Aufregung um Doping-Studie
"Es ist eine gnadenlose Unverschämtheit!"
Im Vorfeld der Leichtathletik-WM sorgt eine Doping-Studie für Aufsehen. Deren Ergebnisse werden vom Leichtathletik-Weltverband zurückgehalten, berichtet Professor Perikles Simon, einer der Studienautoren. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" spricht der Sportmediziner über diese heikle Publikation - und geht mit Sportfunktionären hart ins Gericht.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Professor Perikles Simon ist einer der Autoren der Doping-Studie, die aktuell für großen Wirbel sorgt. Im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) befragte er mit seinem Team Spitzensportler und kritisiert nun, der Leichtathletik-Weltverband blockiere die brisante Publikation.
Denn Medienberichten zufolge kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass 29 bis 34 Prozent der 1800 WM-Teilnehmer in den zwölf Monaten vor den Wettkämpfen gegen Anti-Doping-Regeln verstoßen haben.
Das Interview führte Anne Zegelman
Ärzte Zeitung: Professor Simon, im Vorfeld der Sportlerbefragungen mussten Sie 2011 eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichnen. Ist das so üblich oder haben Sie sich damals darüber gewundert?
Prof. Perikles Simon: Im Prinzip ist das nicht unüblich. Solche Erklärungen gibt man ab, damit nicht irgendwelche Forscher aus dem erweiterten Kreis mit einer Publikation vorpreschen.
Sie kritisieren öffentlich, der Leichtathletik-Weltverband IAAF würde die Publikation der Studie blockieren. Welche Erklärung gibt es dafür?
Simon: Ethisch betrachtet ist die Blockadehaltung der IAAF extrem verwerflich, persönlich finde ich es vor allem verwunderlich. In totalitären Systemen ist es vielleicht nachvollziehbar, dass es solche Einschränkungen gibt - aber bei uns?
Dass sich so ein Sportverband hinstellt und prinzipielle Grundrechte wie die Freiheit der Wissenschaft infrage stellt, ist mit meinem ethischen Empfinden nicht vereinbar.
Doch die IAAF hat mit ihrem Prinzip, die Dinge auszusitzen, ganz offensichtlich Erfolg. Zum Beispiel sind ja auch seit längerem mit Doping und Betrug belastete Leichtathletikfunktionäre, Sportverbandsärzte und Trainer trotz allem noch immer in Amt und Würden.
Laut ARD und "Sunday Times" hat sich die IAAF für die Publikation der Studie ein Vetorecht zusichern lassen. Die IAAF hat dies öffentlich dementiert. Wie gehen Sie damit um?
Simon: Uns kommt das natürlich sehr entgegen, wir freuen uns, dass die IAAF für sich kein Vetorecht sieht. Im Prinzip spricht jetzt nichts mehr dagegen, die Publikation ihren normalen Gang gehen zu lassen.
Wir wollen nur, dass unsere Prinzipien und die Freiheit der Wissenschaft, die im Grundgesetz verankert ist, stattfinden können. Zweitrangige Bedürfnisse wie die von Sportfunktionären müssen dem untergeordnet werden.
Wann wird die Öffentlichkeit Einsicht in Ihre Ergebnisse bekommen?
Simon: Üblicherweise sind die Publikationsprozesse in der Wissenschaft klar geregelt. Die Studie wird nun zunächst kritisch begutachtet, das dauert etwas. Zeitnah sind deshalb keine neuen Informationen zu erwarten. Umso höherwertiger wird dann aber das Ergebnis sein.
Trotz Vertraulichkeitsklausel wurden der "Sunday Times" und der ARD geheime Details aus der Studie zugespielt. Wie werden Sie ermitteln, wer geplaudert hat?
Simon: Wo das Leck liegt, ist für uns gerade völlig zweitrangig. Nach vier Jahren ist ja eigentlich auch sonnenklar, dass die Ergebnisse nicht unter dem Deckel bleiben, immerhin lag diese Studie der Wada, der IAAF und externen Leuten vor.
Uns ist zum jetzigen Zeitpunkt vor allem der gesellschaftliche Diskurs wichtig, also die Frage, wie eine große westliche Industrienation wie Deutschland mit der Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit umgeht. Abgesehen davon ist es eine gnadenlose Unverschämtheit, dass wir Wissenschaftler uns von Sportfunktionären anhören müssen, wir seien naiv und sensationslüstig.
Sehen Sie die große mediale Aufmerksamkeit als Vorteil oder Nachteil für Ihre Studie? Sicher hat nun auch die Fachwelt besonderes Interesse an kritischer Begutachtung.
Simon: Typischerweise ist es eher negativ, wenn vor einer wissenschaftlichen Begutachtung Informationen in die Presse gelangen. Für uns ist das alles sehr unangenehm, aber wir hoffen, dass die guten Sitten im wissenschaftlichen Bereich gewahrt werden und trotz allem eine saubere Begutachtung folgen kann.
Was bedeutet die aufkochende Diskussion für die am Samstag beginnende Leichtathletik-WM in Peking? Eigentlich ein gutes Timing...
Simon: Es ist ein fast logisches, konsequentes Timing. Wenn die IAAF weiter Blockade betreibt, wird das Thema womöglich vor jeder Großveranstaltung weiter hochkochen. Ich würde das aus meiner Sicht liebend gern beenden.
Im ZDF-Morgenmagazin haben Sie am Montag gefordert, die Athleten müssten den Druck auf die IAAF erhöhen. Wie kann das gelingen?
Simon: In aller Regel wird gegen den Willen des Sportlers gedopt. Athleten werden üblicherweise so lange unter Druck gesetzt, bis sie zustimmen. Das darf nicht sein.
Wichtig ist, dass sich Athleten gegen diese totalitäre Komponente wehren und klare Arbeitsrechte für sich einfordern. Einige wie der Diskus-Olympiasieger Robert Harting haben das ja auch schon in einem YouTube-Video getan.
In meinen Augen ist das genau der richtige Weg. Um für ein weltweites Berufsrecht über alle juristischen Grenzen hinweg zu kämpfen, ist es wahrscheinlich darüber hinaus notwendig, eine umfassende Agentur für die Rechte der Athleten zu gründen und entsprechend darauf zu achten, dass ihre Grundrechte nicht verletzt werden.
Der Erkenntnis von Bundesjustizminister Heiko Maas, dass die Verbände offenbar nicht selbst in der Lage sind, das Problem adäquat zu handhaben, kann ich nur zustimmen.
In dieser Woche wählt die IAAF einen neuen Präsidenten; zur Wahl stehen die beiden bisherigen Vize-Präsidenten Sergey Bubka und Sebastian Coe. Mit wem hat die IAAF mehr Chance auf Veränderung?
Simon: Ich kann da keinen Favoriten haben. Denn es ist grässlich, dass ausgerechnet Männer zur Wahl stehen, die genau diesem System entstammen. Offenbar gibt es überhaupt kein Interesse an einer Veränderung.
Wenn ich mir diese Unverschämtheiten und die völlige Inaktivität gegen diese kriminellen Machenschaften so ansehe, finde ich, man sollte dringend kritisch überprüfen, ob künftig noch derart viele Steuergelder dort hinein gegeben werden dürfen.