dies spätestens nach der nächsten Bundestagswahl zu Konsequenzen führen muss", so Gerlach.

Neue Wege nach der Praxisgebühr

Eine bessere Versorgungssteuerung zum Beispiel von multimorbiden Patienten durch Hausärzte sei bereits jetzt bei Fachärzten, Kostenträgern und Politikern ein großes Thema. Nach dem Wegfall der Praxisgebühr, die zumindest initial eine gewisse Steuerungsfunktion gehabt habe, müssten nun andere Wege beschritten werden.

Eine Option sei die Einführung von Selbstbeteiligungen, wie sie in vielen anderen Ländern seit langem üblich sei. Konkret hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, dessen Vorsitzender Gerlach auch ist, in seinem Gutachten 2014 vorgeschlagen, dass Patienten zum Beispiel bei unkoordinierter Inanspruchnahme von Fachärzten ohne Überweisung durch den Hausarzt an den zusätzlichen "Kosten, die dadurch entstehen, beteiligt werden".

Für denkbar hält Gerlach auch die Einführung von Konzepten, in dem sich die Versicherten für einen größeren Zusammenschluss von Anbietern unterschiedlichster Profession entscheiden und sich dort auch verbindlich einschreiben müssen.

Unterschied zwischen Stadt und Land

In den Städten könnten dann Versicherte zwischen verschiedenen Netzstrukturen wählen, während man auf dem Land froh sein könne, mit diesem Konzept die Versorgung durch Netzärzte oder Netzkliniken überhaupt noch sicherzustellen.

Das hätte auch den Vorteil, dass die Informationen über den Patienten (Laborwerte, Krankheiten, Einnahme von Arzneien) gebündelt vorlägen. Gerlach: "Das alles ist derzeit nicht der Fall, was gerade chronisch kranken Patienten schadet, die Arbeit von Hausärzten enorm erschwert und daher künftig dringend angepackt werden muss."

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 11.02.201622:29 Uhr

Ich würde eher von einem "organisierten Chaos" sprechen...

als von einer "organisierten Verantwortungslosigkeit." Denn eine sektorenübergreifende Steuerungsrolle des Hausarztes ist nicht nur unerwünscht, sie wird in der Gesundheits- und Krankheitspolitik bzw. -Verwaltung ignoriert und konterkariert.

Über den Hausarzt als ''Macher'' und Koordinator im zunehmend komplexeren und intransparenten Krankheitsversorgungs- und Betreuungssystem, in dem es gar nicht mehr um Gesundheit, sondern nur noch um Krankheitsbewältigung geht, wird doch unter selbsternannten, theoretisierenden ''Gesundheits''-Experten und Gesundbetern am grünen Tisch einfach abgelästert.

Angesichts der verbreiteten Fehl-, Unter- und Überversorgung bzw. der demografischen Entwicklung entbehrt es nicht einer gewissen Komik zu konstatieren, dass Patienten zum Beispiel bei unkoordinierter Inanspruchnahme von Fachärzten ohne Überweisung durch den Hausarzt an den zusätzlichen "Kosten, die dadurch entstehen, beteiligt werden" sollen. Denn zugleich werden dieselben Patientinnen und Patienten über jetzt bundesweit etablierte, von ihren Haus- und Fachärzten selbst finanzierte Termin-Servicestellen (TSS) der KVen zu ihren Facharztterminen in einer gesetzlich festgelegten 4-Wochenfrist gleichermaßen ''getragen'', wenn sie nicht gegen entsprechende Kostenerstattung durch niedergelassene Vertragsärzte selbst an die bereits mit Notfällen völlig überlasteten und überforderten Klinik-Ambulanzen verwiesen werden.

"Informationen über den Patienten (Laborwerte, Krankheiten, Einnahme von Arzneien)" machen doch die sektorenübergreifende Steuerungsrolle des Hausarztes längst aus:
• seit 1992 bekommen meine Patienten einen papiergestützten Medikationsplan.
• seit 1992 bekommen meine Patienten eine Zweitschrift ihrer Laborwerte.
• seit 1992 werden alle gezielten Überweisungen mit relevanten Daten bestückt.
• seit 1995 drucken wir die medizinische Dokumentation EDV-gestützt aus.
• seit 1992 werden relevante Facharzt- und Klinik-Befunde mitgegeben.

Die einzigen, die das nicht raffen, sind die GEMATIK, die GKV- und PKV-Kassen bzw. die BÄK und die KBV, weil sie sich auf EDV-, Telemedizin und IT-Formate einfach nicht einigen können und wollen. Sie müssten nämlich damit zugeben, dass ihre Bild-bestückten elektronischen Gesundheitskarten (eGK) über gar kein ausreichendes Speichervolumen für Krankheitsvorgänge und –berichte verfügen.

Ein letztes ''Nachkarten'' bei der Praxisgebühr (PG): Diese hatte von Anfang 2004 bis Ende 2012 nicht mal ansatzweise "zumindest initial eine gewisse Steuerungsfunktion gehabt". Wir registrierten durch diese finanzielle Schwellengebühr im Gegensatz zu unserem hausärztlich ''niedrigschwelligen'' Versorgungsangebot besonders bei der Unterschicht Behandlungsverzögerungen, Komplikationen und dramatischere Krankheitsverläufe.

Speziell wir Hausärzte und unsere Patienten wurden dabei administrativ und ökonomisch belastet: Denn einerseits zahlten nur und ausschließlich die Kranken damit in 9 Jahren 18 Milliarden € zusätzlich in die GKV-Kassen ein, andererseits wurden den Ärzten ohne Verwaltungs- und Vorhaltekosten diese 10 € sofort von ihrem KV-Honorar abgezogen. Die PG war damit nichts anderes als angewandte Ergo- und Beschäftigungstherapie!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Henning Fischer 11.02.201610:50 Uhr

das wird schwierig


im Bereich der KVWL werden im Ärzteblatt so 5-10 Allgemeinarzt- Weiterbildungen gemeldet. Ein Vielfaches wäre nötig, um die geforderten Aufgaben zu erfüllen.

Die Ärzte-Vertreibungspolitik der verschiedenen Bundesregierungen und Parteien wirkt durchschlagend.

Bald gibt es keine Hausärzte mehr. Und dann sterben die Patienten (endlich) wieder früher (sozialverträgliches Frühableben)

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