Wissen richtig nutzen
Aktionsplan soll Gesundheitskompetenz stärken
Fehlende Gesundheitskompetenz kostet Milliarden Euro. Ein Aktionsplan Gesundheitskompetenz soll die Menschen hierzulande schlauer in Sachen Gesundheit machen.
Veröffentlicht:BERLIN. Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland kennt sich im Gesundheitswesen nicht aus, verfügt über wenig Wissen zu Krankheiten und kann zudem Gesundheitsinformationen aus dem Internet nicht einordnen und bewerten. Folgen dieser Umfrageergebnisse der Universität Bielefeld von vor zwei Jahren sind die Allianz für Gesundheitskompetenz unter Federführung des Gesundheitsministeriums und seit Montag der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz einer privaten Initiative.
Was mangelndes Gesundheitswissen in der Bevölkerung bewirken kann, lässt sich im Gesundheitsgeschehen und seinen Finanzen unmittelbar besichtigen. Die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser sind voll, weil der ambulante Bereitschaftsdienst der Vertragsärzte zu wenig bekannt ist. Immer mehr Jugendliche leiden unter starkem Übergewicht. Rechnet man Untersuchungen aus Österreich hoch, kostet fehlende Gesundheitskompetenz in Deutschland zwischen drei und fünf Prozent der Behandlungskosten, mithin also rund zehn Milliarden Euro im Jahr.
Darauf geht der Gesetzgeber seit Jahren auf verschiedenen Ebenen ein. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD findet sich der Wille, Prävention und Orientierung im deutschen Gesundheitsdschungel zu stärken, außerdem auch das Ziel, via Reform des Medizinstudiums die Arzt-Patienten-Kommunikation zu stärken. Einen Durchbruch hat jetzt eine zivilgesellschaftliche Initiative erzielt.
Der AOK-Bundesverband, die Universität Bielefeld, die Hertie School of Government und die Robert Bosch Stiftung haben mit dem Nationalen Aktionsplan vier Handlungsfelder und 15 Empfehlungen formuliert.
- Die vier Handlungsfelder sind:
- Die Gesundheitskompetenz soll in allen Lebenswelten gefördert werden. So soll zum Beispiel das Erziehungs- und Bildungssystem in die Lage versetzt werden, die Förderung von Gesundheitskompetenz so früh wie möglich im Lebenslauf zu beginnen.
- Zudem soll die Navigation durch das Gesundheitssystem vereinfacht, Bürokratie abgebaut werden. Dazu sollte nach Ansicht der Autoren auch die Kommunikation zwischen den Gesundheitsprofessionen und den Patienten verständlich und wirksam gestaltet werden.
- Ein weiteres Feld zielt auf den Umgang mit chronischen Krankheiten ab. Hier sollten die Fähigkeiten von Menschen mit chronischen Krankheiten zum Selbstmanagement gestärkt werden.
- Begleitet werden sollen alle Aktivitäten durch eine systematische Erforschung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung.
Als "einmalig" bezeichnete der geschäftsführende Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Initiative bei der Vorstellung des Plans am Montag in Berlin. Der Inhalt des Plans sei ein Lastenheft für künftige Regierungen.
Er warnte davor, das Internet als Vermittler von Gesundheitsinformationan zu schlecht zu reden. Man solle vielmehr die Chancen des Mediums nutzen. Immerhin nutzten 40 Millionen Menschen regelmäßig das Internet als Informationsquelle in Gesundheitsfragen.
AOK-Chef Martin Litsch mahnte die Ärzte an, sich ihren Patienten gegenüber verständlich auszudrücken. So könnten auch sie zur Gesundheitskompetenz beitragen.
Zuvor hatte der Präsident der Bundesärztekammer Professor Frank Ulrich Montgomery mehr Zeit für die sprechende Medizin eingefordert: "Gebt den Ärzten mehr Zeit, dann können sie besser auf ihre Patienten eingehen", sagte Montgomery. Er verwies darauf, dass selbst für Ärzte das Gesundheitssystem zu kompliziert sein könne.
Haus- und Fachärzte sind nach wie vor die wichtigesten Informationsquellen für Patienten in Deutschland, wie sich in der Studie zeigt. Doch der Anteil der Befragten, die schon einmal Erklärungen der Ärzte nicht verstanden haben, ist hoch - 47,6 Prozent bei Fachärzten und 42,2 Prozent bei Hausärzten.
Professor Doris Schaeffer, eine der Initiatorinnen des Plans, forderte eine konkrete Unterstützung der Forschung an der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung durch das Bildungsministerium ein. Bislang sei die Forschung zu diesem Gegenstand unterbelichtet und komme nur langsam in Gang.
Ein einfacheres und nutzerfreundlicheres Gesundheitssystem als heute mahnte Sebastian Schmidt-Kaehler von der Patientenprojekte GmbH an. Es reiche nicht aus, einfach nur Bildungsangebote zu unterbreiten.
Der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverband Professor Rolf Rosenbrock stellte mangelnde Gesundheitskompetenz in einen sozialen Zusammenhang. Die hohe soziale Ungleichheit in Deutschland sei skandalös.
Tatsächlich hatte die Untersuchung der Universität Bielefeld ergeben, dass vor allem unter Migranten und armen Menschen der Mangel an Gesundheitswissen besonders ausgeprägt ist.
Auch in anderen Staaten tun sich Bürger mitunter sehr schwer, Gesundheitsinformationen zu verstehen. Nicht so in den Niederlanden, wie ein Vergleich der Gesundheitskompetenz in ausgewählten europäischen Ländern zeigt: Jeder vierte Niederländer verfügt über eine exzellente Gesundheitskompetenz, heißt es in einer von europäischen Wissenschaftlern 2015 publizierten Studie (Eur J Public Health. 2015 Dec; 25(6): 1053–1058). (Mitarbeit: ths)
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